Donnerstag, 30. Dezember 2010

Rückblick und Ausblick

Seit zwei Jahren gibt es nun meinen Blog. Für mich eine wertvolle Hilfe um meine Gedanken zu sortieren. Wobei auch immer wieder das Abgründige ein Thema ist. Die Grundausrichtung ist aber hoffnungsvoll.
Was die Besucherstatistik anbelangt freut es den Blogger natürlich, dass "Evolutionäre Spiritualität" so regen Zuspruch findet. Von Anfang 2009 bis heute: 4695 Besuche von 2797 Besuchern aus über 52 Ländern aus allen Kontinenten dieser Erde!
Ich beabsichtige auch im 2011 weiter zu bloggen. Allerdings wird es das letzte Jahr für diesen Blog sein.

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Dem Tod können wir unseren guten Glauben an ein Ewiges Leben entgegen stellen und, wenn uns das nicht möglich ist, vielleicht das eine oder andere Wort, das sich in uns festgesetzt hat als Anker, als Widerpart gegen die heillose und bedrohliche Bodenlosigkeit unserer irdischen Existenz. – Man sah es den Wegen am Abendlicht an, dass es Heimwege waren. Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Klaus Merz, aus der Predigt zum Eidg. Buss- & Bettags-Gottesdienst im Grossmünster, 19.7.10

Freitag, 17. Dezember 2010

Christlicher Fundamentalismus

Zur Debatte stehen:

Die Irrtumslosigkeit der Bibel,

die Jungfrauengeburt,

die Gottheit Jesu Christi,

das stellvertretende Sühneopfer,

die leibliche Auferstehung

und Wiederkunft Jesu Christi.

"Wie komme ich dazu, ausgerechnet im Gottesdienst beim Sprechen des Glaubensbekenntnisses vor allen Leuten regelmäßig zu lügen?
Ich kann doch nicht glauben, dass Jesus vom heiligen Geist gezeugt wurde.
Ich kann nicht glauben, dass Maria Jesus als Jungfrau zur Welt gebracht hat.
Ich kann nicht glauben, dass Jesus nach drei Tagen körperlich auferstanden ist.
Diese Sätze sind eine Aneinanderreihung von Aussagen, die mir viel über frühere Traditionen und Glaubenshaltungen sagen, aber die ich schlichtweg nicht glauben will." Kirchentagspräsident Martin Dolde (2000, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Frankfurt am Main 2001, Leitung des Gesprächskreises "Offene Kirche", DIE WELT v. 26.08.2000)

Als aufgeklärter Mensch kann man heute keines dieser klassischen, christlichen Dogmen mehr ernst nehmen! Es sollte nicht nur vor unglaubwürdigen Erleuchtungserlebnissen in östlichen Religionen (Hinduismus und Buddhismus) gewarnt werden. Der eigene, biblische Glaube ist ähnlich unglaubwürdig. Da war ziemlich sicher kein Heiliger Geist, der die Bibelchronisten inspirierte, und es gab keine göttliche Wunder, welche den Naturgesetzen widersprechen!
Was bleibt? - Vieleicht das Kreuz als Symbol für das Mass an übermenschlicher Leidensbereitschaft eines guten Menschen für eine Gute Sache!

Sicher hätte es mehr solche Christen-Menschen z.B. während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland gebraucht. Einer Zeit als noch etwa 95% der Deutschen einer der beiden christlichen Konfessionen angehört haben. Denn: "Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir" Dr. Joseph Goebbels (30. April 1928, 1933 - 1945 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Was wollen wir im Reichstag?, Der Angriff. S. 1).

Und ein Unterstüzer dieser Bewegung war Martin Heidegger, wenn er verlauten lässt, dass: "Ich erwartete vom Nationalsozialismus eine geistige Erneuerung des ganzen Lebens, eine Aussöhnung sozialer Gegensätze und eine Rettung des abendländischen Daseins vor den Gefahren des Kommunismus.
Diese Gedanken wurden ausgesprochen in meiner Rektoratsrede (haben Sie diese ganz gelesen?), in einem Vortrag über 'Das Wesen der Wissenschaft' und in zwei Ansprachen an die Dozenten und Studenten der hiesigen Universität." Prof. Dr. Martin Heidegger (1947, Philosoph, Martin Heidegger Gesamtausgabe GA 16, Vittorio Klostermann Verlag, GA 16, S. 430).

