Dienstag, 29. Dezember 2009

Das "Tao der Religion"

Mit dem "Tao der Religion" meine ich, dass in allem Wandel der religiösen Weltbilder, im Laufe der Evolution von Gott, doch das Gute und eine göttliche Stimme hindurchscheinen. Gandhi hat dies einmal sehr schön auf den Punkt gebracht, und seine Formulierung erinnert mich dabei an taoistische Sinnsprüche:
"Es ist möglich die Existenz Gottes in gewisser Weise durch die Vernunft zu erkennen. Es gibt eine Ordnung im Universum, ein unveränderliches Gesetz beherrscht alles. Inmitten des Todes dauert das Leben fort, inmitten der Unwahrheit dauert die Wahrheit fort, inmitten des Unrechts dauert das Recht fort, in aller Dunkelheit dauert das Licht fort. Während alles, was mich umgibt, ewigem Wechsel unterworfen ist, ist zugleich eine lebendige Kraft am Werk, die sich nicht verändert."
Dieses Gandhi-Zitat taucht nicht zum ersten Mal in diesem Blog auf (vgl. "Elemente des Weltbildes von Gandhi" vom 29.4.09; ). Und das ha t auch seinen Grund. Bringt es doch die religiöse Grundwahrheit auf den Punkt: das radikale Grundvertrauen in die Welt, in die Schöpfung - bei allem Wandel! Die Gutheit des Ganzen. Und wie die verschiedenen Ausformulierungen - je nach konkreter religiöser Weltsicht - auch immer heissen.
Dieser religiöse Glaube hat mich schon lange begleitet. So fand ich, dass er auch in gewissen evolutiven Vorstellungen der Soziologie zum Vorschein kommt. Anstelle von gnadenlosem Sozialdarwinismus und einem rein funktionalistischen Verständnis von Soziologie, geht die "konfliktive Evolutionstheorie" von Volker Bornschier davon aus, dass längerfristig der entscheidende Vorteil in der Entwicklung von Gesellschaften ein höheres Mass an Legitimität ist. Ungleichheiten müssen begründet sein. Wer mehr sein will und mehr haben will, muss auch mehr können und sich mehr anstrengen. Aber wie das "konfliktiv" andeutet, geht die Entwicklung von Gesellschaften nicht konfliktfrei. Konflikte treten immer wieder auf, aber längerfristig gewinnen die Guten! Beziehungsweise was unter gegebenen historischen Bedingungen maximal möglich ist an sozialem Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Bornschier zeigt dann in seinem Klassiker "Westliche Gesellschaft im Wandel" (1988), wie bei der Entstehung der modernen Welt und des Kapitalismus im historischen Evolutionsprozess, die legitimeren Gesellschaften es waren, die gewonnen haben. Intrinsische Motivation, nicht äusserer Zwang, ist was eine Gesellschaft zusammenhält und eine Wirtschaft zum florieren bringt. Neben der historischen Studie, untersuchte Bornschier diesen Vorgang auch empirisch. Für die Westlichen Gesellschaften hat er Zahlenmaterial zusammengestellt, dass zeigt, wie dieser Effekt schon im 19. Jahrhundert quantitativ nachgewiesen werden kann. Schliesslich untersucht er den Zusammenhang mit Hilfe eines multiplen Regressionsmodells für die Nachkriegszeit, bis ca. Anfang der 80er Jahre. In meiner Dissertation (2000) habe ich das Modell verfeinert und weiterentwickelt. Für die Zeit von 1990 bis 1998 konnte ich zeigen, dass ein Mehr an Sozialkapital, d.h. an Vertrauen, Gemeinschaftssinn, Toleranz und sozialer Gerechtigkeit zu höherem Wirtschaftswachstum führte. Kontrolliert wurde bei dieser Analyse der Einfluss des Entwicklungsstandes und der Ausbau des Produktivapparates (physisches Kapital) und der Bildung (Humankapital).
Ich erzähle dies alles, weil für mich der "rote Faden" dabei ist, wie das "Gute" längerfristig - gegen alle Widerstände - am gewinnen ist! So hat sich im 20. Jahrhundert gezeigt, dass die Vertreter der Freiheit sich längerfristig gegen inhumane Diktaturen (Nazis und realexistierender Sozialismus) durchsetzen konnten. Dies könnte - spieltheoretisch formuliert - auch bedeuten, dass sich immer mehr Win-Win-Beziehungen durchsetzen. Auf deutsch: Handel, die wechselseitige Kooperation, bei der beide Seiten gewinnen, ist die erfolgreiche Strategie! In meiner Dissertation gehe ich diesem Phänomen im 1. Kapitel "Social Dilemmas and the Problem of Cooperation" nach (S. 10-20). [Übrigens kann meine Dissertation wieder kostenlos im Netz gelesen werden: A Reformed European Model.]
Mit grossem Interesse habe ich nun eine Buchbesprechung von H. Allen Orr über das Buch "The Evolution of God", von Robert Wright, in der New York Review of Books gelesen (Can Science Explain Religion? Nr. 1, 14. Januar, 2010; ). Robert Wright ist ein Spezialist für die Anwendung spieltheoretischen Denkens auf Geschichte und Religionsgeschichte. Der Geschichtsprozess ist getrieben vom Geist des Handels, von wechselseitig vorteilhafter Kooperation. Dies ist eine klar optimistischere Sichtweise, als eine macht- und ausbeutungsorientierte Sichtweise (vgl. Nietzsche und Marx). In "The Evolution of God" (2009) wird auch die Entwicklung des Gottesbildes als Anpassung an dieseitige Bedingungen, wie Ökonomie, Politik und Krieg, gesehen. Es wird eine materialistische Sichtweise verfolgt. Nichtsdestotrotz führt für Wright die Entwicklung der Nicht-Nullsummen-Dynamik der Religionsgeschichte dazu, dass sich immer mehr Toleranz und moralische Inklusion auf der Welt verbreiten, zusammen mit immer positiveren Gottesbildern!
Wright will diese Entwicklung nun spirituell und religiös verstehen.
"If history naturally carries human consciousness toward moral enlightenment, however slowly and fitfully, that would be evidence that there's some point to it all. At least, it would be more evidence than the alternative... To the extent that "god" grows, that is evidence - maybe not massive evidence, but some evidence - of higher purpose. Which raises this question: If "god" indeed grows, and grows with stubborn persistence, does that mean we can start thinking about taking the quotation marks off?"
Und: "In the great divide of current thought - between those, including the Abrahamics, who see a higher purpose, a transcendent source of meaning, and those, like [Steven] Weinberg, [and the other so-called New Atheists Daniel Dennett and Richard Dawkins], who don't - the manifest existence of a moral order comes down clearly on one side."
Der Rezensent H. Allen Orr meint nun, dass eine materialistische Theorie der Moralentwicklung noch kein Beweis für die Existenz von Transzendentem ist. Dem kann nicht widersprochen werden. Aber die Existenz von positiver Moralentwicklung und positiveren Gottesbildern im Laufe der Geschichte kann doch als ein Grund der Hoffnung angesehen werden. Und Wright sieht korrekt, dass es sich beim "höheren Sinn" nur um einen Hinweis und eine Intuition handelt. Aber doch soviel!
***

