Freitag, 18. Juni 2010

Sommerpause

... bis ca. Ende Juli. Werde die General Assembly der amerikanischen Unitarian Universalists besuchen und die schöne Natur Kanadas auf mich wirken lassen. Vielleicht wird so mein Sinn fürs Pantheistische besser entwickelt. Für die Zwischenzeit kann ich die Website von Prof. M. Hampe - "socrethics" -empfehlen.

Es gibt keine Antworten, nur Alternativen. Solaris

Samstag, 12. Juni 2010

Anatomie der menschlichen Destruktivität III

Merkmale einer antisozialen Persönlichkeit

- Kontaktstörungen: Als Folge affektiver, emotionaler Verwahrlosung während der Kindheit leiden Menschen mit einer anti-sozialen Persönlichkeitsstörung unter Kontaktstörungen. Sie haben lernen müssen, dass man niemandem trauen kann. Sie wurden in ihrer Kindheit so oft von anderen enttäuscht, dass sie jede Zuversicht aufgegeben haben. Ein Misstrauen in die Menschheit wurde grundlegend. In diesem Zusammenhang muss entsprechend festgestellt werden, dass Psychopathie (Erkrankung der Psyche) mit Soziopathie (Störung des sozialen Verhaltens) miteinander einhergehen können. Wobei ein Mangel an sozialen Kontakten auch weiterhin die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls verhindert.
- antisoziale Einstellung: Der Psychopath ist aufgrund der fehlenden Liebe und emotionalen Verbundenheit zum antisozialen Menschen geworden. Da er im Leben zu kurz gekommen ist und emotional nicht ausgeglichen ist, können sich Hass- und Rachegefühle entwickeln. Diese negativen Gefühle richten sich oft gegen das „Establishment“, denn dem hat er nie angehört und nie davon profitiert.
- geringes Einfühlungsvermögen: Wegen ihrer defizitären sozialen Entwicklung verfügen Psychopathen häufig nur über ein geringes Einfühlungsvermögen. Da die Eltern sich nicht in ihr Kind haben einfühlen können, woher sollte dann ein Kind lernen, sich in andere Menschen einfühlen zu können? Umgekehrt ist aber die Frustrationstoleranz des Psychopathen sehr klein. Triebgesteuert und durch kein Überich gebändigt, kann schon der kleinste Anlass zu einem Wutausbruch führen. Psychopathen sind emotional unreif.
- schwaches Überich/Gewissen: In einem Klima emotionaler Kälte, vielleicht sogar schwer misshandelt und missbraucht, kann sich kein richtiges Gewissen/Überich entwickeln. Es fehlt dem Kind jegliches Vorbild für richtiges moralisches Handeln. Es lernt nur die Logik des Stärkeren kennen. Aber nur mit einem schwachen Gewissen ausgestattet, ist der Mensch als Erwachsener dann nicht zu Selbstkritik oder Selbsteinsicht fähig. Umgekehrt ist aber sein Triebleben sehr stark und ohne starke Überich-Kontrolle. Folglich sind häufig Sittlichkeitsverbrechen und Sadismus (sexueller Genuss beim Quälen seiner Opfer) anzutreffen.
- schwer erziehbar: Hat ein Psychopath erst einmal eine antisoziale Einstellung verinnerlicht, ist diese nur mehr schwer veränderbar. Die traumatischen Erfahrungen und Verletzungen sind tief und die Einsicht in moralisches Handeln fehlt. Was nötig wäre, wäre ein starkes, charismatisches Vorbild, das sogenanntes „Lernen am Model“ ermöglichen würde. Der Psychopath müsste die Einsicht gewinnen können, dass sich soziales Verhalten „lohnt“ (nach längerfristigem Nutzenkalkül) und dass es moralisch erstrebenswert ist!
Da jedoch das tödliche Ende von jedem von uns irgendwann sicher ist, stellt sich die Frage, was soll mich trotzdem zum moralischen Handeln motivieren? Ist nicht angesichts des Todes jede Anstrengung und jedes Engagement sinnlos? Oder sollten wir gerade weil wir nicht ewig leben werden, versuchen der kurzen Zeit unsres Daseins auf Erden erst recht einen Sinn zu geben? 

Wie kann "lebendig sein" pathologisch werden?
Aber wenn wir genauer in uns hineinfühlen, dann merken wir auch, dass unser Menschsein angesichts des Todes durch Angst und Verzweiflung geprägt ist. Im Sein zum Tode kollabiert die normale Ordnung unserer Welt. Wie schön sind da die Erinnerungen an ein gutes Alltagsgefühl. Dieses ontologische Chaos macht deutlich, dass die Gründe für antisoziale Psychopathie auch in einem irrsinnig gewordenen Daseinsgefühl liegen können. Die Welt überfordert uns. Zu leben kann zur Last werden. Das gute Gefühl lebendig zu sein, kann sich in Pathologien verstricken.

