Sonntag, 31. Januar 2010

Wege aus der Krise - Ein kommunikativer Versuch

In Krisenphasen fehlen Strukturen und Zukunftsvertrauen. Regeln des Denkens und Handelns verlieren ihre Selbstverständlichkeit. In der Krise ist Orientierung das entscheidende Problem. Nach der Anomie-Theorie sozialen Handelns sind gewisse Ziele dem Menschen durch internalisierte soziale Zwänge vorgegeben. Meistens werden die internalisierten gesellschaftlichen Ziele und Zwänge während der primären Sozialisation eingepflanzt, (d.h. v.a. während der Kindheit und Jugend). Sie können entsprechend auch ausserhalb dessen liegen, was ein bestimmter Mensch mit seinen Fähigkeiten und seinem Kapital erreichen kann. Sie verlangen aber trotzdem nach Erfüllung, unabhängig von den verfügbaren Ressourcen. Dadurch entsteht eine Spannung. Ziel-Mittel-Anomie ist die Folge, also die Spannung zwischen den Ansprüchen und den Chancen ihnen gerecht zu werden. Wenn eine Erfüllung nicht möglich ist, kann die Auflösung der vorher verpflichtenden Norm die Folge sein. Anomie, Normlosigkeit ist die Folge. Damit beginnt der Mensch seine Identität zu ändern.

Diese Änderung ist teils rational (rational in einem weiteren Sinne: "ökonomische Theorie der Kriminalität", "lohnt" sich jetzt kriminelles Handeln?). Aber hauptsächlich ist die Identität - neben der primären Sozialisation - von den kommunikativen Beziehungen und dem sozialen Rückhalt geprägt. Subkulturen, kriminelle Millieus bieten "Lernchancen". Um die Ziel-Mittel Spannung abzubauen, kann kriminelles Handeln die Folge sein. So die extrovertierte Antwort fremdschädigenden Verhaltens. Die introvertierte Antworte, diese Spannung abzubauen, ist selbstschädigendes Verhalten. Der Unterschied extrovertiert/ introvertiert findet sich auch bei den beiden grundlegenden Typen von Gewissen. Das extrovertierte Gewissen ist ein mit persönlichen Schwächen belastetes Gewissen. Schuld sind immer die Anderen. Ein schwaches oder defektes Über-Ich ist die Folge eines autoritären Erziehungsstils, bei dem ein einsehbarer Sinn der Massnahmen fehlte. Es sind die sogenannten straforientierten Techniken der Disziplin. Das introvertierte Gewissen ist das schuldgeplagte Gewissen. Man weist die Schuld sich selber zu. Ein starkes oder starres Über-Ich ist die Folge der Angst des Kindes Liebe und Zuneigung zu verlieren. Hier wird Disziplin durch liebesorientiertes Verhalten herbeigeführt. Risikofaktoren für beide Formen von sozial abweichendem Verhalten sind: Vereinzelung, Chancenlosigkeit und Sinnlosigkeit.

Einfache Ziel-Anomie, d.h. Ziellosigkeit ist jedoch der "normale" Zustand bei fundamentaler Unsicherheit im Krisenkontext, wenn die Ziele und Normen ihre Verbindlichkeit verloren haben.
In Krisen wird die individuelle Rationalität überfordert. Für fundamentales Lernen ist die prozedurale Rationalität kommunikativen Handelns wichtig. Gespräche haben gerade dann eine besonders hohe Chance, vernünftig geführt zu werden. Verstehens- und verständigungsorientierte Kommunikation sind jetzt wichtig. Wegen der fundamentalen Unsicherheit, von der Krise hervorgerufen, können die Menschen gar nicht anders. Alte konsensuale Realitätsdefinitionen werden überschritten, auf der Suche nach neuen Antworten. Auf dem Weg zu einer neuen Weltsicht, sind die Akteure sehr gesprächs- und kommunikationsbedürftig. In interaktiver Kommunikation wird die Selbst- und Weltdeutung gefestigt. Mit der Rekonstruktion kognitiver Regelsysteme rekonstruieren wir Voraussetzungen zur erneuten Festigung des Selbstbildes. Aber die kognitiven Regelsysteme, die Regeln der Selektion, Klassifikation und Interpretation von Informationen, sind nicht Gegenstand individuellen rationalen Handelns. Sie sind Ergebnis interaktiver Komunikation. So werden sie intersubjektiv verfügbar.

Es soll dabei aber nicht ausgeschlossen werden, dass manche der überzeugensten Konzepte das Werk einsamer Geister sein können. Die, wie wir zu sagen pflegen, ihrer Zeit weit voraus sind. Charismatische Persönlichkeiten - Vordenker und Vorreiter - können im Krisenkontext zu orientierungsstiftenden Instanzen werden, die neues Denken vertreten und durchsetzen, ohne gross Rückhalt im Denken der Anderen zu brauchen. Um jedoch Vertauen und Vertrautheit in das neue Denken zu gewinnen, ist auch für sie das Wechselgespräch notwendig. Ein lernträchtiges Gespräch bezieht sich zunächst mit Vorteil auf gemeinsam geteilte Erfahrungen. Diese erleichtern das Verstehen. Es bilden sich an gemeinsamen Erfahrungen gemeinsame Weltdeutungen aus. Diese sind auf Erfahrung bezogen, können jedoch weit über sie hinausgehen.

