Zur Zeit der Weimarer Klassik um 1800 waren Goethe und
Schiller miteinander befreundet. Goethe schrieb die Tragödie des Dr. Fausts, eine
Auseinandersetzung mit Mephistopheles. Sein Freund Schiller stiftete mit dem
Wilhelm Tell den Urmythos der Schweiz. Er projezierte ein Arkadien, ein
Auenland in die damals ferne Alpenrepublik Schweiz. Sein Stoff ist ein Drama,
der Freiheitskampf der zukünftigen Schweizer gegen ihre Unterdrücker. Den
Abschluss findet die Tell Sage im Rütlischwur.
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.
Mit dem Bundesbrief von 1291 begann die Schweizer Eidgenosssenschaft. Zuerst
als ein Schutz- und Trutzbündnis von Uri, Schwyz und Unterwalden. Diesem
Nukleus der Urkantone schlossen sich immer mehr Kantone an. Bis 1797 hatte die
Schweiz ihre noch heute gültigen Grenzen ausgebildet. Mit der Gründung der
Schweiz als modernem Bundesstaat 1848 wurde die Schweiz zu einer Föderation, in
welcher vier Sprachen gesprochen wurden und zwei Konfessionen zu einem mehr
oder weniger friedlichem Zusammenleben fanden. Streitigkeiten zwischen den liberal-progressiven
und den konservativ-katholischen Kantonen führten 1847 zuerst zu einem kleinen
Krieg, dem Sonderbundskrieg. Nachdem das konservative Lager verloren hatte,
wurde die Schweiz in einen modernen Bundesstaat umgewandelt. Die Confoederatio
Helvetica wurde zu einem föderalen Bundesstaat nach US-amerikanischem Vorbild.
Die Bundesverfassung von 1848 war die erste Verfassung der Eidgenossenschaft,
die sich das Schweizer Volk selbst gab. Sie machte, weil die bürgerlichen
Revolutionen in den Nachbarländern scheiterten, die Schweiz für die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts zur demokratisch-republikanischen Insel inmitten
der Monarchien Europas. Da die Bundesverfassung in einem Bürgerkrieg wurzelte,
stand ihr das in diesem unterlegene katholisch-konservative Lager anfänglich
ablehnend gegenüber. Erst die Verfassungsrevision von 1874, welche den Übergang
von einer repräsentativen zu einer halbdirekten Demokratie einleitete,
ermöglichte die Aussöhnung der Katholisch-Konservativen mit dem liberalen
Bundesstaat.
Während den darauf folgenden drei deutsch-französischen Kriegen bewahrte die
Schweiz ihre Neutralität und konnte sich so aus dem Kriegsgeschehen
heraushalten. Bis heute hat sich die rund 500 Jahre alte Neutralitätsstrategie
- ungefähr seit Beginn der Neuzeit - für die Schweiz bewährt. Der einst armen
Alpenrepublik gelang die Industriealisierung. Dank sozialem Frieden und
politischer Stabilität konnte sich das Banken- und Versicherungswesen
erfolgreich entwickeln. Heute ist die Schweiz eines der reichsten Länder der
Welt und deswegen bis auf weiteres nur zu differenzierter Integration in die EU
bereit. Die bewaffnete Neutralität ist Kern des schweizerischen
Selbstverständnisses und hat sich bis heute bewährt.
Zusammen mit ihrem Reichtum gelang es dem Kleinstaat Schweiz auch wertvolles
kulturelles Kapital zu akkumulieren. Der religiöse Gegensatz zwischen
reformiert und katholisch fand einen friedlichen Ausgleich und kann auch als
Vorbild für andere Länder der Welt dienen. Als Willensnation von vier Kulturen
verbindet die Schweizer mehr als ihre Affinität mit der jeweiligen
Kulturnation. Für die Religionsgeschichte von weltweiter Bedeutung sind die
Reformatoren Calvin in Genf und Zwingli in Zürich geworden. Die Schweiz ist zum
Quellgebiet einer eigenständigen Tradition des Protestantismus geworden.
Insgesamt einer wohltuend liberaleren Variante.
Wie wir im nächsten Post sehen werden, ist es sehr häufig, dass es an Rändern
von Imperien und in Löchern von Denkkollektiven zu herausragenden Innovationen
gekommen ist. Heute liegt das europäische Zentrum der Erforschung des
Innenlebens der Materie in Genf und eine der bedeutensten
naturwissenschaftlich-technischen Universitäten Europas in Zürich, die ETH.
