Freitag, 26. Juni 2009

Opfertheologie und Dreifaltigkeit

Das Kreuz ist das zentrale Symbol des Christentums und der Tod Christi am Kreuz die zentrale Saga. War das qualvolle und blutige Sterben von Jesus am Kreuz ein notwendiges Opfer? - Ich bin nun auf die Interpretation von Prof. Pierre Bühler, Theologieprofessor an der Uni Zürich, gestossen. Seine Interpretation ist Vertrauen auf Gott, auch in scheinbar ausweglosen Situationen und Gelöstheit und Gelassenheit. Dies also als die Quintessenz der "Heilsbedeutung" des Kreuzestodes? - Mir scheint jedoch eine "befreiungstheologische Sicht" noch wichtiger zu sein. Wenn wir das Kreuz als das zentrale Symbol für die Teilhabe Gottes in dieser Welt nehmen, sollte soziale Transformation zur Befreiung der heute Unterdrückten unser Ziel sein. Jeder sollte seine eigene Variation zum Puls des Lebens beitragen können. Die Schlussfolgerung ist für mich mal wieder die gleiche: das Kreuz nicht als Symbol für irgend ein obskurantes Opfer und von "Heilsbedeutung", sondern Jesus als moralisches Vorbild! Thomas Jefferson, Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, hat diese Grundintention aufgenommen und die Evangelien entsprechend umgearbeitet. Befreit von allem unglaubwürdigem Übersinnlichen, auf die moralische Botschaft hin konzentriert. Der neue Titel der "Jefferson Bible" ist "The Life and Morals of Jesus of Nazareth".
Schliesslich glaube ich endlich einen Schlüssel zum Verständniss der "heiligen Dreifaltigkeit" gefunden zu haben. Gott Vater steht für unser Bedürfnis einen allmächtigen, transzendenten Gott jenseits dieser Welt zu haben. Gott Sohn - Jesus Christus - ist der menschgewordene Gott. Sozusagen der Mensch zum Anfassen. Deshalb kann er auch so gut als Mittler zwischen den Menschen und Gott gedacht werden. Schliesslich Gott Heiliger Geist. Der Heilige Geist steht für die Gegenwart Gottes überall auf der Welt und in der ganzen Schöpfung.

  • Thesen von Prof. Dr. Pierre Bühler

- Wie stehen Sie zur Interpretation des Todes Jesu als Sühnneopfer?

Die Deutung des Kreuzestodes Jesu Christi als Sühnopfer ist eine weiterhin mögliche Deutung; weil sie die kultische Symbolik der Opferrituale voraussetzt, ist sie jedoch schwer nachzuvollziehen und kann heute leicht Missverständnisse stiften; deshalb darf uns helfen, dass sie nicht die einzig mögliche Deutung ist und die Heilsbedeutung des Kreuzestodes auch anders zum Ausdruck gebracht werden kann.


- Was ist Ihre Deutung des Todes Jesu?

Das Wort vom Kreuz betrifft entscheidende Momente des zeitgenössischen Verhältnisses zu Leben und Sterben, die Beherrschungssucht und die Angst vor der Verlassenheit; angesichts dessen verkündigt es die - menschlich betrachtet unmögliche - Möglichkeit, sich in gelassenem Vertrauen der Ohnmacht hinzugeben, sich in der Verlassenheit auf den verlassenden Gott zu verlassen.


- Was heisst für Sie Erlösung?

Erlösung heisst gelöstes Leben: ein Leben, das von Zwängen des Beherrschens, Bewältigens, Rechnens und Sühnens losgelöst wird, und deshalb gelöst, gelassen, sich selbst in aller Schwachheit und Unverfügbarkeit als unablässige, spannende Gabe und Aufgabe in Empfang nehmen kann.


  • Die Jefferson-Bibel: Das Leben und der moralische Unterricht von Jesus
Die Jefferson Bibel

Mittwoch, 24. Juni 2009

"Die Brüder Löwenherz" von Astrid Lindgren


Krümel Löwenherz und seinen Bruder Jonathan lesend zu begleiten, erfordert mehr Haltung als manchmal zur Verfügung steht. Die Geschichte ist so traurig, dass sie im Herzen weh tut, jedenfalls denen, die kein Löwenherz haben, und das sollen einige sein. Leute, die es vollkommen unerträglich finden, schon auf Seite eins vorzulesen zu müssen, dass Krümel bald sterben muss, ein nur zehnjähriger Junge, der in einem alten Holzhaus auf die Küchenbank gebettet ist und haltlos weint, weil er gehört hat, dass er bald sterben muss. Und nicht glauben kann, was sein großer Bruder Jonathan, der auch nur drei Jahre größer ist, ihm zum Trost versucht zu sagen: dass es nach dem Sterben bestimmt herrlich wird. "Herrlich?" sagte ich, "tot in der Erde liegen, das soll herrlich sein?!"
Stimme festigen, weiterlesen. Bald wissen wir, dass Krümel nicht nur einen, sondern viele Tode sterben muss, aus Angst, aus Schreck, aus Liebe, und keineswegs der Einzige ist, dem das wiederfährt, nicht mal der Erste. Als Erster stirbt Jonathan, noch vor Kapitel zwei. Und das soll ein Kinderbuch sein?! Womit wir zur guten Nachricht kommen: Die Brüder Löwenherz leben nach dem Sterben in aufregenster Weise weiter, im Land der Sagen und Lagerfeuer, in Nangijala! Kämpfen gegen einen blutrünstigen Herrscher, besiegen einen Drachen, und wie Krümel das durchsteht, mit der Verzweiflung einer angstschlotternden Maus, es ist ein Wunder. Schon reiten sie wieder, Krümel und Jonathan, über Kirschblütenwiesen, angeln an Seen und erzählen sich Geschichten. Im Land der Toten, dies ist die Botschaft, geht das Erzählen weiter, wir nehmen es als Versprechen, liebe Astrid Lindgren, unbedingt.
(Von Susanne Mayer, 'Krümel Löwenherz', Die Zeit, 06/2002.)

Ein paar Szenen aus dem gleichnamigen Film "Die Brüder Löwenherz".


Im Folgenden ein paar Textausschnitte, die ich beim Lesen des Buches unterstrichen habe. Hat vielleicht ein bischen etwas dadaistisches ...

Aber wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben.

Weine nicht, Krümel, wir sehen uns in Nangijala wieder!

