Dienstag, 2. August 2011

Sinn und Unsinn von Ersatzreligionen

Was treibt Menschen dazu, Geister und Dämonen anzurufen, den Teufel zu verehren und heidnischen Göttern zu huldigen? Sogar in blutrünstige Rituale stürzen sich manche, im festen Glauben, ihre Verstösse gegen Tabus würden zur Erleuchtung führen, und wenn schon nicht zur Erleuchtung, dann wollen sie wenigstens mehr Macht über das eigene Leben gewinnen - oder das Leben anderer.
Schon immer hat es diese Fluchten vor der bedrohlichen Welt des Alltags mit ihren Sorgen, Ängsten und ständigen Herausforderungen gegeben. Auf der Suche nach mehr Sinn und Sicherheit steigt die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, wenn das Alte keinen Trost mehr bietet. V.a. Jugendliche erliegen den Reizen abseitiger Religion, Logen und Geheimbünde, weil diese sowohl ihren Hunger nach Abenteuer stillen, als auch verheissen, bessere Menschen aus ihnen zu machen und andere Menschen zu verstehen. Das Gefühl, Mitwisser und Profiteur einer geheimen Lehre zu sein, mag im ersten Moment beängstigend erscheinen - überwältigend scheint es allemal. Geheimlehren üben eine seltsame Faszination auf die Menschen aus. Diejenigen, die Mitglieder der geheimen Bünde sind, erhöhen dadurch ihr Selbstwertgefühl, schliesslich gehören sie ja nun einer Elite von Geheimnisträgern an.
Furcht und Faszination liegen stets nah beieinander, überschneiden sich und führen schliesslich zum Handeln. Dem Sinn des Lebens nachzuspüren ist legitim, auch abseits etablierter Religionen. Das hat es immer gegeben und wird es weiter geben. Waren nicht auch das Christentum und der Islam zunächst kleine Sekten, die vor Hunderten von Jahren eine "neue Magie" verströmten?
Oberstes Gebot ist Satanisten das Handwerk zu legen, die ihren Jüngern befehlen, andere Menschen zu verstümmeln oder gar auszulöschen. Mit Hilfe von Ritualen und Ekeltrainings, z.B. Verzehr von Kot und Urin, sollen bewusst Grenzen überschritten werden, um so zu einer Bewusstseinserweiterung zu gelangen. Das Gefühl, über Rituale grosse Macht über Menschen und andere Kreaturen zu bekommen, latent vorhandene Wut auszuleben, Naturgesetze zu seinem Vorteil verändern zu können, stellt für manchen ichschwachen Menschen einen Grund dar, sich dem Satanismus zuzuwenden.
Die Geheimgesellschaft wird zu einem Bild und Projektionsort von Furcht und Faszination und stellt eine Form des Ausdrucks von grundsätzlichen, existenziellen Ängsten dar. Sie ist auch eine Antwort auf "die Neue Unübersichtlichkeit" der Moderne, dass die überschaubare, rational geordnete, eventuell demokratisch verantwortete Gesellschaft nur eine Maske für tatsächlich andere Machtverhältnisse sein könnte. So die Quelle aller Verschwöhrungstheorien. Umgekehrt richten sich utopische Hoffnungen auf geheime Gesellschaften - die wegen einem allgemeinen fortschrittsfeindlichen Klima - zunächst nur im geheimen wirken können. Sie sollten bereits erreichen, was die Gesellschaft als Ganzes so offensichtlich (noch) nicht zustande bringt: umfassende Aufklärung, Erziehung und Besserung des Menschengeschlechts.

Editorial "Sinn und Unsinn", Hans-Hermann Sprado, S.3,
"Warum sind Gehiemlehren so erfolgreich?", Michael Kneissler, S. 78-84,
PM Magazin - Magazin des Wissens, Nr. 08, 2011.

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