Wenn wir im Krisenkontext unser Denken erneuern müssen, sind wir auf verständigungsorientiertes Reden angewiesen. Dabei sind aber die Möglichkeiten strategischen Handelns oder strategischer Rede verschlossen, weil eine Absage an vertraute Weltbilder und Ideologien mit fundamentaler Unsicherheit einhergeht. Wichtig sind nun die Prozesse interaktiver Kommunnikation. Das einzige motivierende Ziel ist jetzt Anteil zu gewinnen an kollektivem, fundamentalem Lernen. Diese Lernchance ist ein individueller Anreiz um an diesem Prozess teilzunehem, auch wenn dann das Ergebnis für alle zugänglich sein wird. Häufig ist aber auch nur schon das beherrschen der entsprechenden Fachsprache Anreiz genug. Denn das neue Denken wird zwar intersubjektiv generiert, aber Kommunikationsgemeinschaften bedienen sich häufig einer Fachsprache. Diese ist zwar für Aussenstehende ein Verständigungshinderniss, ermöglicht aber den "Eingeweihten" eine schnellere und differenziertere Kommunikation. Ein erstes Ziel kann also sein: "Cracking the Code!" Sobald sich die kognitiven Regeln für massgebliche Akteure und Gruppen wieder geklärt haben, wird strategisches Reden und Handeln wieder möglich, d.h. man spricht dies und tut das. Und auch noch auf eine wichtige Unterscheidung sei hingewiesen: Vertrauen bedeutet noch nicht Optimismus. Man kann zwar Vertrauen in sein neues Denken haben, aber es kann sein, dass man gerade darum Pessimist ist. Allgemein ausgedrückt, fördert Vertauen in sein Denken aber auch die Entschlusskraft. Neues Denken, als Ergebnis von verstehens- und verständigungsorientierter Kommunikation, ist der Weg aus einer Krise, in der das alte Denken an Vertrautheit verloren hat. Der Verlust der Gültigkeit des Alten im Krisenkontext führt zu einem Zusammenbruch des Zukunftsvertrauens. Erst wenn eine neue Weltsicht gefunden worden ist, kann die Krise überwunden werden. Es ist eine neue, optimistische Zukunftsbeurteilung, welche die gesellschaftliche Aktivität auf's Neue belebt. Neue Koordinationsmechanismen können nun wieder wirken. Ausschlaggebend ist die Klärung der Zukunftsperspektive, genauer der kognitiven Grundlagen solcher Perspektiven, und die Restauration des Vertrauens, das man in diese Grundlagen setzt. Der Aufschwung kommt dann sozusagen von selbst.

Den kollektiven Lernprozess wollen wir uns aber noch einmal genauer anschauen. Grösser gewordene Unsicherheiten rufen förmlich nach fundamentalem Lernen. Dieses ist jedoch kein einfacher Vorgang. Verständigungsbereitschaft ist nicht immer einfach gegeben. Bei wachsenden Unsicherheiten klammern sich anderseits häufig viele Menschen erst recht in grosser Zahl an die alten Denkgewohnheiten. Dabei kommt es zu einer Solidarisierung mit Gleichgesinnten und zu einer scharfen Abgrenzung gegenüber denjenigen, denen Verantwortung für die Unsicherheit zugeschrieben wird und die als Bedrohung für die alte Ordnung gesehen werden. Oft werden dann aber häufig Ursache (Krise) und Effekt (neues Denken) verwechselt. In welche Richtung die Menschen bei wachsender Unsicherheit getrieben werden - entschlossenes Festhalten an allem, was ihnen vertraut ist (Fundamentalismus) oder ein sich Öffnen für neue Gedanken (Fortschritt) - ist von der Kommunikationsstruktur und den damit verbundenen Kommunikationschancen abhängig.

Die Unterscheidung von vier Gruppen von Akteuren ist wichtig:
a) Die sozialen Aufsteiger und erfolgreichen Migranten treten in neue kommunikative Beziehungen ein. Soweit sie im angestammten sozialen Beziehungsnetz nicht verhaftet bleiben, fehlt ihnen eine dauerhafte Bestätigung ihrer Person, ihrer Normen, ihres Denken. Sie sind für fundamentales Lernen prädisponiert.
b) Die vernetzten Gewinner sind nicht nur Verwalter von gewinnstiftendem Kapital, sondern auch von wohlgeordneten Kontakten. Sie sind vor identitätsverletzenden Anfechtungen zunächst gefeit. Sie sind weniger geneigt zum grundsätzlichen Lernen, als vielmehr dazu, im Verband mit anderen, gemäss geltenden Regeln Einfluss auf die Welt zu nehmen. Erst wenn dies lange nicht mehr gelingt, wenn die Unsicherheit zu gross geworden ist, dramatische politische Entwicklungen drohen und anomisches (d.h. normauflösendes) Verhalten bis in ihre unmittelbare Umgebung vordringt, werden sie, reaktiv zu grossen Schritten fundamentalen Lernens herausgefordert.
c) Vernetzte Verlierer sind da kommunikativ eingebunden, politisch aktivierbar. Dabei erfolgt die Mobilisierung innerhalb bestehender Organisationen. Zu den Verlierern gehören die relativ Priviligierten. Sie haben in der Krise viel verloren. Aber dank unversehrter Bestände an exklusiven sozialen Beziehungen sind sie handlungs- und politikfähig geblieben. Selbstbestätigung erfahren sie, wie die konservativen, vernetzten Gewinner in angestammten sozialen Beziehungen. Durch Rückschläge finanzieller Art gezwungen, jedoch immer noch eingebettet in Beziehungen persönlichen Vertrauens, sollten sie noch relativ einfach für fundamentales Lernen gewonnen werden können. Auch wenn bei ihnen fundamentalistische Reflexe schon eher vorkommen.
d) Die isolierten Verlierer sind am gefährdedsten. Mit dem Verlust ihres Kapitals (Realkapital, Humankapital und eben Sozialkapital) verlieren sie auch noch den Rückhalt bei den Anderen. Verletzt in ihrer Identität, im Zustand anomischer Spannung werden sie trotz ihrer Isolierung zu einem Problem für andere. Durch ihr anomisches Verhalten werden Normen und Denken der Anderen um ihre Selbstverständlichkeit gebracht. Infolge des Verlusts der vertrauten kognitiven Regelsysteme im Krisenkontext, werden Normen nicht einfach nur gebrochen, sondern sie verfügen gar nicht mehr über solche.