Wright argumentiert auch, dass die ganze biologische und kulturelle Evolution auf Erden positiv, d.h. als Hinweis auf einen höheren Sinn verstanden werden sollte. Wenn man sich die einzelnen Entwicklungsschritte von der ersten lebenden Zelle, über mehrzellige Organismen, hin zu Menschen mit moralischem Empfinden und der Fähigkeit zur Hervorbringung von High-Technologie, vor dem inneren Auge verdeutlicht, ist das schon eine gewaltige Entwicklung! Dies ist ja genau die - inzwischen wohl etwas vertraute - Argumentationslogik der "Evolutionären Spiritualität", wie sie in diesem Blog entwickelt wird. Und in diesem Zusammenhang möchte ich noch auf ein anderes Buch hinweisen: "Integral Consciousness and the Future of Evolution" (2007) von Steve McIntosh. Er zeigt im Detail die Entwicklung von menschlichem Bewusstsein und menschlicher Kultur auf. Dabei weist er darauf hin, dass diese Entwicklung stufenweise vor sich geht, und dass sich die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins und die Entwicklung der menschlichen Kultur in vielem entsprechen. Für mich faszinierend zu lesen war sein 3. Kapitel, in dem er die spiralförmige, dialektische Höherentwicklung der menschlichen Kultur aufzeigt. Ihm gelingt es - meiner Meinung nach - dabei sehr gut die jeweils zentralen Einflussfaktoren aufzuzeigen. Vom Archaischen, über die Stufe der Stammesgesellschaften, zum Kriegerbewusstsein, dann aber weiter zum traditionalistischen Bewusstsein, dann die Moderne und schliesslich die Postmoderne. Die Entwicklung hört dann aber noch nicht auf. Durch starke Vernetzung der Menschen und einer neuen ganzheitlichen Sicht entsteht schliesslich die Stufe des Integralen Bewusstseins (so zumindest meine Lesart, im Anschluss an Teilhard de Chardins "Noosphäre"). Der Fortschrittsgedanke und die Gerichtetheit dieses Entwicklungsprozesses sind die beiden Hauptelemente einer evolutionären Spiritualität. Sie sind der Grund für Hoffnung. Kritisch muss aber angefügt werden, was soll nach der integralen Stufe kommen? McIntosh lässt hier das Feld offen und spricht von einem post-integralem Bewusstsein. Was aber soll das sein? - Damit möchte ich auch nochmals auf eines meiner ersten Postings von diesem Jahr zurückkommen: Ewiger Fortschritt, Erscheinung Gottes, Apokalypse, oder ...???
***