Dann wird meine Seele bei dir sein.

Aber gewiss doch, natürlich war es wahr, das mit Nangijala!

Weine nicht, Mama! Wir sehen uns wieder in Nangijala!

Die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen.

Man hat nicht einmal Angst davor, dass alles plötzlich zu Ende ist, so wie es sonst mit allem geht, was Spass macht.

Jonathan, du hast gesagt, dass man in Nangijala von früh bis spät und selbst nachts Abenteuer erlebt.

Abenteuer wirst du schon noch erleben.

Denn glaub mir, es gibt Abenteuer, die es nicht geben sollte.

Dann ist es so, wie ich vermutet habe, sagte er. Wir haben einen Verräter im Kirschtal.

Warum bleibt er denn nicht in seinen Uralten Bergen?, fragte ich. Warum muss er nach Nangijala kommen und alles zerstören? - Ja, warum?, sagte Jonathan. Wer darauf eine Antwort weiss, weiss viel. Ich kann dir nicht sagen, warum er alles vernichten muss. Es ist eben so. Er gönnt den Leuten in den Tälern nicht, dass sie ihr Leben leben. Und er braucht Sklaven.

Oh, wie ich mir wünschte, ebenso mutig zu sein wie Sophia und Jonathan! Aber ich hatte solche Angst, dass ich kaum denken konnte.

Eines Tages schlägt auch für Tengil die Stunde.

Plötzlich musste ich daran denken, wie es damals gewesen war, damals, als Jonathan tot und fort gewesen war und ich auf meiner Schlafbank in der Küche gelegen und nicht mit Sicherheit gewusst hattte, ob ich ihn wieder sehen würde. Daran zu denken war wie ein schwarzes Loch starren.

Ich dachte an das, was mir Jonathan von Tengil erzählt hatte, und es kam mir vor, als wäre es die grausamste aller Sagen. Ich fragte Jonathan, warum er sich in eine solche Gefahr begeben müsse. Ebenso gut könne er doch zu Hause am Feuer sitzen und es sich gut gehen lassen. Aber da antwortete mir Jonathan, es gebe Dinge, die man tun müsse, selbst wenn es gefährlich sei. Aber warum bloss?, fragte ich. Weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck, erwiderte er.

Einmal noch musste ich ihn sehen, ehe ich ihn vielleicht für immer verlor.

Weine nicht, Krümel! Wir sehen uns wieder - bestimmt! Wenn nicht hier, dann in Nangilima.

Was konnte ich schon tun, niemand war so hilflos wie ich! Ich konnte nur in meinem Bett zurückkriechen und dort lag ich dann zitternd und fühlte mich so verloren, klein und verängstigt und einsam, so einsam wie niemand sonst auf der Welt.

Ich tue es! Ich tue es! Ich bin kein Häuflein Dreck! Oh, was für ein schönes Gefühl es war, sich endlich entschlossen zu haben!

Ich erzälte Fjalar, wie es war, ich zu sein, ich auf dem langen Ritt in die Berge. Begreifst du, was für ein Abenteuer es für mich ist?

Ich wünschte mir nur eins: sofort einzuschlafen, noch bevor ich anfing mich zu fürchten. Ja, Pustekuchen! Und wie ich mich fürchtete! Ich kenne keinen, der sich so schnell fürchtet wie ich mich. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf herum.

Denn hier gab es Steilhänge und Abgründe, dass einem schwindelte vor so viel schrecklicher Schönheit. Es war, als reite man in einem Traum, ja diese ganze Mondscheinlandschaft kann es nur in einem schönen und wilden Traum geben, dachte ich und sagte zu Fjalar: Wer, glaubst du, träumt dies wohl? Ich jedenfalls nicht. Es muss jemand anders sein, der sich etwas so übernatürlich Schreckliches und Schönes zusammengeträumt hat, vielleicht Gott?

Es wurde immer schlimmer. Schliesslich wagte ich nicht einmal, die Augen offen zu halten, denn sollten wir abstürzen, wollte ich es wenigstens nicht sehen.

Warten ist unheimlich, wenn man auf etwas Unheimliches wartet! Und ein Verräter ist etwas Unheimliches!

Als ihn das glühende Eisen traf, schrie Jossi auf. Ja, fühl nur, wie weh es tut, sagte Kader. Jetzt weisst du für alle Zeiten, dass du einer der Unsern bist, selbst als Verräter.

Schliesslich kann man eifersüchtig und trotzdem ein anständiger Kerl sein.

Löwenherz hat einen kleinen Bruder, den er über alles liebt. Da weinte ich still vor mich hin und sehnte mich nach Jonathan.

Gebt meinen Bruder frei und nehmt mich statt seiner, würde er sagen, falls er sich aus seinem Bruder wirklich etwas macht und ihn vor Qualen bewahren will.

Karlchen Löwenherz ist ein lieber Junge, aber ein Löwe ist er wahrhaftig nicht. Einen furchtsameren Knirps gibt es überhaupt nicht. Hasenherz wäre der richtige Name für ihn.

Alle Macht Tengil, dem Befreier!, sagte Jossi.

Dieser Kerl, sagte Veder, der ist was für Katla, wenn wir erst mit dem Kirschtal fertig sind. Er sagte es so, dass einem klar wurde, was es heisst, in Katlas Gewalt zu geraten. Ich wusste von Katla so gut wie nichts und doch schauderte es mich und Jossi tat mir beinahe Leid, obwohl er ein Schurke war.

Ich wünschte so sehr, sie verschwinden zu sehen, dass es fast wehtat.

Manchmal, wenn die Gefahr am grössten ist, rettet man sich ohne zu überlegen.

Ich musste ein weisses Häuschen mit einem Grossvater finden, sonst würde ich in die Katlahöhle kommen.

Überdies war es schrecklich zu sehen, wie es den Menschen im Heckenrosental erging, wie bleich und verhungert und unglücklich sie alle aussahen, wie anders als die Leute im Kirschtal.

Ein paar Mal in meinem Leben bin ich so froh gewesen, dass ich vor Freude nicht aus noch ein wusste. Als ich vor Freude ganz närisch war. Oh, dass man sich so freuen kann! So, dass einem das Herz im Leib lacht oder wo man sich sonst freut.

Warum hast du gerufen?, fragte ich. Es musste etwas sein, woran er nicht einmal denken konnte, ohne dass es ihm wehtat.