Wie kann nun also ein Weg aus der Krise gefunden werden? - Krisenphasen sind v.a. Phasen grosser Offenheit. Aber keiner weiss mehr, warum der eine oder der andere Weg gewählt werden sollte? Die einzelnen Menschen fassen Vertauen in das neue Denken weil sie in soziale Kollektive eintreten und dort bei anderen Rückhalt finden. Im verstehns- und verständigungsorientierten Gespräch können nun neue Orientierung und neue Ziele gefunden werden. Soziales Lernen ist so das Ergebniss eines komplexen gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses. Neues, konsensuales Denken bedeutet aber nicht, dass nun alle das Gleiche denken müssen. Die moderne-postmoderne Gesellschaft bleibt pluralistisch. Wichtig ist nur eine genügend grosse Überlappung der verschiedenen Weltbilder.

Die ökonomische Version dieser hier entwickelten Theorie kann bei Hansjörg Siegenthaler.1993. Regelvertrauen, Prosperität und Krisen - Die Ungleichmässigkeit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung als Ergebnis individuellen Handelns und sozialen Lernens. J.C.B. Mohr, Tübingen nachgelesen werden.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Zum Holocaust-Gedenktag

"Wir sollten niemals vergessen, wohin das fahrlässige Schweigen eines grossen, zu grossen Teils der Bevölkerung geführt hat. Der Mangel an Empathie, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des Anderen und die fehlende Bereitschaft, für die Werte einer demokratischen und toleranten Gesellschaft einzutreten, waren es, die dem verbrecherischen Hitler-Regime den Weg geebnet haben."
Charlotte Knoblauch, Präsidentin des Zentralrats der Juden

Freitag, 15. Januar 2010

Der Tod Gottes als Folge des Scheiterns der Theodizee?

Im Bewusstseinszimmer eingesperrt, wobei die Natur den Schlüssel dazu fortgeworfen hat. Oder hat ein Gott die Welt geschaffen, so schuf er den Menschen zum Affen Gottes, als fortwährenden Anlass zur Erheiterung in seinen allzu langweiligen Ewigkeiten. Mit dem Schmerz kitzelt jener gelangweilte Unsterbliche sein Lieblingstier. In dieser pessimistischen Sichtweise ist die Natur ein unbekanntes, riesiges, unerbittliches und stummes Tier. Alles ist einer dunklen, unverschämten und sinnlos-ewigen Macht unterworfen.
Die Qualen der Menschen und die Erfahrung eines sich angesichts solchen Leidens des Menschen vergeblichen Aufbäumen gegen zu erduldendes Unrecht ist die Ursache für den Nihilismus. Die Brutalität des Todes macht jeden Versuch, in Ihm einen Sinn zu suchen, zu einem angsterzeugenden Unternehmen. Die Erfahrung, dass die obersten Werte sich entwerten, führt zum Tod Gottes. Der Tod Gottes ist das Ergebnis einer radikalen Moralkritik, die vor nichts Halt macht und bis zur Zerstörung des obersten Prinzips – Gott – sich durchdenkt. Die ausbleibende Antwort auf das vom Menschen gestellte „Warum des Leidens?“ ist das Ende einer Rechtfertigung Gottes im Angesicht des Leidens und damit der Theodizee. Die Idee der Gerechtigkeit lässt sich aber nicht ohne die Idee Gott verstehen. Die Moral ist Gottes letztes Gesicht. Und wenn es Gott nicht mehr gibt, stehen wir dann nicht im Absurden?
Die Situation kann so verstanden werden, dass entweder das Scheitern der Theodizee Ursache für den Nihilismus ist, oder dass wir mit einem Hymnus auf die Rätselhaftigkeit und Grossartigkeit der geschaffenen Welt konfrontiert sind? Aber bei der Wahl, die Idee "Gott" aufzugeben, weil wir uns nicht erklären können, wie ein allmächtiger und gütiger Gott das Böse zulassen kann oder der Alternative: Gott als Retter, Tröster und letzte Hoffnung zu haben, bin ich doch geneigt, die zweite Variante zu wählen. (Vielleicht ist ja Gott nicht ganz so allmächtig, dafür aber von Grund auf gut, so wie Jesus ...) Wie Gott genauer zu denken wäre, ist für uns Menschen schon immer ein undurchdringliches Rätsel gewesen. Aber ob wir wirklich alle Hoffnung fahren lassen müssen, oder ob wir nicht doch auch feine, göttliche Sphärenklänge hören, das ist die Frage? Es ist doch so, dass keiner wirklich aus den göttlichen Kreisen fallen kann, anders als nach der göttlichen Mitte hin?! Dank dem Sinn wird das Sein hell! Und der Sinn von Sein liegt im Sollen! Ein vernünftiges Ur- oder Grundvertrauen ist Grundlage für ein Grundethos, genauso wie ein Bewusstsein, welches das Ungeheure denkender Lebendigkeit klar erfasst und dennoch ohne Angst mit voller Kraft und glücklich gegenwärtig sein Leben leben will und kann. Wichtig hierbei ist meiner Ansicht nach eine psychologische dreier Stufung von Lust, Macht und Sinn:
1. Wille zur Lust
2. Wille zur Macht: Auf dieser Stufe bleiben die meisten Nihilisten stehen! Hierbei handelt es sich um eine besonders destruktive Form von Sinnkonstruktion.
3. Wille zum Sinn

Angst und Aggression können nur durch innere Gelassenheit, Freiheit und Liebe - innerem Frieden – überwunden werden. Die Menschen müssen lernen damit fertig zu werden, dass sie Wesen sind, die zu sterben beginnen, wenn sie anfangen zu leben, dass das Leben nie ohne das Sterben zu haben ist. Das Bewusstsein muss lernen sein eigenes Aufhören zu denken. Die Kunst zu Leben ist die Kunst Sterben zu können - stirb und werde. Vom Tod her gedacht, bekommt das Leben eine neue Bedeutung. Mit der Endlichkeit im Dasein lässt sich am besten mit einer göttlichen Unendlichkeit klarkommen. Diese lässt Auswege aufbrechen, wo alle Aussichten verstellt schienen. Gott kann als der erfahren werden, der die Toten lebendig macht, aus dem Nichts Sein schafft, von der Furcht vor dem Tod zur Freude am Leben führt. Das Leben ist eine Brücke: von Gott her und wieder hin zu Gott.