In diesem Blog-Posting erwähnt Bücher und Links:

Wright, Robert. 2009. The Evolution of God. Little, Brown.
Orr, Allen H. Can Science Explain Religion? The New York Review of Books. Vol. 57, No. 1, January 14, 2010.

McIntosh, Steve. 2007. Integral Consciousness and the Future of Evolution - How the Integral Worldview Is Transforming Politics, Culture and Spirituality. Paragon House, St. Paul.
Bornschier, Volker. 1996. Western Society in Transition. Transaction Publishers, New Brunswick. (Habe nur noch seine überarbeitete englische Ausgabe zu Hause.)

Leicht, Michael. 2000. A Reformed European Model - Social Capital as Competitive Advantage. Grin Verlag.

***

Das unbegreifliche Wunder der Existenz der Welt, der Anderen und unser selbst.
Die Möglichkeit Wahrheit zu erkennen und die Möglichkeit Gutes und Schönes zu erleben.
Das ist das grosse Geschenk des Staunens!

Samstag, 26. Dezember 2009

Der Abgrund

"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."
Friedrich Nietzsche, 'Jenseits von Gut und Böse'

Montag, 21. Dezember 2009

Angestrahlt vom ewigen Licht

In diesem Posting möchte ich einmal nicht so weit fortschweifen. Sondern vielmehr mich mit einer Predigt von Pfarrer Ruedi Wöhrle von der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich-Albisrieden mehr im Detail beschäftigen. Also so zu sagen schauen, was vor meiner Haustüre religiös so los ist. Die langen Zitate machen klar, dass mich die Predigt sehr angesprochen hat. Auch wenn ich mit ein paar längeren dogmatischen Formulierungen nicht einverstanden bin.