Ist also die Philosophie von Heidegger faschistoid? - Heidegger ist auf alle Fälle ein unbequemer Denker. Und gerade "sein kaltes Herz", sein feines Gespür für die Abgründigkeit des menschlichen Daseins ist die Herausforderung. Während es beim christlich-existenziellen Denker Kirkegaard noch einen "Sprung in den Glauben" gibt, ist es bei Heidegger die Todesangst, die uns erzittern lässt und angeblich erst zum wahren Seinsverständnis führt.

Und der ganz grosse Vordenker in Sachen Nihilismus ist natürlich Nietzsche:
"Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?
Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend?
Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten?
Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?
Haucht uns nicht der leere Raum an?
Ist es nicht kälter geworden?
Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?"
Friedrich Nietzsche (1844 - 1900, Deutscher Philosoph, Die fröhliche Wissenschaft, München 1959, S. 166 f).

Gegen diese Unheimlichkeit kann der Geist (nicht das wörtliche Verständnis!) der biblischen Botschaft von einem guten Gott und einem guten Ende (individuell, wie kollektiv) zur Gegenkraft werden!

"Hat die Evangelische Kirche somit nur die Wahl zwischen Verlogenheit und Selbstaufgabe? - Nein, nicht unbedingt. Die EKD könnte sich durchaus ganz offiziell von der Doktrin einer Realexistenz Gottes verabschieden, und den Gottesbegriff statt dessen als memetisches [Prozess der Evolution von Kultur] Konstrukt auffassen, welches für die personifizierte Projektionsfläche menschlicher Werte und (realistischer) Hoffnungen steht.
Täuflinge würden dann beispielsweise nicht mehr auf die patriarchale Dreier-Combo „Vater, Sohn und Heiliger Geist“ getauft, sondern auf „Liebe, Güte und Gerechtigkeit“.
Das apostolische Glaubensbekenntnis, welches von der Mehrheit der Kirchgänger ohnehin nur noch heruntergeheuchelt wird, würde einfach weggelassen. Viele Rituale, die ja sehr wohl einen psychologischen Zweck erfüllen, könnten durchaus bleiben, erführen aber eine zeitgemäße Interpretation.
Die Evangelische Kirche würde gewissermaßen zu einer spirituellen Variante der Aufklärung."
Dr. Michael Seeber (06.12.2008. Die Evangelische Kirche & die atheistische Erschaffung der Welt, Evo-Magazin, Darwin Jahr).

Aus historischer Perspektive ist noch anzuführen:
"Mit der Reformation wurde ein Bildungsvorgang ungeheuren Ausmaßes ausgelöst. […] Insofern ist die Reformation auch Wegbereiter für die Individualität der Moderne, für das Zeitalter der Aufklärung.
Mit der historisch-kritischen Exegese begann im 19. Jahrhundert dieser Vorgang auch die Bibel selbst zu ergreifen.
Es wurde deutlich: Hier hat nicht Gott sozusagen in die Feder diktiert, sondern Menschen haben ihre Glaubenserfahrung zu unterschiedlichen Zeiten zu Papier gebracht."
Bischöfin Dr. Margot Käßmann (2005, Oktober 2009 - Februar 2010 Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, Impulspapier - Strategien für die Gesellschaft von morgen).

Weitere interessante und kritische Zitate zum Thema christlicher Fundamentalismus findet man unter:
Fundamentalismusdebatte

Und für jeden, der sich für den "Geist der biblischen Botschaft" interessiert gibt es zwei Möglichkeiten:
a) Entweder die ganze Bibel von A bis Z, bzw. von Genesis bis zur Endzeit des Johannes zu lesen, in ihrer alten, verstaubten Sprache (variiert ein bisschen je nach Übersetzung). Oder:
b) Eine eingängige Übersetzung in die Form des Fernsehfilms. In den 90er Jahren wurden von einem transatlantischen Konsortium die wichtigsten Kapitel der Bibel in 17 Filme übersetzt und gefilmt. In ca. 37 Stunden kann man sich so gemütlich vor dem Fernseher die Bibel anschauen. Wer daneben noch das Original ein bisschen quer liest, stellt fest, dass die Umsetzung ziemlich gut gelungen ist.
Die Bibel - Gesamtedition