Alles in ihnen drängt auf ein erneuertes Sein in der religiösen Sphäre. Weil der Mensch gleichgültiger Beliebigkeit seines Daseins und damit der absoluten Verlassenheit und Verzweiflung verfallen würde, darum braucht er eine Heimat, durch die er an eine bestimmte Stelle ins Ganze seiner Seinsordnung eingegliedert wird. Heimat ist eine wichtige Grundlage menschlicher Existenz. Dazu gehört aber auch eine Philosophie und Religion, welche staunend die Sinnhaftigkeit der Wirklichkeit begreift. Was angesichts des Todes bleibt ist das Existenzielle – die Liebe! Existieren ist einerseits geprägt von Furcht - vor dem Tod, dem Nichts, anderseits kann diese Furcht durch Liebe, die einen selbst übersteigt, überwunden werden. Der Versuchung zum Bösen tritt die Unübertrefflichkeit des Guten als das unbedingt Vorzuziehende gegenüber! Die rationale Kritik ist die Waffe gegen falsche Propheten.
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Wechselnde Pfade
Schatten und Licht
- werde froh -
fürchte Dich nicht!

Mittwoch, 13. Januar 2010

Der Abgrund des Nihilismus

Ohne Gefühle der Geborgenheit, ohne Hoffnung, Frieden und Vertrauen fühlen wir uns leer und innerlich zerrissen. Vertrauen in Gott und in Menschen, die uns begleiten, sind deswegen besonders wichtig. Denn Existenz bedeutet nicht einfach Dasein. Auch Pflanzen und Tiere sind da, aber sie stellen sich nicht die Frage, was das alles bedeutet? Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich seiner Existenz bewusst ist! Wenn der Mensch aber erlebt, dass er existiert und dass er irgendwann sterben muss – und vor allem: wenn in alldem kein Sinn zu erkennen ist, dann schafft das Angst!
  
Du wirst,
du stirbst. –
Wessen wahr Geschöpf
du bist,
erfährst du nie.
  