Ich habe Katla gesehen, sagte er. Ich habe gesehen, was Katla tut.

Mein Gott, was gibt es doch für Menschen!

Der auf ewig verdammte Name des Verräters lautet Jossi, der Goldhan. Mach ihn rasch unschädlich. Mein Bruder ist jetzt hier.

Es war ein so herrlicher Abend, die Luft war lau, es atmete sich so leicht.

Und die Blumen gefallen mir und Gras und Bäume und Wiesen und Wälder und hübsche kleine Seen, sagte Jonathan. Und ich liebe es, wenn die Sonne aufgeht und wenn sie untergeht und wenn der Mond scheint und die Sterne leuchten und noch so allerlei anderes, was mir jetzt nicht einfällt. Das mag ich auch alles sehr gern, sagte ich. Das mögen alle Menschen gern, sagte Jonathan. Und wenn sie nicht mehr verlangen, kannst du mir dann erklären, warum sie all das nicht ungestört und in Frieden haben dürfen, ohne dass so ein Tengil auftaucht und ihnen alles verdirbt?

Aber du bist doch noch jung und willst sicher später ein Tengilmann werden, nicht?

Todesstrafe, das ist das Einzige, woran diese Menschen denken können.

Entlich mal wieder satt! Ich hatte schon vergessen, was für ein Gefühl das ist.

So weisst du noch nicht, dass die Leute hier Lieder von diesem Ritt und von Jonathan singen. Dass er zu uns gekommen ist, das ist das einzig Erfreuliche, was sich im Heckenrosental ereignet hat, seit Tengil hier eingefallen ist und uns zu Sklaven gemacht hat. "Jonathan, unser Befreier", singen Sie, denn er wird das Heckenrosental befreien, daran glauben sie und ich glaube es auch. Jetzt weisst du alles.

Ja, vielleicht muss ich deshalb noch am Leben bleiben. Aber einen Kampf zu leiten, dazu tauge ich nicht mehr. Dazu muss man jung sein. Er seufzte. Wenn Orwar hier wäre! Aber er wird in der Katlahöhle schmachten, bis Katla ihn holt.

Von zehn Bohne auf deinem Acker nimmt dir Tengil neun weg, has du das vergessen? Solange Tengil lebt, wird es im Heckenrosental nur Hunger und Not geben.

Vergiss nie, dass du in einem Land bist, wo Tengil herrscht.

Die Nacht muss dunkel sein, sagte er. Denn es gibt im Heckenrosental zu viele Augen, die sehen wollen, was sie nicht sehen sollen!

Erst als ich Tengil von Karamanjaka erblickte, wusste ich, wie ein wirklich grausamer Mensch aussieht.

Nur manchmal kam er über den Fluss ins Heckenrosental und er kam nur, um die Menschen in Schrecken zu versetzen, damit keiner vergass, wer er war, und vielleicht zu viel von Freiheit träumt.

Tyrannen haben immer Angst, das hatte Jonathan gesagt. Und Tengil war der schlimmste aller Tyrannen

Plötzlich war er ganz in meiner Nähe, sodass ich sein grausames Gesicht und seine grausamen Augen sehen konnte. Grausam wie eine Schlange, hatte Jonathan gesagt und so sah er auch aus, durch und durch grausam und blutrünstig. Seine Augen starrten geradeaus, er sah die Menschen nicht, es war, als gäbe es für ihn niemand anders auf der Welt, niemand ausser Tengil von Karmanjaka. Ja, er war schrecklich!

Jonathan hatte sich schon immer gern verkleidet. Abends in der Küche hatter er mir oft Theater vorgespielt. Er konnte sich ganz unglaublich herausstaffieren und die verrücktesten Spässe treiben. Bisweilen hatte ich so über ihn lachen müssen, dass ich Bauchweh bekam. Aber hier vor Tengil, das war doch zu toll.

Keiner von denen, die Tengil ausgewählt hatte, war je lebend zurückgekehrt. Sie mussten in Karmanjaka als Sklaven arbeiten und Steine für die Festung herbeischleppen, die Tengil hoch oben in den Bergen der Uralten Berge für sich erbauen liess. Eine Festung sollte es werden, die kein Feind je erobern konnte, und dort würde Tengil in seiner Grausamkeit jahraus, jahrein sitzen und sich sicher fühlen können. Um so eine Festung zu errichten, brauchte man viele Sklaven und sie mussten sich schinden, bis sie tot umfielen. Und dann kriegt sie Katla. Und doch war für mich Katla nichts weiter als ein abscheulicher Name.

Aber dann war da noch das Weinen. Es klang so kläglich, dieses Weinen all der Frauen, die ihre Männer verloren, und all der Kinder, die ihre Väter nie wieder sehen sollten. Übrigens weinten alle. Auch ich. Tengil aber hörte das Weinen nicht. Er sass dort hoch zu Ross und jedes Mal, wenn er auf jemanden zeigte und damit zum Sterben verurteilte, blitzte der Diamant an seinem Zeigefinger auf. Es war furchtbar, nur mit seinem Zeigefinger verurteilte er Menschen zum Tod!
Tyrann!, schrie er. Einmal musst auch du sterben, hast du daran gedacht? Und dann spuckte er Tengil ins Gesicht.

Er bildet sich bestimmt ein, dass es hier nur noch verängstigte Sklaven gibt. Aber da irrt er sich, sagte Matthias. Tengil begreift nicht, dass er Menschen, die für ihre Freiheit kämpfen und fest zusammenhalten wie wir, niemals unterdrücken kann.

Nicht ohne mich, rief ich. Noch einmal darfst du mich nicht allein lassen! Wo du hingehst, da gehe ich auch hin.

Gleich darauf wurde die Stalltür aufgerissen und dort stand er in seinem schwarzen Helm und seinem schwarzen Mantel. Nein, schrie ich, nein, nein! Doch da war er schon bei mir und schlang die Arme um mich. Jonathan tat dies. Er war es! Erkennst du deinen eigenen Bruder nicht?

Nichts ist sicher in der Welt, in der Tengil lebt, antwortete er. Aber wenn wirklich alles misslingen sollte, dann kehrst du um und bleibst bei mir.

Matthias, hast du denn niemals Angst?, fragte ich. Aber sicher habe ich Angst, antwortete Matthias. Und er nahm meine Hand und legte sie sich auf die Brust. Alle haben wir Angst, nur darf man es manchmal nicht zeigen.