Heaven or Hell? II

Long ago there lived an old woman who had a wish. She wished more than anything to see for herself the difference between heaven and hell. The monks in the temple agreed to grant her request. They put a blindfold around her eyes, and said, "First you shall see hell."
When the blindfold was removed, the old woman was standing at the entrance to a great dining hall. The hall was full of round tables, each piled high with the most delicious foods: meats, vegetables, fruits, breads, and desserts of all kinds! The smells that reached her nose were wonderful. The old woman noticed that, in hell, there were people seated around those round tables. She saw that their bodies were thin, and their faces were gaunt, and creased with frustration. Each person held a spoon. The spoons must have been three feet long! They were so long that the people in hell could reach the food on those platters, but they could not get the food back to their mouths. As the old woman watched, she heard their hungry desperate cries. "I've seen enough," she cried. "Please let me see heaven."
And so again the blindfold was put around her eyes, and the old woman heard, "Now you shall see heaven." When the blindfold was removed, the old woman was confused. For there she stood again, at the entrance to a great dining hall, filled with round tables piled high with the same lavish feast. And again, she saw that there were people sitting just out of arm's reach of the food with those three-foot long spoons. But as the old woman looked closer, she noticed that the people in heaven were plump and had rosy, happy faces. As she watched, a joyous sound of laughter filled the air. And soon the old woman was laughing too, for now she understood the difference between heaven and hell for herself. The people in heaven were using those long spoons to feed each other.

Freitag, 10. Dezember 2010

Das grosse Abenteuer der Entwicklung & das Mitgefühl!

Gegen all das Abgründige und Negative hilft den Blick für das Zuversichtliche und Positive zu schärfen. Wir sind ein verantwortlicher Teil eines grossen Abenteuers der Entwicklung!

"Die Geschichte des Lebens und die Geschichte der Menschheit ist - trotz aller Schattenseiten - ein atemberaubendes Faszinosum, und auf das Ganze gesehen ist die Fähigkeit zu Weiterentwicklung und Fortschritt doch unübersehbar. Wir haben Verantwortung nicht nur für uns selbst. Wir haben Verantwortung auch für den Sinn des Strebens, Leidens und Sterbens unserer Vorfahren. Wir haben Verantwortung für die Lebenschancen unserer Nachfahren. Wir sind Staffelläufer in einem Wettkampf, der vor Jahrmilliarden im Urmeer startete. Wir wirken mit an einer riesigen Kathedrale, deren Bau vor Jahrtausenden begonnen wurde, für dessen Gelingen Millionen von Menschen Schweiß und Blut gegeben haben. Und wenn wir in Momenten der Entmutigung auf Abstand gehen und uns all das bewusst machen, dann werden wir spüren: Niemals dürfen wir zulassen, dass die gewaltige und wunderbare Kathedrale der menschlichen Kultur vollends einstürzt oder gar der Staffellauf des Lebens zum Erliegen kommt." Dietmar Hansch

Ist dabei vielleicht eine "Religion jenseits von Glaube" (religion beyond belief) das Zentrale? Rev. Peter Morales (Präsident der UUA) ist überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Entscheidend für ihn ist die Liebe und das Mitgefühl, nicht das Glaubensbekenntnis!

"As UUs we don’t have to get into the endless discussions of whose beliefs are the right ones. We can concentrate on being religious in the true sense of the word – being faithful to what we love. So the questions we must ask ourselves are: What do we love so much that we are moved to tears? What gives us unspeakable joy? What gives us peace beyond understanding? What do we love so much that it calls us to action? What do we care about so deeply that we willingly, joyfully, devote our lives to it? These questions lead us to ask how we shall live individually and as a community, and we discover that we love the same things and that we need each other."

"We don't have to think alike, to feel alike!"

Mittwoch, 8. Dezember 2010

The Pluralism Project

What is Religious Pluralism?

