Freitag, 5. April 2013

Wem Gott fehlt

NZZ Podium "Glaube" in Luzern, 28.8.2012

Beim NZZ-Podium zum Thema Glaube im Rahmen des Lucerne Festival diskutierten am Sonntag der Schriftsteller Martin Walser, die Wiener Theologin Susanne Heine und Kardinal Kurt Koch.   


sbe. Mit dem Schriftsteller Martin Walser, der Wiener Theologin Susanne Heine und Kardinal Kurt Koch war das NZZ-Podium «Glaube», das am Sonntag als Gastveranstaltung im Rahmen des Lucerne Festival unter der Gesprächsleitung des NZZ-Feuilletonchefs Martin Meyer über die Bühne ging, hochkarätig besetzt. In seinem Eingangsreferat «Umgang mit Unsäglichem» lotete Walser beredt, belesen und beseelt die Zumutungen und Paradoxien aus, die der Glaube an die mögliche Wirklichkeit Gottes dem Menschen abverlangt. Denn Glauben entziehe sich dem Wissen, man könne ihn nur in der Gegensätzlichkeitsform, durch den ewigen Selbstwiderspruch des Ja und des Nein fassen, betonte er in Referenz auf Hölderlin und Nietzsche, Kierkegaard und Karl Barth. Die Gewissheit des Glaubens werde kenntlich allein an der Ungewissheit, so dass vom Glauben schon abfällt, wer ihn direkt formuliert oder positiv setzt. Gott zeige sich durch seine Abwesenheit, im fundamentalen Schmerz, der uns als Sehnsucht erfülle: «Gott ist nicht tot – er fehlt.» Jeder, so Walser, habe als leiseste Stimme die «Gebetsstimme» in sich (die im Übrigen sein Werk durchziehe), doch leider fehle es der Gegenwart an Gehör für die «Irrsinns-Frequenz des Glaubens». Diese manifestiere sich freilich auch im Schönen.

Die Aufgabe der Kirche

Susanne Heine, die aus Walsers Ausführungen über die Sinngebung des Sinnlichen eine leise Kritik des Evangelischen heraushören wollte, unterstrich den Gedanken, dass Glaube etwas sei, zu dem man durch eine Einleuchtung verführt werde, man also nicht glauben wollen könne. Kardinal Koch seinerseits betonte in Reaktion auf Walser, dass der Glaube im Christentum das Sekundäre sei, als unsere Antwort auf das Erscheinen Christi. Gott habe sich in der Menschwerdung und im Opfertod seines Sohnes sowie in der Heiligen Schrift offenbart. Daher sei Glaube nicht einfach ein diffuses Gefühl, sondern eine personale Beziehung. Martin Meyer, der versuchte, die Diskussion vom Existenzialphilosophischen auf das Institutionelle und dessen Problematik hin zu lenken, wurde von Koch zu bedenken gegeben, dass die Kirche das zu verwirklichen trachte, was Jesus gewollt habe: nämlich nicht nur den Einzelnen zum Glauben zu bewegen, sondern im Namen Gottes eine Gemeinschaft zu stiften – weshalb die Kirche als solche Teil des Glaubens sei. Freilich wollte Kardinal Koch festgehalten wissen, dass diese Aufgabe eine grosse Überforderung sei.
Martin Walser gab an, stark institutionell geprägt zu sein, ohne dass dies Spuren hinterlassen habe. Seine Mutter sei von einer mittelalterlich festen Gläubigkeit gewesen, ohne dass der Glaube ihr die Angst vor dem Tode habe nehmen können. Susanne Heine betonte die Wichtigkeit, positive Bilder von Gott zu entwerfen. Wohl gehe dem Glauben voraus, dass uns, zwischen Autonomie und Bedürfnis nach Zugehörigkeit, ein tragisches Licht über uns selbst aufgehe, doch sei ihm auch der Eros des Erkennens inhärent. Kardinal Koch wollte festgehalten haben, dass die katholische im Gegensatz zur evangelischen Kirche den Menschen weniger als Sünder denn als gelingendes Geschöpf Gottes sehe. Denn Christus habe uns durch den Tod am Kreuz von den Sünden erlöst. Schuldig werde der, der hinter seinen Möglichkeiten als Mensch zurückbleibe. Martin Walser erinnerte in diesem Zusammenhang an die Beichte, die er als «Lüge auf höchstem Niveau» erlebte. Diese indes habe «eine Geräumigkeit der Seele geschaffen, von der ich ein ganzes Leben lang profitiert habe».

Die Frage nach dem Islam

Auf die Frage Martin Meyers, wie junge Leute an den Glauben heranzuführen seien, wies Susanne Heine auf die Wichtigkeit einer glaubwürdigen Gemeinde hin, die ein Netzwerk gegenseitiger sozialer Hilfe darstelle. Es gelte, eine zeitgenössische Sprache des Glaubens zu entwickeln, die ewige Wiederholung religiöser Formeln finde heute keine Abnehmer mehr. Martin Walser forderte emphatisch, dass die Bibel als «grösstmögliche Literatur» zu lesen sei, worin Kardinal Koch eine Verwässerung erblickte – die Heilige Schrift sei eben nicht nur menschliche Literatur.
Am Ende warf Meyer die Frage nach der Attraktivität und der Gefährlichkeit des Islam auf. Koch sagte, man solle weder blauäugig noch hysterisch sein. Es gebe viele divergente Strömungen im Islam. Was das Christentum habe lernen müssen, der Verzicht auf weltliche Macht und die Trennung von Kirche und Staat, stehe diesem erst noch bevor – er sei skeptisch, ob das so schnell gelingen könne, wie es nötig sei. Susanne Heine wies auf zu wenig bekannte reformistische Strömungen im Islam hin, auch gebe es Länder wie die Türkei, wo Kirche und Staat getrennt seien (wobei ihr entging, dass die Türkei seit Atatürk eine laizistische Verfassung hat). Walser wollte sich der Stellungnahme auf dem west-östlichen Diwan lieber enthalten.

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