Leb wohl, mein Junge, sagte Matthias. Vergiss deinen Grossvater nicht! Nein, nie, niemals werde ich dich vergessen, sagte ich.

Ich kroch durch den langen, finsteren Gang und die ganze Zeit über sprach ich mit mir selbst, um mich zu beruhigen und keine Angst zu bekommen.

Ich weiss nicht, warum mir alles so traurig und einsam und beängstigend vorkam, als ich an diesem Morgen erwachte. Ich fürchtete mich vor dem, was uns erwartete. Vor allem, was ich noch nicht kannte.

Herrlicher habe ich wohl nie gebadet und auch nicht gefährlicher. Ich spürte den Sog des Karmafalles am ganzen Körper. Ich brauchte nur die Zehen einzutauchen, dann spürte ich diesen Sog, der mich mitreissen wollte.

Nun wollte er zurück ans Ufer, merkte aber bald, dass es nicht ging. Nein, denn die Strömung wollte nicht wie er! Sie wollte ihn in den Karmafall zwingen und das verdiente er auch. Ich sah den Schrecken in Pärks Augen, er wusste, wohin er trieb. Es wurde ein Ringen auf Leben und Tod, denn der Fluss wollte sein Opfer nicht freigeben.

Es war ein fürchterlicher Platz, schrecklich und schön wie kein anderer im Himmel oder auf Erden, glaub ich. Die Berge und der Fluss und der Wasserfall, alles war in einem Traum und ich sagte zu Jonathan: Glaube nicht, dass dies Wirklichkeit ist! Es muss ein Stück aus einem Urzeittraum sein, ganz bestimmt!

Ich fragte Jonathan: Wie kann man über so fürchterliche Tiefen eine Brücke bauen? Ja, dass möchte ich auch wissen, sagte er. Und wie viele Menschenleben es gekostet hat, wie viele mit einem Aufschrei abgestürzt und im Karmafall verschwunden sind, dass möchte ich wissen. Ich schauderte. Mir war, als hörte ich noch die Schreie zwischen den Bergwänden widerhallen.

Die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen, weisst du noch, dass du das gesagt hast?, fragte ich Jonathan. Ja, ich weiss, sagte Jonathan. Aber damals ahnte ich noch nicht, dass es auch in Nangijala böse Sagen gibt.
Muss das immer so sein?, fragte ich. Nein sagte er dann, wenn der Kampf einmal vorüber ist, wird Nangijala wohl wieder ein Land, wo Sagen und Märchen schön sind und das Leben leicht und einfach ist wie früher.
Aber dieser letzte Kampf, Krümel, kann nur ein böses Märchen sein, eine Saga vom Tod und nichts als dem Tod. Und deshalb muss Orwar diesen Kampf leiten, nicht ich. Denn ich tauge nicht dazu, einen Menschen zu töten.
Warum hast du diesem Pärk das Leben gerettet? War das wirklich recht? Ich weiss nicht, ob es recht war, antwortete Jonathan. Aber es gibt Dinge, die man tun muss, sonst ist man kein Mensch, sondern nur ein Häuflein Dreck, das habe ich dir schon früher gesagt.
Der Schrecken sass wieder in mir, sobald ich mich erinnerte. Wie kann es so etwas wie Katla nur geben? Ist es ... ein Ungeheuer oder ...? Ja, Katla ist ein Ungeheuer, antwortete Jonathan. Ein Drachenweibchen, emporgestiegen aus der Urzeit und ebenso grausam wie Tengil. Woher hat er sie?, fragte ich. Sie ist aus der Katlahöhle gekommen, das glaubt man jedenfalls, sagte Jonathan. Dort war sie einst tief in der Urzeitnacht eingeschlafen und schlief tausend und abertausend Jahre und niemand wusste, dass es sie gab. Doch eines Morgens erwachte sie.
Vor seinem Horn fürchtet sie sich. Wenn er hineinbläst, gehorcht sie blind.
Es sei ein uraltes Märchen, mit dem man Kindern zu allen Zeiten Angst eingeflöst habe.
Ich bat und bettelte und flehte Jonathan an, nach Nangijala zurückzukehren. Doch er sagte: Wir dürfen Orwa nicht im Stich lassen! Hab keine Angst, Katla kann uns hier nichts tun, wie sehr sie auch an ihrer Kette zerrt und reisst.
Es war schon seltsam zu wissen, dass unter uns diese unheimliche Höhle mit all ihren Gängen und Nieschen lag, wo so viele Menschen verschmachtet und umgekommen waren. Und hier draussen flatterten Schmetterlinge im Sonnenschein umher, am blauen Himmel über uns segelte weisse Wölkchen und um uns herum blühten Blumen im Gras. Wahrhaftig: Auf dem Dach der Katlahöhle blühten Blumen.
Orwar kann sterben, doch die Freiheit nie.
Vielleicht war alles schon vorherbestimmt, seit der Urzeit der Märchen und Sagen.
Denn ich will bei dir sein, fuhr ich fort, auch wenn es in einem unterirdischen Höllenreich ist.
Mir kam die Luft dick vor von all der alten eingetrockneten Bosheit.
Ich weiss es nicht, sagte er. Aber wenn du nicht den Verstand verlieren willst, dann denk jetzt nicht daran.
Schon jetzt spürte man, wer er war: kein armer Gefangener, sondern ein Anführer und Freiheitskämpfer war Orwar aus dem Heckenrosental.
Als dieser sich aufgesetzt hatte und nun umherblickte, sich erinnerte und begriff, dass er nicht länger in der Katlahöhle war, traten ihm Tränen in die Augen. Frei, murmelte er, frei! Nein, dass ich lebe! Dass ich wirklich frei bin und lebe!
Dann sah ich den Katlaberg jenseits des Flusses und ich konnte nicht fassen, dass jemand so grausam sein konnte, andere Menschen in solche schrecklichen Höhlen einzusperren.
Geradewegs ins Verderben würde er sie führen, falls niemand ihn daran hinderte. Aber irgendjemand musste ihn daran hindern, dachte ich. Dann begriff ich: Hilfe, ich selber muss es tun! Und ich durfte nicht zögern.
Schliesslich kam der Tag des Kampfes, auf den alle gewartet hatten.
Der Sturm der Freiheit wird kommmen, er wird die Unterdrücker niederreissen wie stürzende Bäume.
Sie wollen vom Freiheitssturm hören, genau wie Kinder Märchen hören wollen, sagte Matthias.
Mir freilich graute davor. Schliesslich aber sehnte ich selbst den Tag herbei, denn ständig nur darauf warten zu müssen wurde unerträglich.
Und dann werden wir gemeinsam siegen oder sterben.
Nein, Jonathan töte Katla nicht. Karm tat es. Und Katla tötete Karm. Vor unseren Augen. Wir sahen es. Niemand ausser Jonathan und mir hat gesehen, wie zwei Ungeheuer aus der Urzeit einander vernichteten. Wir sahen sie im Karmafall kämpfen, bis sie tot waren.
In Nangilima ... in Nangilima. Dort ist noch die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen. Der arme Matthias, sagte ich, dann gibt es dort also auch Abenteuer, die es nicht geben dürfte. Aber da erklärte mir Jonathan, dass in Nangilima nicht die grausame Sagenzeit herrschte, sondern eine heitere Zeit voller Freude und Spiel. Ja, dort spielten die Menschen, natürlich arbeiteten sie auch und halfen einander bei allem, aber sie spielten auch viel und sangen und tanzten und erzählten Märchen. Bisweilen erschreckten sie die Kinder mit bösen und grausamen Sagen von Ungeheuern, solche wie Katla und Karm, und von grimmigen Männern, solchen wie Tengil. Hinterher aber lachten sie darüber.
Von Nangilima zu hören, das so weit von uns entfernt lag, das war kein Trost.
Ich kan nur noch die Arme bewegen, sagte er. Und bald kann ich auch das nicht mehr.
Habe ich dir nicht gesagt, wo du hingehst, da gehe ich auch hin?
Ich dachte, wir könnten vielleicht noch einmal springen. Hier den Abgrund hinunter. Ja, dann sterben wir, sagte ich. Aber kommen wir dann auch nach Nangilima? Ja, gewiss, sagte Jonathan. In diesem Augenblick, wo wir dort unten ankommen, sehen wir schon das Licht von Nangilima. Wir sehen die Morgensonne über Nangilimas Tälern leuchten, denn dort ist jetzt Morgen. Dann könnten wir also gradewegs nach Nangilima hineinspringen, sagte ch und lachte zum ersten Mal seit langem.
Ich kann mich kein bisschen beeilen, sagte er. Ich komme ja nicht vom Fleck. Hast du das vergessen? Und da begriff ich, was ich zu tun hatte. Jonathan, ich nehme dich auf den Rücken, sagte ich. Du hast es einmal für mich getan. Und jetz tue ich es für dich. Das ist nur gerecht.
Ich sah die Tiefe unter mir nicht, doch ich wusste, dass sie da war. Und ich brauchte nur einen Schritt ins Dunkle zu tun, dann war alles vorbei. Es würde ganz schnell gehen. Krümel Löwenherz, sagte Jonathan, hast du Angst? Nein ... doch, ich habe Angst! Aber ich tue es trotzdem, Jonathan, ich tue es jetzt ... jetzt ... Und dann werde ich nie wieder Angst haben. Nie wieder Angst ha...
Oh, Nangilima! Ja, Johnathan, ich sehe das Licht! Ich sehe das Licht!