The plurality of religious traditions and cultures has come to characterize every part of the world today. But what is pluralism? Here are four points to begin our thinking:
  • First, pluralism is not diversity alone, but the energetic engagement with diversity. Diversity can and has meant the creation of religious ghettoes with little traffic between or among them. Today, religious diversity is a given, but pluralism is not a given; it is an achievement. Mere diversity without real encounter and relationship will yield increasing tensions in our societies.
  • Second, pluralism is not just tolerance, but the active seeking of understanding across lines of difference. Tolerance is a necessary public virtue, but it does not require Christians and Muslims, Hindus, Jews, and ardent secularists to know anything about one another. Tolerance is too thin a foundation for a world of religious difference and proximity. It does nothing to remove our ignorance of one another, and leaves in place the stereotype, the half-truth, the fears that underlie old patterns of division and violence. In the world in which we live today, our ignorance of one another will be increasingly costly.
  • Third, pluralism is not relativism, but the encounter of commitments. The new paradigm of pluralism does not require us to leave our identities and our commitments behind, for pluralism is the encounter of commitments. It means holding our deepest differences, even our religious differences, not in isolation, but in relationship to one another.
  • Fourth, pluralism is based on dialogue. The language of pluralism is that of dialogue and encounter, give and take, criticism and self-criticism. Dialogue means both speaking and listening, and that process reveals both common understandings and real differences. Dialogue does not mean everyone at the “table” will agree with one another. Pluralism involves the commitment to being at the table - with one’s commitments.
Diana L. Eck

The Pluralism Project, Harvard University
IRAS COTIS, Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz

"The Road"

Und die Erde war wüst und leer

Apokalypse in allen Kinos: Noch nie gab es so viele Endzeitfilme. Was John Hillcoats "The Road" über unsere Ängste sagt. Von Evelyn Finger, Die ZEIT, 07. Oktober 2010, Nr. 41