Finanziert wohl auch durch den wirtschaftlichen Erfolg der Banken und Versicherungen
vor Ort.
Zürich ist, dank seiner liberal-reformierten Tradition und genährt durch den
Wohlstand der Kapitalakkumulationsmaschine der Banken und Versicherungen, zu
einem Ort der Aufklärung geworden.
Neben dem Reichtum, den der Finanzplatz der Schweiz bringt, sind es aus
globaler Sicht drei Vorteile, welche für eine polyzentrische Finanzarchitektur
sprechen. Im Zeitalter der Hochleistungsrechner und des High Frequency Tradings
nimmt eine polyzentrische Börsenstruktur etwas an häufig überhitzter Geschwindigkeit
aus dem Handel. Zweitens kommt es durch die multipolare Netzwerkstruktur zu
einer vertiefteren Informationsverarbeitung. Schliesslich ist ein
Weltfinanzsystem, das über mehrere Finanzplätze abläuft im Falle eines
terroristischen Angriffs oder Krieges weniger verwundbar. Dies sind drei Gründe
aus globaler Sicht, welche in Zeiten der Konzentrierung der Kapitalmacht an der
Wallstreet für den Fortbestand eines starken Finanzplatzes Zürich sprechen.
Von Zürich aus können neue transnationale Netzwerke von Handel und Geld, aber
auch von Erkenntnissen und Ideen geknüpft werden, welche alte, nationale
Grenzen sprengen. Es scheint mir, als wäre die Rolle der Regulierungslücke
Schweiz, im Prozess der europäischen Integration das Element der Konkurrenz zu
betonen. Konkurrenz ist das alte Leitmotiv der Evolution und des Kapitalismus.
Es sorgt für fittere Akteure. Für die alten Dinosaurier und ehemaligen
Erzfeinde Frankreich und Deutschland hingegen, sollte das Ziel bleiben, zu
einem friedlicheren föderalistischen Herz in einem Europa differenzierter
Integration zu werden. Wichtig wird weiterhin der Ausbau des europäischen
Binnenmarktes sein und nach Ordo liberalem Leitbild eine wirksame
Wettbewerbskontrolle. Diese könnte irgendwann auf die globale Ebene ausstrahlen
und zur Entstehung einer Weltkartellbehörde im Rahmen der WTO führen.
Im Zeitalter der Globalisierung sind transnationale Verflechtungen von
Demokratie und Wirtschaft angesagt. Einmal die Stärkung von transnationalen
Konzernen und Finanzinstituten, anderseits der Ausbau transnationaler
Demokratie im Sinne des opportunity states, welcher transnationale innovative
Inklusion ermöglicht. Falls es zu einer zu einseitigen Globalisierung der
Weltwirtschaft kommt, wird sich der Gegensatz zwischen international
orientierten, gebildeten Gewinnern und national orientierten, ungebildeten
Verlierern verschärfen. Dies birgt die Gefahr von wieder aufkeimendem
Nationalismus in sich. Nationen sind Konstrukteure von mächtigen kollektiven
Identitäten. Nationalismus ist mehr als der Narzissmus des kleinen Unterschieds.
Mangelt es an individueller Anerkennung, versucht „man“ sich mit etwas
grösserem zu identifizieren – der Nation. Ein solches Stimmungsgemenge kann in
blutigen Kampf und Krieg umschlagen.
Ein Mittel gegen den Virus des Nationalismus ist eine multikulturelle Orientierung.
Die Schweiz mit ihren vier Kulturen ist dafür ein hervorragendes Laboratorium.
Ein Aspekt kulturellen Kapitals ist die komplexe "Feldstruktur" der
Zeichen und Symbole. Hier geht es um Semiotik. Für eine Kulturfusion hat die
schweizerische Ausformung der drei Hochkulturen Deutschlands, Frankreichs und
Italiens, und nicht zu vergessen das Vulgärlatein Rumantsch, den Vorteil, dass
die jeweilige Sprache etwas entschleunigt ist. Ein Vorteil, wenn ein kultureller
Fusionsprozess in Gang gesetzt werden soll. Diese abstrakt-semiotische
Argumentation meint nun nicht nur den konkreten Vorteil, welcher ein
langsameres Sprechtempo Einsteigern in eine Fremdsprache bietet, sondern zielt vor
allem auf die Ebene des Unbewussten, dessen Strukturierung und Codierung (frei
nach Lacan).