Astrid Lindgren. 1974. Die Brüder Löwenherz. Verlag Friedrich Oetinger.

Freitag, 19. Juni 2009

Stadien des Sterbeprozesses

1.) Nicht-Wahrhaben-Wollen
Abwehr: aktive Verweigerung
Schock. Nein, nicht ich!

2.) Auflehnung
Zorn: aggressive Verweigerung
Wut, Zorn, Hass. Warum denn gerade ich?

3.) Verhandeln
Hader: partielle Verweigerung
Hoffnungsvoll. Ja, es trifft mich, aber...

4.) Den Verlust betrauern
Trauer: resignative Annahme
Tränen, Trauer, Rückzug. Dann halt ich ...

5.) Annahme
Bejahung: bewusste, aktive Annahme
Friedlicher Zustand. Ja, ich!

Ein erster Schritt ist getan, wenn ich mich ermutigen kann, das Undenkbare in den Blickwinkel zu bekommen, mich vorzubereiten um vorwärts zu gehen. Aber vielleicht zuerst ein Rückblick: Hat mein Leben Sinn gemacht? - Und dann wird es auch schon Zeit losszulassen, Abschied zunehmen und "es zuzulassen". Die letzten Wochen, die letzten Tage, die letzten Stunden... Wenn der Tod dann näher rückt, werden meist auch die Ängste grösser: von grosser Unruhe bis hin zu apokalyptischen Ängsten. Ich fühle mich "am Ende", ausgeliefert an unsichtbare und undefinierbare Kräfte. Das Motto lautet jedoch "durchhalten", "durchstehen" und "hindurchgehen" (vom Diesseits in's Jenseits). Die letzte Lebenszeit ist aber auch von Schmerzen gekennzeichnet: körperliche, psychische, soziale und spirituelle Schmerzen. Schliesslich bedeutet der eigentliche Tod dann, dem Geheimniss dieser Welt so nahe zu kommen, wie vorher noch nie zuvor. Deshalb kann der ganze Sterbeprozess auch als letzter Reifungsprozess gesehen werden (für Gläubige und unerschütterliche Optimisten). Oder es bleibt dabei, sterben ist eine schreckliche Quälerei, bei der wir lernen müssen, uns in unser unabwendbares Schicksal hineinzuergeben! - Die Welt wird sich jedoch einfach weiterdrehen, als ob nichts geschähen wäre...


Jeder Sommer muss auch einmal
Herbst und Welke spüren.

Samstag, 13. Juni 2009

Glaube: Pro und Contra

William R. Murry gibt in seinem Buch "Reason and Reverence - Religious Humanism for the 21st Century" (Skinner House, Boston, 2007, Chapter 1&2) einen kritischen Überblick über die wichtigsten Dimensionen des Glaubens.