Eine radikale Gegenposition zur Hoffnungsvision einer Liebesmystik ist der Nihilismus. Angstphilosophie im Gegensatz zu einer heroischen Philosophie bedeutet ein Dreifaches: Eine Philosophie des Nichts die den Nihilismus nährt. Eine Philosophie der Angst, welche den Willen zur Tat lähmt. Und eine Philosophie des blossen Gefühls, welche sich gegen jegliche Logik wendet.
Der Nihilismus steht für das „Nichts“. Er ist der Standpunkt der bedingungslosen Verneinung von Lehr- und Glaubenssätzen, insbesondere von Werten. Für ihn ist das Verhältnis des Menschen zur Welt ein absurdes, eine unmögliche Relation. Abgelehnt wird sowohl eine anamnetische Solidarität wie auch das Allomatische. Anamnetische Solidarität bewährt sich im Eingedenken der Toten. Im Gedenken an die Toten kommt keine Verzweiflung auf. Ihr Leiden war nicht umsonst gewesen. Und allomatisch heisst, mit dem Kosmos in freundschaftlicher Gemeinschaft zu kommunizieren. Nihilismus ist hingegen Lebensdrang und Lebenswut! Nihilismus ist Seinshass statt Mut zum Sein. Kultur kann Triebverzicht beinhalten. Dabei kann dieses Unbehagen an der Kultur zu gewalttätigen Entladungen führen. Nihilismus steht für eine umgekehrte Aufklärung, eine heilssüchtige Rückkehr der Menschen in die selbstverschuldete Unmündigkeit. Man muss von einer negative Dialektik und einem Rückschritt in die Barbarei sprechen. Der Nihilismus ist als Rebellion gegen die Zivilisation nicht einfach eine Wiederholung des Archaischen, sondern dessen Wiedererzeugung in der Zivilisation durch die Zivilisation selbst. Die Faszination des Grauens obsiegt. Die Zivilisation bringt Antizivilisatorisches hervor. Der Terror entwickelt dabei eigendynamisch ein Bedürfnis nach immer grösserem Schrecken. Ein starker Prozess der Dehumanisierung setzt ein.
Menschliches Leben ist ein ständiger Prozess des Grenzenüberschreitens, ein Nach-vorne-Leben, eine Unmittelbarkeit des Existierens. Diese muss aber vom gewaltsamen orgiastischen Rausch, dem Wahnsinn und ständigen, einfach ruhelosen Verwandlungen unterschieden werden. Die schwarze Mystik, die den Nihilismus und den Tod Gottes proklamiert hat, versucht die vermeintlich verlorene Kraft des „wahren Ursprungs“ - des Bösen - zu erneuern. Der ganz andere Anfang soll zur Entschlossenheit zum eigentlichen Existieren führen. Moral ist nur etwas für Schwächlinge, welche die seinsverlassene Kälte der realen Modernität nicht aushalten können. Das ausgegrenzte, geächtete Böse soll über die vernünftige, disziplinierte Welt herrschen. Dabei verstrickt sich die schwarze Mystik aber in der Erfahrung des Absurden. Extatische Ergriffenheit gewaltsamer Exzesse soll zur Entgrenzung führen und den Ausweg weisen aus einer scheinbaren Seinsvergessenheit. Gefühle der Angst, des Ekels und des Entsetzens sollen mit Entzückung und betäubendem Glück verschmelzen. In barbarischer Selbstüberschreitung soll in einer Ästhetik der Grausamkeit und des Schreckens der Anblick des Schmerzes und des gewaltsamen Todes Lust bereiten und nicht einfach Mitgefühl hervorrufen. Das Bewusstsein, dass diesen zerreissenden Erfahrungen ausgesetzt wird, gerät ausser Fassung. Durch diesen Schockzustand soll vermeintlich der Weg zur unmittelbaren Erfahrung des „wahren Seins“ geöffnet werden. Dabei fordert die Logik des Bösen immer mehr böse Taten. Was jedoch vielmehr die Folge ist, ist ein Isolationismus und eine quälende Einsamkeit – ein sinnentleertes Taumeln im Nichts. Ein Teufelskreis kommt in Gang.
Die Isolation bringt den Fundamentalismus und die Verirrung hervor. Wahn ersetzt menschliche Begegnung durch Suggestion und Projektion, Dialog durch Monolog, Reflexion durch Repetition, Gemeinschaft durch einen unfehlbaren Meister. Der Mensch, der in seiner Freiheit scheitert und böses tut verfehlt sein Selbst und den Sinn seines Lebens. Er stürzt dabei in eine nur noch grössere Verzweiflung. In dieser Kluft zwischen dem menschlichen Streben nach Sinn und der Welt, die dies nun einem verwehrt und verneint, darin besteht die abgrundtiefe Absurdität. Gegenüber einer scheinbar unbewältigbaren Krise werden Tendenzen zur Weltflucht und zur Resignation deutlich. Menschen haben dabei eine tiefe Sehnsucht nach Sicherheit, nach Rettung und Rettern, nach Erlösung, nach Heil und damit auch nach Gott. Der Mensch kann entweder einen Gott finden, in dem alles zur Ruhe kommt, oder ein schwindelerregendes Nichts. Er kann Frieden finden, indem er Gott und seinen göttlichen Gesetzen vertraut. Mut wird zum Protest im Hoffen und Handeln wider die Resignation, im Mitleiden und im solidarischen Tun, das daraus entspringt. Begegnung, Verständigung und Vergebung können den Weg zu einem neuen Gottesverhältnis weisen.
Im Laufe des Prozesses der Aufklärung kommt es zu einer Entzauberung mythischer Inhalte. Nihilisten verzweifeln dann an der angeblichen Sinnlosigkeit der Welt. Der Mensch scheint Obdachlos geworden zu sein. Das religiöse Vakuum verursacht ein Gefühl grenzenloser Verlassenheit. Wir leben in einem nachmetaphysischen Zeitalter. Nach dem Wage-Selbst-Denken der Aufklärung wissen wir in unserer Skepsis nicht mehr, ob es noch eine zuverlässige Weltorientierung gibt? – Die alte religiöse ist verlorengegangen und die neue, wissenschaftliche scheint zu abstrakt zu sein, als dass darin noch Platz für einen persönlichen Gott geblieben wäre. Der Nihilismus zieht daraus die Schlussfolgerung der Seelenlosigkeit. Die Weltangst ist gross, und das Weltvertrauen wird destruiert. Das Fehlen der alten Ideale, die nun nur noch als Trümmer existieren, hat eine unheimliche Leere hinterlassen – Entgötterung und Verweltlichung als Folge der Säkularisierung. Der kritische Rationalismus der Aufklärung hat jede Hoffnung auf eine Erkenntnis der Welt als Ganzes, als Totalität zerstört. Dies kann irrational ausgelegt werden, als das Resultat der vergeblichen Anwendung von Kategorien der Vernunft auf die Welt und deren fortwährendes Scheitern. Die Undurchführbarkeit einer kompletten Weltauslegung kann das Misstrauen stärken, dass alles falsch ist?!
Ob das Licht der Vernunft stark genug leuchten kann, damit die Menschen an eine objektiv feste oder sogar prästabilisierte Weltstruktur glauben können, in der die Menschen als Mikrokosmos den Makrokosmos in sich spiegeln können, ist nicht sicher. Leben wir wirklich in der besten aller möglichen Welten? - Aus skeptischer Sicht leuchtet im Labyrinth der Welt nicht mehr das göttliche natürliche Licht. Das gerät vielmehr in den Verdacht ein Irrlicht zu sein, eine Quelle von Irrtümern. Diese Sichtweise lässt sich soweit steigern, dass das Bedürfnis nach Glauben als der grösste Hemmschuh der Wahrhaftigkeit angesehen wird, und der Glaube an die Vernunft als Ursache des Nihilismus erscheint. Bei einer solch verkehrten Sicht der Dinge ist die Gefahr gross, dass man sich in einen Solipsismus verstrickt, d.h. ein Kreisen in sich selbst, indem der sich so Denkende im labyrinthischen Kerker seines Ichs verläuft.