Montag, 7. Juni 2010

Medienhinweis: "Die Vermessung des Glaubens"

Diesen Sonntag wurde der ZEIT-Wissenschaftsredaktor Ulrich Schnabel über sein Buch "Die Vermessung des Glaubens" interviewt. Es geht um Neurotheologie, Religionsgenetik und dem Menschen als das "betende Tier". In seinem Buch "Die Vermessung des Glaubens" fasst er den Stand der naturwissenschaftlichen Diskussion über den religiösen Glauben gut zusammen.

  • Das Buch:
Ulrich Schnabel. "Die Vermessung des Glaubens".
2008, Karl Belssing Verlag (gebundene Ausgabe)
2010, Pantheon Verlag (Taschenbuch)  

  • Das Radio-Interview:
Perspektiven: Die Vermessung des Glaubens
(Sonntag, 6.6.10., 8.30-9.00 Uhr, DRS 2)

Sonntag, 6. Juni 2010

Dämonisch?

Sinnbild der Dämonie

"Auf einer Lichtung hat ein Rebhuhn sich in der Drahtschlinge eines Wilderers verfangen, und man sieht, wie es an der Schlaufe zerrt, aus der es entkommen möchte. Aber je mehr es das versucht, je mehr es scharrt, mit den Flügeln schlägt, zieht die Schlinge sich nur noch fester zusammen. In diesem Moment kommt der Wilderer zu seiner Beute, und das Tier zieht sich zu Tode. [...] [Ähnlich] zappeln die Menschen in den Schlaufen, die ihnen gelegt wurden, mit einer tödlichen Angst, sie möchten eine Freiheit, an der sie zugrunde gehen, weil es für sie kein eigenes Entrinnen gibt." (Drewermann, 2010: 82)
"Am Ende der Paradieserzählung nehmen die Menschen, [...] Gott nur noch wahr mit Blick auf die Kerube [Wächterengel], die am Paradieseingang mit einem Flammenschwert dastehen. Soll heissen: Wenn die Menschen voller Sehnsucht zurückschauen, im Gefühl, es stimmt nichts, es müsste anders sein, es ist so deutlich, wie man richtig leben könnte, aber es ist wie verloren, man findet den Zugang dahin nicht - dann wird immer wieder das Bild jenes Gottes hinter dem Flammenschwert auftauchen, ein richtender Gott, ein strafender Gott, ein gestrenger Gott, einer der den Menschen verstösst und immer wieder von sich wegtreibt. (Drewermann, 2010: 80f.).

Ein Gott ohne Angst

Jesus wollte jedoch das Bild Gottes entängstigen. Die ganze Exzentrik der Angst, die zentrifugale Kraft dieser Schleuderbewegung nach draussen, sollte zur Ruhe kommen. Von der Angst weg ins Vertrauen, das wäre die Rettung.
"Das Unglaubliche müsste geschehen: Das Rebhuhn müsste glauben, dass der Wilderer kommt, um es aus der Schlinge zu holen. Dieses schier Unmögliche müsste es glauben. Es wäre das erste Mal, dass jemand kommt, der die Schlinge löst. Das Angstobjekt selber käme zur Befreiung - das ist die Paradoxität der ganzen Botschaft Jesu. Er bringt Gott in die menschliche Geschichte zurück als jene Grösse, vor der man nicht mehr fliehen muss." (Drewermann, 2010: 82).
"Was wir mit Sinn verbinden, ist ein Erfahrungsraum der Liebe. Das ist es eigentlich, was wir mit Schöpfung umschreiben: Die Dinge, die es gibt, verdienen, geliebt zu werden. Und wenn man in diesem Raum der Liebe eintritt, erlebt man das, was man Gott nennt. Plötzlich hat man völlig andere Handlungsanweisungen, völlig andere Evidenzen für das, was man tun sollte. Das ganze Gefüge, das die Natur uns sonst aufträgt [Darwinismus und Sozialdarwinismus mit dem "Kampf ums Dasein"], ist das Nebensächliche. So mag sie funktionieren, aber so dürfen wir nicht handeln, das ist klar. Das wäre ein Rückfall in die Barbarei. Es ist die Evidenz des Schöpfungsglaubens, der uns sagt: Alles, was existiert, ist überhaupt nur denkbar in einem Raum der Wahrnehmung von Liebe. An Gott glauben wir einzig, wenn und weil wir etwas lieben; daraus ergeben sich Sinnevidenzen, Perspektiven von Hoffnung, Beziehungen des Vertrauens, und darin zu leben heisst, an Gott zu glauben." (Drewermann, 2010: 87)

zitiert aus:
Eugen Drewermann. 2010. Wir glauben, weil wir lieben. - Woran ich glaube. Patmos, Ostfildern.