"Antwort auf die tiefsten Fragen des Menschseins geben: Hat mein Leben einen Sinn, eine Bedeutung? Was ist der Sinn meines Lebens? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Komme ich überhaupt irgendwoher und komme ich irgendwann an ein Ziel, nachhause? Bin ich verloren in der Unendlichkeit eines letztlich sinnlosen, gefühllosen, bewusstlosen Universums - ein zufälliger Splitter in einer riesigen Masse, oder bin ich aufgehoben in und mit einem sinnvollen, zielgerichteten Kosmos - Teil eines grossen, zusammenhängenden Ganzen? [...]
Diese Welt ist die Schöpfung eines bewussten Willens nach einem weisen, wunderbaren Plan, der am Ende vollendet wird. Wir sind getragen von einem Ewigen, der uns geschaffen hat und der uns am Ende erwartet.
Gott, der Ewige, Unendliche, Unfassbare, den wir nie begreifen, sondern nur anrufen und anbeten können hat nach einem Urplan und Urbild, das wir in einem Geheimnis empfangen können, alles geschaffen. Christus, [...] das Urgeheimnis der ewigen Liebe, die sich selbst verschenkt, ist der Plan der Schöpfung. [...] Es gibt nichts und niemand, den er nicht als zu ihm gehörig sehen möchte. [...] Die ganze Welt ist getragen von einem bewussten Geist. [...] Wenn er seinen Atem zurückzieht, versinkt alles ins Nichts. [...]
Aber ich selbst werde in dem Kind in der Krippe zum Kind Gottes, das unwiderruflich zu ihm gehört und das er durch Christus trägt. Ich bin angenommen, aufgehoben bei ihm. [...] Durch Christus [als göttlichem Vermittler] liegt auch auf uns etwas vom Abglanz der ewigen Herrlichkeit Gottes, von seinem Licht. [...] Gott ist nicht allein. Gott hat ein Gegenüber. Und er macht uns zu seinem Gegenüber in Liebe. Geschaffen in seinem Bild, angestrahlt von seinem Licht, wiederspiegeln wir etwas von seiner Herrlichkeit und werden ihn am Ende schauen von Angesicht zu Angesicht. [...]
Aber nun geht durch die Welt ein unendlich schmerzlicher Bruch. Wir erfahren Lieblosigkeit und werden verwundet. Wir machen uns selber schuldig durch Lieblosigkeit. Die wunderbare Christus-Harmonie, der Friede, der göttliche Schalom wird gestört, und wir stören ihn auch. Wir haben all das Böse und all das Leiden in der Welt. Und wir können nicht alle Fragen beantworten. Wenn es keinen Gott und keinen Plan gibt, dann ist alles sinnlos. Und die Mörder und Diktatoren haben schlussendlich das bessere Los gezogen als ihre Opfer. [...]
Wenn aber Christus das All trägt, dann geht diese Welt auf ihr grosses Ziel, auf ihre Vollendung zu und wir kommen auch an unser Ziel. Wir können zwar im Moment oft unseren Weg, unser Schicksal nicht verstehen. Aber wir glauben von der Christus-Tat und vom Christus-Mysterium von Kreuz und Auferstehung her [aber bitter nur symbolisch verstehen!], dass Gott zuletzt auch über alles Schlechte oder Böse triumphiert. [...] Wir haben sehr oft nicht die Wahl unser Schicksal zu ändern. Aber wir haben die Wahl, wie wir damit umgehen.
[Der nächste Absatz ist für mich ziemlich diffus oder wollen wir sagen "poetisch". Aber wer weiss schon wirklich eine einfache Antwort auf das Unheil und das Böse?]
Das Verbrechen, der Unfall, die Krankheit trifft mich - je nachdem habe ich einen gewissen Anteil daran. Aber ob ich bitter werde oder ob ich mit Christus die Wunde und den Schmerz annehme und mich in seine Liebe hinein gebe, die mich trägt, - es sind ja die Hände des Gekreuzigten und Auferstandenen mit den ewigen Wundmalen, die mich tragen - ob ich das tue, und so die Kraft seiner Liebe und Vergebung empfange, das ist meine Wahl und meine Entscheidung.