Die gute "Feldstruktur" der schweizerischen Semiotik ist wertvolles,
kulturelles Kapital. Sie kann aber auch einen Beitrag dazu leisten, das
Gespenst des aggressiven Nationalismus anderswo etwas zu entschärfen. Als ein
reiches Land mit alter liberaler, multikultureller Tradition kann sie zu einem
Ort gelebter weltanschaulicher, religiöser und sexueller Toleranz mit
Ausstrahlung weit über ihre eigenen Landesgrenzen hinaus werden. Dabei bereichern
auch die Homosexuellen - als eine Pfauenfeder mehr der Evolution – das semiotische
Feld pluraler Vielfalt.
Als kleines Land, auf der Höhe der modernen Neurowissenschaften und der
Bewusstseinsphilosophie, kann die Schweiz helfen, dass sich entwickelnde
Paradigma des modularen Denkens als neues Muster im Bereich der internationalen
Beziehungen voranzutreiben. Es ist ein Denken, dass weniger von den alten griechisch-römischen
Tempeln und ihren tragenden Säulen geprägt ist, als vielmehr von sich
ausbreitenden, überlappenden und z.T. auch konkurrenzierenden transnationalen
Netzwerken, welche mehr der Geographie der Probleme entsprechen [Alexandre Frey]. Damit sind
Netzwerke verschiedenster Art gemeint: von der Wirtschaft, zur humanitären
Hilfe, in den Bereich der Politik, bis hin zur Sicherheitspolitik.
Dadurch könnten vielleicht auch, neben dem zweiten Sitz der VN in Genf, etwas
ausserhalb des angelsächsischen Hegemonialbereichs, wertvolle Muster für eine
insgesamt dynamischere, aber auch
friedlichere Welt gelegt werden.
Der Traum einer friedlichen Weltrepublik einer geeinten Menschheit wird sich
wahrscheinlich erst im 23. Jahrhundert verwirklichen lassen. Bis dann wird es
jedoch noch zu zahlreichen Wirtschaftskrisen und internationalen Kriegen
kommen. Ein Hauptgrund dafür liegt in der Ressourcenknappheit. Diese kann im
globalen Massstab erst durch weiteren fundamentalen
wissenschaftlich-technologischen Fortschritt überwunden werden. Vielleicht wird
einmal so etwas wie ein Materiewandler möglich werden. Dazu werden wahrscheinlich aber
enorme Energiemengen notwendig sein, welche vielleicht einmal Solarkollektoren
in orbitaler Position um die Sonne liefern werden.
Weitere zuvor noch zu lösende Probleme sind, der Clash of Civilisations, der
Kampf zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten Kulturen und die Globalisierung
der Staatsform der Demokratie. Die polyarchischen Strukturen der Demokratie
erlauben ein friedlicheres Zusammenleben.
Warum reicht aber eine Universalisierung der Demokratie nicht aus, um den
Weltfrieden für immer zu sichern, wie dies Kant Ende des 18, Jahrhunderts
gefordert hat? Dies liegt in der Konfliktnatur des Menschen begründet. Neben
Liebe und Freundschaft ist er auch von einem Drang nach Anerkennung und von
Gefühlen von Neid getrieben. Die zukünftige Entwicklung wird eine auf Messers
Schneide sein, was den weiteren Einsatz der modernen Technik und Wissenschaft
anbelangt. Vielleicht hat sich die Menschheit bereits vor Ende dieses
Jahrhunderts selbst vernichtet. Wissenschaft und Technik zur Überwindung von
Ressourcenknappheit und zur Verbesserung der Lebensqualität sind ein
Zivilisationsgut. Missbraucht jedoch, können sie zu Waffen unsagbarer
Grausamkeit werden.
Deswegen sind kollektive Massnahmen zur Vertrauensbildung und Friedenssicherung
von grosser Bedeutung. Die OSCE ist ein Beispiel für solche Prozesse.
Die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technik, als Voraussetzung für die
Möglichkeit der Entstehung einer Weltrepublik im 23. Jahrhundert setzt den
innovativen Zusammenschluss immer grösserer Denk- und Forschungskollektive
voraus.
Bis zum nächsten zivilisatorischen Quantensprung hin zu einer friedlicheren
Weltrepublik - vielleicht verwirklicht im 23. Jahrhundert - bleibe ich meinem
Heimatland der Schweiz treu. Bis dann, Ahoi Schweiz als grünes Auenland
geschützt vor den heranstürmenden Horden Saurons!
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