Argumente die gegen den Glauben sprechen sind v.a. deren vier:
- Das moralische Problem: Wieso lässt ein Gott, der allmächtig und allgütig sein soll, es zu, dass unschuldige Menschen leiden und sterben müssen, sowie weitere schreckliche Ungerechtigkeiten? - Der gläubige Mensch erwiedert, dass wir halt lernen müssen den Tod zu akzeptieren, und dass wir lieben müssen, was wir nicht verstehen. Jedoch sollten wir uns gewiss sein, dass das Leiden nicht das Resultat von bösen Taten durch einen strafenden Gott ist. Gottes Wege sind jenseits dessen, was wir verstehen können. Wir sollten lernen Gottes Weg zu akzeptieren, auch wenn wir sie nicht verstehen.
- Das erkenntnistheoretische Problem: Wahrheit wird durch die wissenschaftlich-empirische Methode erkannt, nicht durch Offenbarung, Intuition oder übersinnliche Wahrnehmung. Wir haben keine übersinnliche Wahrnehmung der Existenz einer anderen Welt. Deswegen haben wir keine Gründe an ein übernatürliches Wesen oder eine übernatürliche Welt zu glauben. - Aber nur weil wir das Göttliche mit unseren Sinneswahrnehmungen nicht direkt wahrnehmen können, spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass es eine göttliche Welt trotzdem geben könnte!
- Das psychologische Problem: Wie bereits Freud hervorgehoben hat, sind die traditionellen Religionen nur das Resultat einer Projektion. Die Situation der Abhängigkeit des Kindes wird auf die kosmische Ordnung projeziert, zusammen mit einem Gott-Vater der sich um seine Kinder kümmert. - Das Christentum nimmt sehr wohl das Bild eines Vatergottes auf. Aber warum soll die Analogie nicht stimmen, dass nicht nur unsere weltlichen Eltern sich um unser kindliches Wohl sorgen, sondern auch ein himmlischer Vater sich Sorgen macht um seine Geschöpfe?
Ludwig Feuerbach spitzt die Freud-These weiter zu, nämlich dass die Gottesidee eine Projektion der besten Qualitäten, nobelsten Werte und höchsten Ideale der Menschheit ist. - Aber wenn wir akzeptieren, dass Glauben spekulativ weitersucht, als was es das Wissen kann, stellt sich die Frage, woher der Glaube seine Inspirationen nehmen soll? Also warum nicht das Idealbild eines Gottes entwerfen und sich Gedanken über dessen Wahrscheinlichkeit machen?
- Das soziopolitische Problem: Religionen sind mächtige kulturelle Kräfte. Autoritäre Religionen machen Menschen machtlos. Es ist die autoritäre Religion, die ihnen - mit letzter Gewissheit - sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. - In diesem Kritikpunkt gebe ich Murry recht. Aber Religion muss nicht zwingend autoritär sein. Sie kann auch freiheitlich und demokratisch sein. Als Beispiel sei nur Unitarian Universalism genannt.

Nun noch ein paar Gedanken, was zur religiösen Dimension gehört. Vier Komponenten sind für einen lebendigen Glauben entscheidend:
- Eine Kosmologie: Eine Geschichte, die uns sagt wer wir sind und warum wir hier sind.
- Die spirituelle Dimension: Die Überzeugung, dass das Leben eine tiefere Bedeutung haben kann, als die alltägliche Existenz.
- Eine Ethik: Eine Begründung, warum wir verantwortlich und mit Mitgefühl leben sollten. Die Eckpfeiler sind Liebe, Gleichheit und Gerechtigkeit. Der Sinn des Lebens wird dabei erst gefunden, in etwas, das einen übersteigt und nicht nur aus Selbstinteresse verfolgt wird. Es ist die Suche nach einer Tätigkeit, welche die Welt und das Leben bereichert.
- Und schliesslich sollten die gemeinsamen Werte und Überzeugungen auch öffentlich gelebt werden. Eine stützende und inspirierende Gemeinschaft ist wichtig. Um eine grössere Ordnung in den Lauf des Lebens zu bringen, können auch besondere Übergänge im Leben besonders gefeiert werden (Geburt, Mündigkeit, Heirat, Tod). N.B. Zu den beiden wichtigsten christlichen Festen im Jahreskreis: Weihnachten steht für eine Zeit in der das neue Leben gefeiert wird und die Möglichkeit, dass sich "göttliche" Ideale, wie Liebe und Gerechtigkeit, sich in jederman realisieren werden und nicht nur in einer Person. Ostern steht für die Möglichkeit der persönlichen Erneuerung und die Freude an der Schönheit der Natur.
Schliesslich zeichnet sich das Spirituelle durch eine Haltung der Dankbarkeit und des Erstaunens angesichts des Mysteriums des Lebens aus. Das Allumfassende, die Einheit von allem das da ist, mystische Union ist die Antwort der Religion auf das Problem unserer Existenz.

Glaube und Wissen

In den letzten beiden Postings habe ich für mehr moralisches Handeln anstelle von elaborierten Dogmen plädiert. Aber welche Rolle kommt Glaubensüberzeugungen zu? Kann man durch Anstrengungen im Wissen zu einem wahren Glauben vordringen? - Religiöse Humanisten und Atheisten sind der Meinung, dass die Grenzen unseres wissenschaftlichen Wissens auch schon die Grenzen unserer vernünftigen Überzeugungen sind. Sie sind gegen Übernatürliches und bevorzugen das Natürliche/die Natur. Einverstanden bin ich damit, dass sich Glaube im letzten nicht vollkommen rational begründen lässt. Man muss immer einen "Sprung" wagen, um vom Wissen zum Glauben zu gelangen. Glaube zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht sicher ist, weil er den Bestand an sicherem Wissen überschreitet. Glaube versucht in die Sphären des Mysteriums dieser Welt weiter vorzudringen als es die Wissenschaft mit ihrer empirischen Methode kann. Damit verlässt er das Feld der Wissenschaft, kann dafür aber versuchen, spekulativ in die "grössere Wirklichkeit" vorzudringen. Glaube beruht auf der Annahme, dass es neben der sichtbaren und für uns wahrnehmbaren Welt noch "mehr" gibt. Die Welt des Göttlichen und Transzendenten.

Meistens halten die Menschen es aber nicht aus, keine letzte Gewissheit in den letzten Fragen zu haben. Deswegen erfinden sie "göttliche Offenbarungen" in Form von unfehlbaren, heiligen Schriften. Oder letzte Einblicke in das Göttliche auf dem Weg von "übersinnlichen Erleuchtungen". Beides scheint aber vor dem Hintergrund des modernen wissenschaftlichen Weltbildes mehr als nur zweifelhaft zu sein! Aber wie Kant es so schön sagt, ist die Aufklärung der Ausgang aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit. D.h. dass es halt so schön bequem und beruhigend ist, an "letzte Offenbarungen" zu glauben, und Wissen und Wissenschaft umgekehrt mit soviel Anstrengungen verbunden sind. Also bleibt auch heute noch der Grossteil der Leute lieber bei einem mythischen Weltbild! Wir dürfen aber nicht vergessen, dass uns das moderne Wissen etwas sehr klar zu sagen hat, nämlich woran wir nicht glauben sollten!