Ich kann auch andere beschuldigen für vieles im Leben: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft: ich das Opfer von dem, was andere tun. Ich bleibe so in meinen Wunden hängen und kann sie das Leben lang lecken und bitter grollen, wüten und auf Rache sinnen. Es hilft mir nichts - ich mache nur mich selber bitter und krank. Christus ist immer da und wartet auf mich: in den Wunden liegt die Heilung zu Liebe und Vergebung. Und realisieren wir es doch: wir erweisen nicht anderen, sondern uns selbst den grössten Dienst, wenn wir ihnen vergeben. Die anderen können vielleicht nicht einmal etwas damit anfangen, wenn wir ihnen vergeben - aber wir selber, wir werden auf jeden Fall durch Vergebung frei.
Wie schlimm ist doch die Bitterkeit - und wie gut tut die Liebe! Warum wählen Menschen dann überhaupt Bitterkeit, Groll und Wut? Weil es besser ist negative Gefühle zu haben als gar nichts zu spüren. So spüren sie sich wenigstens. Es gibt ja Menschen, die sogar sich selbst verletzten um sich zu spüren. Und in Wut und Rachsucht spürt man sogar noch Energie! Und weil man nichts Besseres kennt, bleibt man in der vertrauten bitteren Sosse sitzen. Nach dem Motto, das der Psychologe Watzlwick so formuliert hat: Lieber das bekannte Unglück als das unbekannte Glück. Es braucht Mut, aus diesen Mustern aufzubrechen und den Schmerz der Wunden anzunehmen. Aber der Mut lohnt sich. Wer erfahren hat, wie sehr Liebe und Vergebung Balsam für die Seele ist, wird immer wieder den Weg aus der bitteren Sosse suchen. Es gibt keine grössere Kraft auf der Welt, als die der geheilten Wunden. [...]
In Christus will uns Gott nicht gewaltsam vereinnahmen, sondern unsere Herzen gewinnen.
Aber wir kommen angesichts des Weltgeschehens und der Menschenschicksale auch immer wieder ins Wanken, ob sich denn Gott tatsächlich letztgültig in dieser Welt gezeigt hat. Kriege und Konflikte, akute Krisen, schlimme Ereignisse und Entwicklungen lassen uns immer wieder fragen, wo wir Gottes Gegenwart in unserer Welt festmachen können, und wo wir Gott in unserem persönlichen Leben entdecken können. Nicht jeder von uns geht mit fröhlicher Feststimmung auf die Feiertage zu. Krankheit und Trauer, Sorgen und Ängste, Resignation und erschöpfte Kräfte lassen uns die Gegenwart Gottes zuweilen nur schwer erkennen. [...]
[Die Antwort auf das Theodizee-Problem ist nun einmal mehr die Botschaft der Gewaltlosigkeit, und dann das formelhafte Lob auf unseren Gott Jesus Christus und seine märchenhafte Existenz unter den Menschen!]
Aber so ist es, singt jubelnd der Hebräerhymnus, es ist so, dass Gott diese Welt durchdringt und sie nicht mit brutaler Gewalt, nicht mit der Logik von Vergeltung und Rache, nicht mit den Mitteln von Unterdrückung und Unterwerfung bezwingt, sondern sie von sich selbst erlöst und damit alles zu seinem Erbe[!] erklärt. Es beginnt mit dem Kind in der Krippe, es setzt sich fort im Wirken des Nazareners, es überwindet Leid und Tod in Kreuz und Auferstehung Jesu und setzt sich fort in seinem Geist, mit dem Christus unter uns lebendig ist, seine Welt und unser Leben trägt und zu dem Ziel einholt, das Gott vorherbestimmt hat."