Die Welt nach dem Ende der Welt hat keinen Himmel mehr, und das Unkraut, durch das die zwei letzten Menschen waten, zerfällt um sie herum zu Staub. Unter aschgrauen Wolken wandern sie durch eine Ödnis voll toter Bäume und zerborstener Autobrücken. Der Asphalt der Straßen ist eine schwärende Wunde. An Strommasten hängen zerfetzte Kabel. Ewig schon sind Vater und Sohn unterwegs, so müde vom Hunger, zermürbt von Kälte, dass sie manchmal wünschten, ihre Herzen wären aus Stein. Und immer die Angst, doch noch andere Überlebende zu treffen, die vielleicht auf der Jagd nach Menschenfleisch sind. Was ist das Schlimmste am Weltuntergang? Ihn zu überleben? Nein. Ihn nicht allein zu überleben.
Denn die Apokalypse, das ist der Mensch selbst. So lautet die Botschaft von John Hillcoats Film The Road – Die Straße , nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy. Er handelt von dem verzweifelten Versuch eines Vaters, sein Kind vor Kannibalen zu beschützen und sich in der Wolfszeit etwas wie Würde zu bewahren. Hillcoats Endzeitdrama ist nun schon das fünfte innerhalb eines knappen Jahres. So viel Weltuntergang war nie. Früher ließen uns die Kinoregisseure noch Luft holen zwischen Armageddon und The Day After Tomorrow. Aber jetzt setzen sie uns unter Dauerfeuer: Erst kam die Sintflut (2012), dann der totale Krieg der Welten (Avatar), der Luftangriff der Erzengel (Legion), der blutspritzende Wettlauf um das letzte Exemplar der Bibel (The Book of Eli) und schließlich die Reise der lebenden Toten durchs Kannibalenreich.
Wovor haben wir solche Angst? Langsam wird es Zeit, zu fragen, welchem Lebensgefühl die apokalyptischen Bilder entspringen und auf welche kollektiven Sehnsüchte die wenigen tröstlichen Pointen zielen. Immerhin handelt es sich hier um Offenbarungsfilme für ein Millionenpublikum. Warum sehen wir die Zukunft so schwarz? Glauben wir neuerdings wieder an einen strafenden Gott und sein Jüngstes Gericht? An Erlösung glauben wir jedenfalls nicht. Denn im Endzeitkino der Gegenwart gibt es keine Erretteten, nur Verdammte. Und jede Zuflucht erweist sich als Täuschung. Einmal finden Vater und Sohn auf ihrem Streifzug durch verlassene Häuser eins, das halbwegs heil ist. Sie stöbern in der Küche nach Essbarem, entdecken die Kellerklappe und brechen sie auf. Doch die Vorräte, die sie dort unten finden, sind entsetzlich: Wimmernd stürzen nackte Menschen aus dem Dunkel, wo sie als lebendes Futter eingesperrt waren.
Nach dem Jüngsten Gericht sollte das Reich Gottes kommen. Fällt aber aus. Hier ist nicht nur die Hölle, sondern der innerste Kreis der Hoffnungslosigkeit. Die unsichtbare Inschrift am Höllentor lautet wie schon in Dantes Inferno: »Durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze. Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!« Mühsam nur entkommen unsere Helden den Krallen der verzweifelten Opfer und schlagen die Kellerklappe zu. Dann fliehen sie, als wäre der Teufel hinter ihnen her.
Nach christlicher Vorstellung bestand die Apokalypse aus zwei Teilen. Erst Vernichtung, dann Erlösung. Erst Gerichtstag, dann Reich Gottes. Leider fehlt in den modernen Unheilsprophetien der zweite Teil. Das Verheißene wird von der Endzeit verschluckt. Es gibt keine Zeit nach der Zeit. Einige zwar haben den Jüngsten Tag überstanden, doch das nützt ihnen nichts, denn er bricht immer von Neuem an. Warum? Weil die Menschen vom Glauben an sich selbst abgefallen sind. »Wenn Gott uns Menschlichkeit geschenkt hat«, heißt es in The Road, »haben wir sie längst verloren.«
Tatsächlich kommt man mit Mitleid oder ähnlich altmodischen Tugenden in der letzten Welt nicht weiter. Eine andere Szene. Da treffen Vater und Sohn einen Greis, der noch erschöpfter ist als sie. Um seine Füße sind Lumpen gewickelt, in sein verwittertes Gesicht haben sich die Furchen jahrelanger Schlaflosigkeit gegraben. So sieht einer aus, der nie mehr Obdach findet. Aber er ist mehr als ein Obdachloser, nämlich moralischer Prüfstein für alle Vorbeikommenden. Können wir ihm helfen?, fragt das Kind. – Nein!, antwortet der Vater. – Können wir wirklich nicht? – Nein. Er wird sterben. Wir können, was wir haben, nicht mit ihm teilen, sonst sterben wir auch.
So ziehen sie weiter. Die gesenkten Köpfe der beiden zeigen die Scham über ihre Entschuldigung, die sie selber nicht gelten lassen. Der Zuschauer aber muss sich fragen, welche Entschuldigungen er hat. Wo er Hilfe verweigert, obwohl er sie sich leisten könnte. Der Alte aus The Road verkörpert das schlechte Gewissen einer Gesellschaft, die das Gebot der Nächstenliebe nie ganz umgesetzt hat. Damit sind wohl wir gemeint. Die Verlorenheit der Filmfiguren, ihre transzendentale Obdachlosigkeit ist unsere. Später im Wald, nachdem Vater und Sohn die letzte rostige Konservendose geleert haben, fragt das Kind: Sind wir noch die Guten? – Ja. Wir sind die Guten. – Werden wir es immer sein? – Immer. – Okay.
Wie schwer es für die letzten Menschen ist, gut zu sein. Wie leicht dagegen für uns. Dass heutige Kinoregisseure uns diese uralte Moral nicht mit der Keule predigen, sondern lakonisch, actionreich und manchmal sogar mit Witz, darin liegt ihre missionarische Kraft. In Book of Eli gibt es eine Szene, da erzählt Denzel Washington in der Rolle des letzten Gerechten einem jungen Mädchen von der Bibel. An diese berühmte Schwarte kann sich ja kaum noch einer erinnern, jetzt, dreißig Jahre nach Armageddon. Eli, der Hüter der allerletzten Bibel und Besitzer eines antiken iPods, gilt als Irrer, denn er rettet fremde Menschen vor marodierenden Banden. Als wollte er beweisen, wer sich dem Gesetz der Straße unterwirft, dem wird sich der Geist Gottes nie offenbaren. Dem bleibt die Heilige Schrift für immer verschlossen. Eli betet oft und rezitiert gern Poetisches wie: »Ich bin die Blume des Lichts im Feld der Finsternis.« Wow, sagt das Mädchen, ist das aus deinem Buch? Nein, sagt Eli, das ist von Johnny Cash.
Aber zurück zur gefühlten Gefahr. Was ist momentan unsere größte Angst? Terror, Atomkrieg, Klimakatastrophe? Nein. Da geben die Studien deutscher Versicherungskonzerne dieselbe Auskunft wie die Filme aus Amerika: Armut. Also die Kehrseite dessen, was wir schon kennen: Erfolgsstreben, Apologie sinnlosen Konkurrenzgehabes, Verteilungskampf aller gegen alle. Das erleben wir, verdichtet auf eine einzige karge Erzählung, in The Road. Anschließend erscheint uns das biblische Versprechen, dass der Kampf der Guten gegen die Bösen zugunsten der Guten entschieden werden wird, als noch frommeres Ammenmärchen. Und gerade deshalb trifft uns die neue zynische Apokalyptik-ohne-Heil mitten ins Herz.
Trotzdem predigt das Endzeitkino die frohe Botschaft: Seid menschlich! Ganz am Ende aber, wo die Straße aufhört und die Filme fast aus sind, wird die Menschheit immer ein bisschen gerettet. Eli erreicht die Küste. Vater und Sohn sehen das Meer. Das kitschige Happy End ist zugleich auch die Botschaft. Seid menschlich! Rettet die Welt! Dahin geht offenbar des Publikums sentimentale Sehnsucht. Es muss nur bedenken, dass die Welt ein ziemlicher Brocken ist, man rettet sie nicht allein. Es reicht nicht das Credo von Eli, für andere mehr zu tun als für sich selbst. Man braucht auch Schützenhilfe. Man muss die Schützen prüfen. Mit den Worten des Kindes: Bist du einer von den Guten? Woher weiß ich, dass du einer von den Guten bist?
The Road, Filmbesprechung