Das Verlassen der Höhle der eigenen Beschränktheit ins Licht der Vernunft kann ein von Angst geprägter Vorgang sein, dem die Betroffenen mit Unsicherheit und Sich-Verweigern begegnen. Es kann zu einem Schwenk ins Irrationale kommen: Auf der einen Seite der Mensch, der fragt und auf der anderen Seite die Welt, die vernunftwidrig schweigt. Dies das ewige Spiel des Ausweichens, des Rätsels dieser Welt. Wird das Bedürfnis nach umfassender Erklärung nicht befriedigt, dann kann dies tiefe Angst hervorrufen.
Die Alternative wäre, dass man lernt mit den Aporien und Grenzen der Vernunft zu leben. Dies weil der gesunde Menschenverstand für den Alltag gut ausreicht. Der Mensch ist nicht geboren worden um wissend zu sein, sondern um glücklich zu sein! Menschliche Hoffnung hat ihren Fluchtpunkt letztlich immer jenseits der Welt. Aber es ist dieses Göttliche, dass das Leben bereits in dieser Welt sinn- und formgebend durchwaltet, das zu uns spricht. Deshalb kann man das Göttliche entweder treffen oder verfehlen, je nach dem, ob man im Buch der Natur, dessen Schreiber Gott war, zu lesen versteht oder nicht.
Einer als unbefriedigend empfundenen Kultursituation wird versucht neuen Sinn einzuhauchen. Dabei ist es häufig so, dass auf die Krisenstimmung, Erfahrungen von Desintegration und Verunsicherung, mit einer aggressiven Sehnsucht nach neuen Gewissheiten und Totalitäten reagiert wird. Mit einer Suche nach etwas, was im Alten nicht mehr gefunden werden kann. Damit geht die Forderung eines neuen Denkens einher, das in Krisensituationen Rettung bringen soll. Die Zerstörung der Vernunft weckt Sehnsucht nach Form und Totalität. Der Formwille ist auf der Suche nach Formen jenseits der konventionellen Moral. Eine grosse Befreiung wird darin gesehen, dass niemand mehr verantwortlich gemacht werden kann. Man darf das Sein nicht mehr auf eine erste Ursache zurückführen. Gott ist tot, ist der laute Ruf. Die Annahme eines Schöpfers von Allem als Grundannahme aller Kausalität ist zu begraben. Wenn die Erwartung eines Jenseits erst einmal aufgegeben worden ist, dann sollte man die freigewordenen Kräfte auf das irdische Leben konzentrieren. Erlösungsreligionen sind nur infantiles Wunschdenken. Der Nihilismus ist das Ergebnis eines grossen Enttäuschtwerdens und der Verzweiflung an der Welt. Nihilismus ist Widerstand gegen die Transzendenz. Resignation, Melancholie und Zynismus sind die Folge. Das Böse ist nicht Harmonie sondern Zerrissenheit. Das neue Zentrum des Menschen ist die Welt als Wille zur Macht. Der in der Physik siegreiche Begriff der Kraft in der äusseren Welt wird um eine Kraft in der inneren Welt ergänzt. Dies ist der Wille zur Macht. Vom Standpunkt der Liebe aus muss aber das sinn- und ziellose Machtstreben um seiner selbst Willen präziser als die „dunkle Seite der Macht“ bezeichnet werden. Der Ausschluss einer Reflexion über die Ethik verkrüppelt die Menschlichkeit. Gestalten des Inneren zerbröckeln zu Ruinen. Die Lehren vom guten Leben, sollten einen vor einem so beschädigten Leben bewahren helfen.
Führt Angst zum eigenen Selbst? – So totalisierend gefragt: Nein! Das bedeutet also, dass Angstmystik ein misslungener Versuch nachmetaphysischen Denkens darstellt. Oder ist die Lebensangst nicht doch (auch) Grund für und Schöpferin der Mythen, Religionen, Philosophien und selbst der Wissenschaft? Kultur als positiver Ausdruck der Verarbeitung der Todesangst? Grundsätzlich ist aber wohl die Liebesmystik stärker als die Angstmystik...?! Auch wenn die Herausforderung nicht unterschätzt werden darf: Der Nihilismus bejaht die friedlose, von Kampf und Spannung erfüllte Wirklichkeit unserer Welt. Ziel ist nicht mehr ein Zustand der Ruhe, der Seelenruhe im Paradies, sondern der ruhelose Zustand als solcher. Denn Leben ist Werden, ein stetes Auslösen und Aufreissen von Spannungen, ist Reibung und Kampf. Diese ewige Unruhe wird rücksichtslos bejaht, mit all ihren Härten, Grausamkeiten und Schmerzen. Als Folge ergibt sich eine emotionale Kälte, die am Leiden der Anderen keinen Anstoss mehr nimmt. Das einsam kämpfende Ich soll in einer Sinngebung des Sinnlosen mit der feindlichen Wirklichkeit eine lebendige Einheit finden. Die Begegnung mit dieser Erfahrung des Nichts im sinnlosen Sterben und ihrer verstörten Zauberkraft absoluter Zerrissenheit ermöglicht ein neues Bewusstsein – entbundener, wilder, neugeborener Geist.
Der im eigenen Inneren erlebten Katastrophe folg das Erkennen der Welt als Katastrophe. Die Menschen empfinden in der Welt eine allgemeine Haltlosigkeit in Ermanglung eines höheren Sinns. Sie sind metaphysisch Leidende an der kosmischen Obdachlosigkeit – Zigeuner am Rande des Universums. Der Schrecken der Leere beherrscht sie. Der starke Sog des schwarzen Nichts. Das Wesen von Sein ist existieren, d.h. herausragen. Sein droht, wenn es nicht sinnvoll wird, dem Nichts anheimzufallen. Das Nichts nichtet. Es ist kalt, leer und finster. In der Angst droht der gesunde Menschenverstand verloren zu gehen. Der Mensch begegnet, da ihm alles Seiende und sein Dasein selbst entgleitet, dem Nichts oder noch schlimmer: dem Teufel. In existenzieller Verzweiflung erscheint alles als sinn- und hoffnungslos. Panik entsteht, wenn der Mensch sich grosser Gefahr ausgeliefert fühlt und sich existentiell bedroht fühlt. Er ist dann bereit Besonnenheit und Glauben aufzugeben. Angesichts der Gefahr, der Ungewissheit und Verzweiflung kann es im Extremfall passieren, dass der Mensch so orientierungslos wird, dass er durchdreht und sich in einer Art von "magischer Falle" gefangen glaubt. Dann kann es passieren, dass er Schutz und Hilfe bei "schwarzer Magie" - der schlimmsten Form von Aberglauben - suchen geht. Weil der Mensch erst nach seiner Identität suchen muss und der Bedrohung durch das Nichts und das Böse standhalten muss, eben deshalb kann der Mensch sein Wesen auch verfehlen. Er kann in die Unmenschlichkeit verfallen. In den letzten Grenzsituationen von Tod, Leiden, Kampf und Schuld kann der Mensch scheitern. Am stärksten geschieht dies im Bewusstsein des Todes, der das blosse Dasein schlechthin bedroht und zum Prüfstein wird.