Aus der Predigt am 4. Advent zu Hebräer 1,1-6, Zürich-Albisrieden, 20. Dezember 2009.

Christentum? - Das christliche Ideal ist die Nachfolge Jesu und die entsagungsvolle Hingabe an die himmlische Verheissung. Kurz: Liebe und Harmonie mit Gott und der Welt.

Freitag, 18. Dezember 2009

"Gefährliche Lehren"

"Sie verbreiten gefährliche Lehren, Monsignore. Dort, wo die Kontrolle der Kirche versagt, regiert das Chaos. Und wo Chaos herrscht, verbreitet sich das Böse. Die Macht der Kirche ist das Einzige, was die Kräfte der Finsternis aufhalten kann. Deshalb muss die Macht ausgeübt werden! Man darf sie nicht aus intellektuellem Hochmut oder naiver Grosszügigkeit links liegen lassen - man muss sie benutzen!
"Darüber liesse sich in der Tat vortrefflich spekulieren - wer liess es zu? [Die Rede ist von Kindsmissbrauch!] Vielleicht das System an sich? Ein System, das die natürliche Sexualität des Menschen leugnet? Ein System, das menschliche Gefühle und Sehnsüchte verdammt? Ein System, das zu Heuchelei und Lüge verleitet? Ein System, das versucht, aus seinen Priestern geschlechtslose Eunuchen zu machen?"
"Ich bin nur ein Werkzeug in den Händen Höherer. Hier geht es um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Unser Auftrag ist es, die Kirche zu reiningen und zu befreien von den Schmutzschichten der modernen Zeit. Wir werden sie wieder in Reinheit und Glanz erstrahlen lassen, als Leuchtturm für alle Gläubigen! Unser Arm reicht weit."
"Und dafür sind Sie bereit, das Leben anderer Menschen zu zerstören?"
"Schwachheit öffnet der Sünde die Tür. Er und andere hohe Geistliche bis hinauf in die Spitzen des Apostolischen Palastes haben vor dem Ungeist der Moderne kapituliert! Sie betrachten den Heilsweg Christi nur noch als einen unter vielen, leugnen den absoluten Wahrheitsanspruch der Kirche! Sie opfern das göttliche Geheimnis auf dem Altar der Beliebigkeit! Statt Diener Gottes sind sie Diener dieser Welt geworden, und deklarieren diesen Ausverkauf der Kirche als Öffnung zur Gesellschaft! Sie degradieren die Kirche zu einer x-beliebigen Wohlfahrtsorganisation! Sie wagen es nicht mehr, mit der Hölle zu drohen, aus Angst, sich damit unbeliebt zu machen! Sie verraten den Auftrag Gottes!"

Ist das wirklich der Weg zu einer "Zivilisation der Liebe"?

Auszüge aus dem fiktiven Roman von Ingo-Michael Feth "Confiteor - Ich bekenne", 2007 im Literareon, Herbert Utz Verlag erschienen.

Freitag, 11. Dezember 2009

Glaube als radikales Grundvertrauen

Im der neusten Ausgabe von "reformiert.info" vom 11.12.09 gibt Hans Küng ein Interview (S. 3). Im Folgenden drei Auszüge, die mir besonders wichtig erscheinen:

"Es gibt zahllose Gründe, weshalb man an einen Gott glauben kann und soll. Das beginnt mit dem grossen Fragen nach dem Ursprung des Kosmos, dann die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Sterbens. Es stellen sich viele solcher letzten Fragen, die ohne einen Gottesglauben nicht so beantwortet werden können, dass man sich auf eine unbedingte, absolute Instanz berufen kann."

"Der Glaube löst nicht einfach alle Rätsel. Der Glaube kann nicht mathematisch-naturwissenschaftliche Beweise liefern. Sondern er ist in erster Linie ein Vertrauen - vertieftes, verankertes, radikales Grundvertrauen."

"Warum das Leid? Und wie verhält sich Gott dazu? Das sind die schwierigsten Fragen überhaupt. Es gibt nun die Alternative: Sie können sagen, das Leid in der Welt verunmöglicht mir den Gottesglauben. Oder Sie können gerade deswegen an Gott glauben, um überhaupt mit dem Leid fertigwerden zu können. Denn wenn es keinen Gott gibt, sind es gerade die Ungerechten, die am Ende gewinnen. Dann siegt der Mörder über das Opfer."

***
 
Wenn das Böse unsere Welt verfinstert,
dann gib uns Licht.
Wenn Verzweiflung unsere Seelen betäubt,
dann gib uns Hoffnung.
Wenn wir taumeln und uns fürchten,
dann umgib uns mit Liebe.
Wenn nichts sicher erscheint,
dann gib uns Vertrauen.
Wenn wir unseren Weg verlieren,
dann sei Du unser Licht und unser Führer.
 
von David A. Johnson
(Übersetzung aus dem Englischen und Adaption von mir)
 