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Das Gleichnis vom vierfachen Acker und seine Deutung

Als nun viel Volk zusammenkam und Leute aus allen Städten ihm zuströmten, sprach er in einem Gleichnis: Der Sämann ging aus, seinen Samen zu säen. Und beim Säen fiel etliches auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels frassen es auf. Anderes fiel auf Fels, ging auf und verdorrte, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Anderes fiel mitten unter die Dornen, und mit ihm wuchsen die Dornen und erstickten es.
Wieder anderes fiel auf guten Boden, ging auf und brachte hundertfach Frucht. Als er dies gesagt hatte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! [...]
Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die auf dem Weg sind die, welche es hören. Dann kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht zum Glauben kommen und gerettet werden. Die auf dem Fels sind die, welche das Wort höhren und freudig aufnehmen. Doch sie haben keine Wurzeln: Eine Zeit lang glauben sie, in der Zeit der Versuchung aber fallen sie ab. Das unter die Dornen Gefallene, das sind die, welche es gehört haben und dann hingehen und von Sorgen und Reichtum und Freuden des Lebens erstickt werden und die Frucht nicht zur Reife bringen. Das auf dem guten Boden, das sind die, welche das Wort mit rechtem und gutem Herzen gehört haben, es bewahren und Frucht bringen in Gedult. Lukas, 8: 4-15

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Antoine de Saint-Exupéry

Dienstag, 1. Juni 2010

Anatomie der menschlichen Destruktivität II

Während für Sigmund Freud Verhaltensprobleme durch nicht kontrollierte Triebe entstehen können, sieht Alfred Adler ein Ungleichgewicht zwischen Gemeinschafts- und Geltungstrieb als Ursache. Zentral für Adler ist den Lebensplan, die Ideale eines Menschen zu kennen. Das Gemeinschaftsgefühl hat seinen Grund in der Tatsache, dass wir unsere Lebensziele nur in einer Gruppe (Familie, Nachbarschaft, Gesellschaft, etc.) erreichen können. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl drückt sich im Bestreben aus, etwas für das allgemeine Wohlergehen, für die Weiterbildung der Gemeinschaft zu tun.
Diesem sozialen Bemühen kommt aber das Geltungsstreben und der Wille zur Macht entgegen. Es ist die Besessenheit immer und überall zu versuchen, Macht über Menschen (und Tiere) auszuüben. Gemeinschaftsorientierung und Geltungsstreben stehen in einem ständigen Spannungsverhältnis. Nun stellt sich die Frage, woher dieses starke Geltungsstreben kommt? Für Hegel war es noch klar, dass der "Kampf um Anerkennung" der Motor des Geschichtsprozesses ist. Adler frägt aber härter nach, was der Grund für übergrosses Geltungsstreben sein könnte? Und er stösst auf das Minderwertigkeitsgefühl und seine Kompensation. Natürliche, körperliche (z.B. Fettleibigkeit), psychische (z.B. geringe Intelligenz), wie auch gesellschaftliche Mängel (z.B. tiefes soziales Milieu) lassen uns bewusst werden, dass wir nicht in allem unseren Idealen entsprechen. Nun kann der Versuch die "Mängelnatur" des Menschen zu überwinden, zu positiven und grossen Leistungen führen. Aber die Kompensation kann fehlschlagen und ein Teufelskreis kann entstehen. Ein verwöhntes Kind gewöhnt sich an, viel zu fordern und wenig zu geben. So wird es aber als Mitglied einer Gemeinschaft wenig geschätzt, womit Minderwertigkeitsgefühle entstehen. Das Kind oder auch der Erwachsene wird versuchen, dies durch mehr Machtstreben zu kompensieren. Ist erst einmal das Gleichgewicht zwischen Gemeinschafts- und Geltungsstreben gebrochen, führt das Machtsterben in einen immer tieferen Teufelskreis.
Das Gleiche kann bei einer strengen und wenig liebevollen Erziehung passieren. Man kann kein richtiges Selbstwertgefühl entwickeln und versucht den Mangel durch Gewalt zu beheben. Aber das führt zu einem asozialen Verhaltensmuster, und Anerkennung muss gewalttätig erpresst werden. Diese erzwungene Anerkennung ist aber lange nicht so nachhaltig wie Anerkennung und Achtung, die einem aus Liebe entgegengebracht wird. Scham ist eine Tatsache unseres Lebens. Aber der richtige Umgang mit unseren "wunden Punkten" will gelernt sein. Bei gelungener Kompensation kann das Minderwertigkeitsgefühl zu einer regelrechten Energiequelle werden und uns zu ausserordenlichen Leistungen anspornen! Für jeden von uns stellt sich die Frage, wie er mit seiner Scham und seinen Minderwertigkeitsgefühlen umgehen will - produktiv oder destruktiv? Wer taugt mehr als Vorbild Albert Schweitzer oder Adolf Hitler?