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"Taucht ein Genie auf, verbrüdern sich die Dummköpfe." Jonathan Swift

Montag, 11. Januar 2010

Armageddon

  
Armageddon, von Juliane Werding
  

Ein kurzer Rückblick und ein bisschen Statistik

Ein neues Jahr, ein kurzer Rückblick. Ich glaube im Laufe des letzten Jahres hat sich mein Denken in Bezug auf die religiösen Grundfragen weiterentwickelt. Am wichtigsten Wohl die Einsicht, dass das Wesen guter Religion im Vermitteln von Grund- und Zukunftsvertrauen besteht. Wobei dafür natürlich alle wirkungsvollen Quellen zugelassen sind. D.h. neben den klassischen "heiligen" Schriften, wie z.B. der Bibel oder dem Tao Te King (welches mich in der nächsten Zeit etwas mehr beschäftigen wird), philosophische, soziologische, psychologische Bücher, Literatur, Musik und Filme. Die wichtigste Hoffnungsquelle scheint mir aber zu sein, wenn wir im Leben der Menschen eine Fortschrittsentwicklung erkennen können. Vielleicht das Ergebnis einer göttlichen Vorhersehung oder eines göttlichen Plans? Was in einer Gerichtetheit des Evolutionsprozesses zum Ausdruck kommt. Das kann auch mit einer positiven Entwicklung in der Abfolge der historischen Gottesbilder einhergehen. Wie weit aber Optimismus und Fortschritt reichen, gilt es weiter auszuloten? - Sind wir Menschen doch vor allem durch die Todeserfahrung und die damit einhergehende existenzielle Angst gekennzeichnet. Das letzte, endgültige Ende in dieser Welt, an dem kein Weg vorbeiführt. Und auch auf kollektiver Ebene stellt sich die Frage, ob es ewigen Fortschritt wohl gibt und wohin diese Welt wohl führt?

Themenwechsel. An dieser Stelle möchte ich auch einen kleinen statistischen Rückblick machen. Das mein Blog binnen Jahresfrist so viele Leser gefunden hat, freut mich doch sehr! Und hin und wieder gibt es ja sogar etwas Feedback! Inzwischen hat der 1000. Besucher hier mal kurz vorbeigeschaut, bei z.Z. über 1800 Besuchen aus 37 Ländern, aus allen Teilen dieser Welt. Was mich besonders erstaunt, ist dass ich so viele Leser in Lateinamerika habe. Vielleicht könnten wir uns mal austauschen. Ich muss nämlich gestehen, dass Lateinamerika für mich eine ziemlich fremde Welt ist. (Da ich kein Spanisch spreche). Und hier sei noch auf die "Hitparade" von diesem Blog verwiesen. Die Top 3 sind:
1. "Giving Up and Letting go", vom 20.9.09, mit 163 Einzelabrufen.
2. "Videos: kein Kommentar", vom 14.5.09, mit 118 Einzelabrufen.
3. "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.", vom 26.4.09, mit 107 Einzelabrufen.

Schliesslich möchte ich noch all meinen Lesern meine offiziellen religiösen Verbindungen mitteilen. Zunächst bin ich römisch-katholisch aufgewachsen. Vor gut 10 Jahren bin ich dort aber aus der Kirche ausgetreten. Dies v.a. wegen religiöser Intoleranz anderen Religionen gegenüber und der ablehnenden Haltung der Homosexualität gegenüber. Seit zwei Jahren bin ich nun Mitglied bei den amerikanischen Unitarian Universalists. Die genau in diesen beiden Bereichen als sehr fortschrittlich zu bezeichnen sind! Inzwischen habe ich aber auch gelernt, dass die reformierte Kirche hier in Zürich vor Ort auch ein recht progressiver Verein ist. Zumindest bestimmte Fraktionen in ihr, wie v.a. die religiös-soziale Fraktion. Für was kann man als guter Christ den sonst sein? Deswegen bin ich nun auch dort Mitglied geworden. Und im Rahmen der Theologie der Religionen sind bei den Reformierten inzwischen auch multiple religiöse Identitäten ein Thema. Das Anliegen jeder liberalen Religion. Wie mein Blog glaube ich klar macht, bekommt man erst ein klareres Bild, wenn man anfängt aus verschiedenen religiösen Traditionen zu schöpfen. Erst dann kann man wahrnehmen, wie vielfältig und bunt das Göttliche ist!

Sonntag, 10. Januar 2010

Das Glück und die Abgründe des Menschlichen

  • Glück:

"Das letzte Ziel des Menschen ist das Glück." Thomas von Aquin
"Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten." Siegmund Freud
"Glück besteht aus einem hübschen Bankkonto, einer guten Köchin und einer tadellosen Verdauung." Rousseau
"Glücklich die Besitzenden." Euripides

"Der Vergleich ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Sören Kirkegaard

"Die eigentlichen Geheimnisse auf dem Weg zum Glück sind Entschlossenheit, Anstrengung und Zeit." Dalai Lama

"Der Geist, der sich gewöhnt, seine Freude aus sich selbst zu schöpfen, ist glücklich." Demokrit

"Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper." Juvenal

"Anteilnehmende Freundschaft macht das Glück strahlender und erleichtert das Unglück." Cicero
Empathie - das Gefühl für den Anderen ...der Weg zum Glück?
  • Sadismus:
"Ist Mitleid nicht etwas, das schwächt?" Friedrich Nietzsche