***
Als Menschen fragen wir immer nach dem "Wieso?" und "Warum?" unseres Lebens? Dies weil wir von etwas angezogen werden, dass uns nach Sinn streben lässt. Wir brauchen Sinn genau so wie Essen und Trinken. Die Menschen drängt es zu verstehen und ihrem Leben die grösst mögliche Bedeutung zu geben. Bei grossen Einbrüchen in das Alltagsleben - durch Tod und Leid - werden unsere Alltagskategorien durcheinander geworfen. Die Frage ist dann, ob wir hoffen können, dass sich der "Sinn" wie von selbst wieder zuspielen wird, weil die Welt und das Leben letztlich sinnvoll sind? Oder ob wir befürchten müssen, keinen "Sinn" mehr zu finden, weil die Welt im Letzten absurd ist?
Diese "Sinn-Arbeit" ist dabei nicht bloss intellektuell, sie ist tief spirituell. Es geht um nicht weniger als um unser Verhältnis zu unserem Planeten, unserem Verhältnis zu einander und um unser Verhältnis zum Wunder und Rätsel unserer Existenz. Die Sinnsuche ist religiös, weil sie uns klar macht, was uns wirklich wichtig ist, und was wir erstreben, was wir hoffen, und was wir fürchten.
 
***
 
An dieser Stelle sei schliesslich nochmals an das Posting "Die Schöpfung ist grösser als ein Bekenntnis...", vom Mittwoch, den 15.7.09 erinnert. Das UU Bekenntnis (1990) vom damaligen UUA-Präsident W. Schulz ist inzwischen ganz wiedergegeben.

Montag, 7. Dezember 2009

Vom richtigen Verständnis der Bibel

Die Bibel und ihre Geschichten sind immernoch überall in unserer europäischen Kultur präsent. Aber die Bibel ist nicht ein klares philosophisches Werk, welches uns systematisch über die Welt, Gott und die Unsterblichkeit informieren würde. Vielmehr ist sie eine Sammlung von Geschichten verschiedener Autoren. Was beeindruckt ist ihr enormes Alter: einige tausend Jahre. So verwundert es auch nicht, dass es in der Bibel von Wundern und übernatürlichen Ereignissen nur so wimmelt. Die modernen Naturwissenschaften waren noch nicht entwickelt, als sie geschrieben wurde, um einen distanzierteren, objektiveren und aufgeklärteren Blick auf die Welt zu bieten. Aber vielleicht ist das auch garnicht nötig. Sind es doch vor allem die Märchen und legendären Geschichten, wie z.B. die Weihnachtsgeschichte, die uns emotional direkter ansprechen können und sich in unser kulturelles Gedächtnis eingegraben haben. Das Übernatürliche steht einfach für eine transzendente, göttliche Dimension.
Religiös Liberale sollten die Bibelinterpretation nicht den buchstabengläubigen Fundamentalisten überlassen. "Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig." (2. Brief an die Korinther, 3,6). Wenn es auch in der Bibel und dort v.a. im Alten Testament zahlreiche Belege gibt für einen grausamen und rachsüchtigen Gott, so wird dieser doch im Laufe der Zeit und im Laufe der Bibel besser. Der Gott des Neuen Testaments ist auf der Seite der Schwachen und Unterdrückten. Hoffnung entsteht, die über den Tod hinausreicht. Die Bibel muss auf eine befreiende Art und Weise gelesen werden. Wichtig ist zu verstehen, was in der menschlichen Erfahrung transzendente Metaphern wie "Schöpfung", "Befreiung" und "Auferstehung" hervorgebracht hat?
Die Bibel ist nicht im wörtlichen Sinne Wort Gottes. Sie ist nur grosse Literatur! Die Bibel ist menschliche Literatur über das Göttliche, nicht göttliche Literatur über den Menschen. Aber sie versucht von einem göttlichen Standpunkt aus uns etwas über das Menschsein zu lehren. Sie versucht Menschen eine Richtschnur zu geben, wie sie der transzendenten Quelle der Schöpfung, Befreiung und letzten Gerechtigkeit treu bleiben können. Wir wissen aber auch, dass die Bibel nur Stückwerk ist. Nicht alle religiöse Wahrheit ist in sie in der Vergangenheit eingeflossen. Wohl aber die wichtigste von Glaube, Liebe und Hoffnung! Und wo diese Drei das Thema sind, da ist auch die göttliche Offenbarung.
Die zentrale Inspiration für diesen Beitrag war der Artikel "Why bother with the Bibel ... interpret, or others will do it for you" von John Buehrens, erschienen in UUWorld.