Aber die moderne Wissenschaft lässt auch heute weiterhin viel Platz offen für Spekulationen über das Mysterium dieser Welt. Das moderne Weltbild lässt es nach wie vor zu, zu glauben, dass die Evolution letzlich ein von Gott gesteuerter Prozess ist und dass die religiösen Schriften, wenn auch nicht direkt das Ergebnis göttlicher Eingebung, sie trotzdem eine Quelle der Inspiration sein können. Dies ist der Unterschied zwischen einer "ersten Naivität", bei der man die göttlichen Mythen für bare Münze nimmt, und einer "zweiten Naivität", bei der man sich des menschlichen Ursprungs der Mythen bewusst ist. Aber man ist immer noch der Überzeugung, dass diese göttlichen Mythen das religiöse Leben bereichern können, und dass das "Göttliche" irgendwie "hindurchscheint". Die Christenheit hat sich mit der Dreifaltigkeit Gottes wohl nicht gerade eine Freude gemacht. Aber der Mythos vom sterbenden Gott, der dann nach drei Tagen doch wieder aufersteht, bringt sehr viel zum Ausdruck. Der qualvolle, öffentliche Tod von Jesus, dem Gottessohn, am Kreuz ist Zeichen tiefster Verlorenheit. Um so grösser ist dann die Freude über seine Auferstehung!
Schliesslich sei noch das Bonmot von Kant erwähnt (aus der 'Kritik der praktischen Vernunft'): "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."

Mittwoch, 10. Juni 2009

Das "Jesus-Prinzip", Kant und die Liebe

Christus ist eine jener urbildlichen Figuren, die etwas vom Drama des Menschseins auf eine sehr klare Art auszudrücken vermögen: den Schmerz, die Angst und die Liebe. Das "Jesus-Prinzip" will, erstens, dass wir auf der Seite der Unschuldigen und Leidenden stehen. Zweitens, bedeutet es im Feind den Menschen, das Geschöpf Gottes, zu erkennen. In Feindesliebe wird der andere von seinen Sünden losgesprochen. Es geht um die Überwindung von Gewalt und Hass. "Entfeindung" und Versöhnung sind der Weg. Dies kann oftmals der einzige Weg zum Anhalten von Gewaltspiralen und Gewaltverirrungen sein. Allerdings bedeutet Liebe auch immer leiden, denn verlangt sie doch immer ein Stück Selbstaufgabe. Aber Gott ist dann mit uns. Gott ist da, wo Glaube, Hoffnung und Liebe sind. "Nähe" ist dabei nicht als eine "räumliche" Kategorie zu verstehen, sondern als eine Seins-Kategorie. Wo das ist, was ihn am meisten abbildet und vergegenwärtigt, wo Wahrheit und das Gute sind, da berühren wir ihn, den Allgegenwärtigen, in besonderer Weise. Aber Gott trägt auch die Ungerechtigkeit der Welt im Leiden mit, so dass wir gerade in den dunkelsten Stunden uns Gott am allernächsten wissen dürfen. Der christliche Gott der Liebe steht für Hoffnung für die scheinbar Hoffnungslosen.

Wenn Glaube und Liebe verschmelzen, fängt das Abenteuer der Heiligkeit an. Wer das einmal verstanden hat, ist ins Herz des Glaubens eingetreten. Wer den Willen Gottes tut, der wird an sich erfahren, ob diese Lehre von Gott ist. Das Gewissen ist die Stimme Gottes im Herzen des Menschen. "Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht." (Johannes, 3,21). Und keine Finsternis des Irrtums und der Sünde vermag das Licht des Schöpfergottes im Menschen völlig auszulöschen. In der Tiefe seines Herzens besteht immer weiter die Sehnsucht nach der göttlichen Wahrheit. Die Nachfolge Christi ist das wesentliche und ursprüngliche Fundament der christlichen Moral. "Folge mir nach." (Matthäus 9,9).

Das "Jesus-Prinzip" bedeutet im letzten totale Hingabe fürs Gute und den Frieden, selbst zum Preis des eigenen Lebens und der Breitschaft für andere zu leiden. So die Antwort auf die Logik des Bösen. Was Jesus indess meint, ist nich ein Nachgeben aus Schwäche, Kraftlosigkeit oder Feigheit. Was ihm vorschwebt, ist ein Nachgeben aus Überzeugung und innerer Stärke. Warum sich unterlegen fühlen, wenn ein anderer Mensch unsere Hilfe benötigt? Das Opfer von Jesus Lebens am Kreuz ist ein Sinnbild für die höchste Stufe der Humanität! Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für andere hingibt. Häufig lässt nur noch das "Jesus-Prinzip", radikal gelebte Nächsten- und Feindesliebe, Teufelskreise von Gewalt, Angst und Verzweiflung anhalten. Liebe kann, konsequent zu Ende gedacht, nicht heissen, dass in dem zu Liebenden noch irgend etwas Liebenswertes zu finden sein muss. Vielmehr öffnet sie sich auch für den, von dem der normale Mensch sagen würde, dasss er der Liebe gar nicht wert sei. Vielleicht liegt die Lieblosigkeit ja auch nur darin, dass man noch niemals erlebt hat, dass man etwas freiwillig bekommen hat - als Geschenk. Durch Selbstlosigkeit tritt man ein in das wahre Reich Gottes. So verlässt man die kleinlichen Grenzen des Denkens von "Freund" und "Feind". So senkt sich ein Stück vom Frieden Gottes durch uns über die Menschen.

Bei allem gesagtem, darf aber der mythische Charakter von Vorstellungen von Teufel, Hölle, Jüngstem Gericht, Weltuntergang, Anbruch der Gottesherrschaft und dergleichem nicht vergessen werden. Dies sind alles nur symbolische Beschreibungen bestimmter religiöser Einsichten und Erfahrungen, die jedoch nichts desto trotz von grösster Bedeutung sind. Denn es ist einzig die Liebe, das Verstehen und die Güte, welche den Abgrund unter unseren Füssen wieder zu schliessen vermag.