"The Road",
 offizieller Trailer

"Die Strasse", Buchrezension des gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy in der ZEIT

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Bleibt die Frage, warum ich dieser Film-Rezension soviel Platz in meinem Blog einräume? - Zunächst einmal, weil der Film sehr eindrücklich ist! Und einerseits glaube ich, dass Menschen Geschichten brauchen, um unserer Welt Sinn zu verleihen. Anderseits sind Mythen und Legenden (seien es die alten Mythen der Heiligen Schriften oder neue Geschichten über Gut und Böse) wichtig, da Menschen in ihnen existenzielle Gefühle leben können. Und um mit diesen existenziellen Ängsten besser klar zu kommen, sollte man sich vielleicht von Zeit zu Zeit angstmachenden Situationen stellen. Denn Angst baut sich ab, wenn man sie eine Zeit lang ausgehalten hat. Die Angst wird dann quasi "verlernt".

Samstag, 4. Dezember 2010

Phasen der Trauer

Starke Trauer ist gewöhnlich zeitlich begrenzt und kann in verschiedene Phasen unterteilt werden. Trotzdem können sich Trauernde oftmals gar nicht vorstellen, jemals wieder frei von Trauer um den geliebten Menschen zu sein. Die Heftigkeit des Gefühls nimmt jedoch mit der Zeit ab. In diesem Zusammenhang muss auch von Trauerarbeit gesprochen werden. Wobei dies bedeutet, dass ein Trauernder bestimmte Phasen des Trauerprozesses druchleben muss, um den erlebten Verlust verarbeiten zu lönnen.

Der Trauernde muss
1) zunächst den Verlust als solchen akzeptieren,
2) lernen "loszulassen",
3) neue Verhaltensmuster finden, in denen der Verstorbene keinen Platz mehr einnimmt,
4) die emotionale Energie, die auf den Verstorbenen gerichtet war, von diesem abziehen und diese Energie in andere Beziehungen "investieren".

Mit der Trauer ist normalerweise ein "Chaos der Gefühle" verbunden: Verzweiflung, Angst, Ohnmacht, Schuldgefühle, Wut und Gefühle der Entfremdung vom Alltag. Der Weg aus diesem Chaos führt aber nur durch einen Trauerprozess, der die entscheidenden vier Phasen durchlebt: Akzeptanz des Verlustes, Loslassen und Finden neuer Verhaltensmuster und Lebensweisen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwer ein solcher Prozess sein kann. Wenn man mit dem Verstorbenen so stark verbunden war, dass er quasi zu einem Teil des eigenen Selbst geworden ist, kann man sich vorstellen, wie "anstrengend" die "Trauerarbeit" sein kann. Wichtig ist aber, dass man weder versucht krampfhaft an der Trauer festzuhalten, noch versucht vor der Trauer zu fliehen. Der Verlust muss verarbeitet werden. Wobei die Hinterbliebenen dafür meist mehr Zeit benötigen, als es ihre Umgebung für nötig und wünschenswert hält.

Ohne den Tod wären alle Kreaturen für immer an eine unvollkommene Form des Lebens gebunden.
Sri Aurobindo, Kaskaden des Lichts

So ist also der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.
Epikur, Philosophie der Freude