Das Spiegeln der Gefühle aber produziert nicht nur positive Interaktion. So entsteht auch der Sadismus aus der Empathie heraus. Im Sadismus gibt es einerseits die Tatsache, dass da ein anderer gequält wird, andererseits besteht der Sadismus eigentlich darin, dass man diese Qual emphatisch mitempfindet und geniesst. Generell gilt, dass eine sichere Bindung an Bezugspersonen und deren Empathiefähigkeit die Entwicklung der Empathie im frühkindlichen Stadium unterstützt. Fehlen diese Voraussetzungen, kann es zu Fehlentwicklungen kommen. Ob eine Störung der Empathieentwicklung im späteren Leben zwangsläufig zu Gewalttätigkeit führt, bleibt umstritten. Sicher ist, dass die Fähigkeit zur Empathie Grundvoraussetzung für soziales Verhalten ist. Denn die Liebe ist die Basis des menschlichen Zusammenseins und der Kern der menschlichen Natur.
  • Aufforderung zur Nächstenliebe - Empathielehre in den Weltreligionen:
Es sind schon seit jeher die Religionen, die dazu auffordern, der Versteinerung des eigenen Herzens entgegenzuwirken. Sie lehren uns, Hingabe und Mitgefühl zu üben. Heute auch als "emotionale Intelligenz" bezeichnet. Die Religionsstifter scheinen von einem grundsätzlichen Wohlwollen gegenüber den Menschen getragen und Meister der Zuwendung zu sein.
Im Judentum ist die Zuwendung zum Nächsten aber keine reine Emotion, sondern die Pflicht jedes Israeliten. Sie gilt besonders für die Glaubensbrüdern, ist aber grundsätzlich offen für alle. Der "Nächste" ist der, der mir begegnet. Ähnliches gilt auch für Moslems: "Zakat", das tätige Mitgefühl, zählt zu den fünf Säulen des Islam.

Christliche Hilfe im Diesseits
Im neutestamentarischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist es ausgerechnet ein Fremder, der Nächstenliebe übt. Die Nächstenliebe ist der zentrale Punkt. Das Christentum verlangt eine agapäische, das heißt von Liebe bewegte Grundhaltung: Sich in den Nächsten hineinzuversetzen gilt als Hochform sittlichen Handelns. Mit Maria, der Mutter Gottes, hat die Empathie in katholischen und orthodoxen Traditionen ihren festen, vorwiegend weiblichen Platz. Sie hört immer zu und versteht und verzeiht alles. So kann die Kirche, oft durch Maria symbolisiert, den Sterblichen das ewige Leben spenden.
Nur indem ich dem Nächsten helfe, finde ich zu Gott. Allerdings findet das Leben zunächst im Diesseits statt. Deshalb schufen religiöse Gemeinschaften komplexe Infrastrukturen mit Krankenhäusern, Altersheimen und Schulen. Auch das Mitleiden spielt in christlichen Kulturen eine große Rolle.

Der Buddhismus empfiehlt Übungen des Mitgefühls
Der Buddhismus betont die Verfänglichkeit des Zwischenmenschlichen, das immer neues Leiden schafft. Häufig wird der spirituelle Aufstieg als Entfesselung von sozialen Bindungen dargestellt. Dem Arhat des frühen Buddhismus auf dem Weg zum Nirvana geht es zunächst darum, sich von der Welt nicht mehr berühren zu lassen. Loslösung und "Ent-Identifikation" sind das Ziel. Dennoch geloben die Boddhisattvas, die bereits Erleuchteten, aus Mitgefühl nicht ins Nirvana einzutreten, bevor nicht alle Wesen gerettet sind.
Im tibetischen Buddhismus werden spezielle Übungen des Mitgefühls empfohlen: "Einatmend nehme ich mir das Leiden Anderer zu Herzen und lasse es mich berühren. Ausatmend öffne ich mein Herz und teile mit anderen meine Energie: Mögen alle Heilung finden und glücklich sein." Diese Empathie-Übung geht von Freunden auf Bekannte über und erreicht schließlich - ähnlich wie im Christentum - auch seine Feinde. Diese radikalen Formen der Selbstlosigkeit haben in asiatischen Gesellschaften, ähnlich wie in Europa, die sozialen Verwerfungen aber nicht abgeschafft.

"Ich bin du" gibt der Hinduismus vor
Auch im Hinduismus gibt es zwei Seiten. Durch Stiftungen übernehmen manche reichen Hindus Verantwortung für ihre Gesellschaft. Doch meist ist es wie im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter: Der Brahmane geht achtlos an den Mitgliedern der niederen Kasten vorbei. Dabei war es gerade der Hinduismus, der mit seinen Worten "Tat Tvam Asi" - "Ich bin du" die Grenzen zwischen dem Ich und dem Anderen bis zur Ununterscheidbarkeit verwischte.
Sendungswebsite zum Thema "Empathie". Hier befindet sich auch ein Verweis auf ein sehr interessantes Interview mit dem Psychoanalytiker Arno Gruen, dass in der 3sat Mediathek wiedergegeben werden kann:
Buddhismus: Aufhebung allen Leidens durch innere Distanz und heitere Gelassenheit zur Welt. Gier, Hass und Unwissen müssen überwunden werden.
Zentrale Quelle für dieses Posting war die Website des 3sat-Wissensmagazins "scobel".
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Etwas festhalten wollen und dabei es überfüllen:
das lohnt der Mühe nicht.
Etwas handhaben wollen und dabei es immer scharf halten:
das lässt sich nicht lange bewahren.
Mit Gold und Edelsteinen gefüllten Saal
kann niemand beschützen.
Reich und vornehm und dazu hochmütig sein:
das zieht von selbst das Unglück herbei.
Ist das Werk vollbracht, dann sich zurückziehen:
das ist des Himmels SINN/Weg/Tao.
aus: Lao-tse, Tao Te King, Kapitel 9