Kant knüpft an den Gedanken an, im Gewissen die Stimme Gottes zu vernehmen. Für Kant ist Religion die Erkenntnis all unserer Pflichten als göttliche Gebote. Worin die Gewissheit Gottes ihren Grund findet ist die moralische Gesinnung. Die Moral hat einen unbedingten Anspruch als Faktum. Die natürliche Religion ist, wie Gott und seine Beziehung zur Schöpfung und zum Menschen auf natürliche Weise erkennbar ist. Dabei ist für Kant die allgemeine Menschenvernunft, und nicht die Vorbildgeschichte des Jesus, das oberste gebietende Prinzip in einer natürlichen Religion. Wichtig ist, das ein jeder sich selber durch seine Vernunft über die Bedeutung der moralischen Gebote überzeugen kann. Für Kant ist der freie und gute Wille Ausgangspunkt seiner Vernunftethik. Entsprechende wird eine Offenbarung Gottes, wie in der Bibel, als moralische Richtschnur abgelehnt. Vielmehr geht es um das Offenbarwerden der Vernunft, insofern der Mensch kraft seines Vernunftgebrauchs selber erkennen kann, was ihm Gott so offenbaren will. Dennoch spielt auch für Kant die Person Jesus durch Lehre, Lebenswandel, Bewährung in der Versuchung, Leiden und Tod nun genau "das Beispiel eines Gott wohlgefälligen Menschen ... soweit als man von äusserer Erfahrung nur verlangen kann (indessen dass das Urbild eines solchen immer doch nirgends anders, als in unserer Vernunft zu suchen ist)." Jesus ist für Kant ein Lehrer, der eine allgemeine, moralische, für jedermann fassliche, kurz die natürliche Religion gelehrt hat. Die Jesus-Gestalt und damit das "Jesus-Prinzip" sind in dieser Sichtweise wichtig um die Menschen auf die moralische Bahn zu bringen, um sie zu überzeugen, zu motivieren und zu orientieren. Ein gewisser Anthropomorphismus kann nützlich sein, um übersinnliche Beschaffenheiten begreiflich zu machen. Deshalb mag ein Rückgreifen auf menschliche Verhaltensweisen legitim sein, um uns die Liebe Gottes zu den Menschen darzustellen. In Kants Augen ist die Annahme eines übernatürlichen Ursprungs der historischen Person Jesus in moralisch-praktischer Absicht jedoch kontraproduktiv. Sie würde uns Menschen zu weit entrückt werden und dadurch ihrer Vorbildfunktion verlustig gehen.

Jeder Mensch hat ein Bewusstsein für seine moralischen Verpflichtungen. Die Anlage zur Moralität und die Realisierung dieser Anlage ist in Kants Augen dasjenige, was einer ansonsten wertfreien, gleichgültigen Welt Sinn verleiht. Aber wie stark ist die reale Kraft des Liebesgebots in der realen Welt wirklich? - Deswegen muss sich die Moralität im Menschen mit Annahmen verbinden, die längerfristig die Perspektive eines sinnvollen Ganzen der Wirklichkeit bieten. Die einzig passende Antwort der Vernunft im Interesse moralischer Selbsterhaltung ist die Annahme einer anderen Welt, in der die Entsprechung von Moralität und Glückseeligkeit gesichert wird. Damit einher geht die Annahme meines eigenen Freiseins, die Existenz eines allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes als Welturheber und Richter und die Unsterblichkeit meiner Seele. Auch wenn wir theoretisch Agnostiker sein sollten, wäre es in praktischer Absicht besser zu glauben, dass es einen Gott gibt, als nicht. So "werde ich unausbleiblich an ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben, und bin sicher, dass diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne in meinen Augen verabscheuungswürdig zu sein." (Kant). Zur Überwindung der Skepsis bedarf es des Glaubens an ein Ideal, an ein höchstes Gutes, an einen Gott - an Gott als Garant der Ethik.

Offene Frage: Wenn Gott selbstlose Liebe ist - wieso sollte er dann eigentlich noch darauf bestehen, verehrt und verherrlicht zu werden? - Vielleicht sollten wir uns klarwerden, dass wir Menschen grundsätzlich Beziehungswesen sind auf der Suche nach dem grossen DU. Sofern wir an Gott glauben wollen, heisst das uns als von Gott geschaffene Geschöpfe zu empfinden. Also warum nicht etwas Dankbarkeit für unseren himmlischen Vater, vergleichbar mit normaler Elternliebe? Aber das Entscheidende scheint mir zu sein, dass Gott ein mitlebender und mitleidender Gott ist, was in Jesus zum Ausdruck kommt. Liebe als Antwort auf Liebe. Die christliche Liebesmystik ist durchtränkt von der Sehnsucht nach dem Einswerden mit Gott, die Sehnsucht nach der absoluten Liebe. Und mit den Worten Rumis: "in den Armen des Geliebten sein". In den Armen des geliebten Gottes. Gott ist der tragende Grund und der unvergängliche Liebhaber. Liebe ist Ursache und Ziel der Schöpfung. Aus Liebe hat Gott uns und die Welt geschaffen. Liebe ist der Wurzelgrund. Die wahre Wurzel ist zu entwerden, sein Ich im Ich des gliebten Wesens aufzugeben, zu sterben.

Sonntag, 7. Juni 2009

Taten, nicht Dogma!

Ist Dogma das wichtigste in der Religion, oder ist es die Art und Weise wie Menschen ihr Leben leben? - Werden Mensche durch Furcht wirklich besser? Ist Gott wirklich so rau und hart was unsere "Sünden" anbelangt? Universalism lehrt, dass Gott alle Seelen retten wird. Das ist wirkliche Liebe! Gott ist zu gut für ewige Verdammiss. Trotzdem sind wir aufgefordert "unser Bestes zu geben".

Das jüdisch-christliche Erbe sollte uns lehren, dass Gottes Liebe uns hilft, unseren Nächsten zu lieben, wie uns selbst. Worte und Taten von prophetischen Frauen und Männern fordern uns heraus, Machtstrukturen des Bösen mit Gerechtigkeit, Mitgefühl und der transformierenden Macht der Liebe entgegen zu treten!

Die Wurzeln des Übels und des Bösen liegen dabei im falschen Umfeld, fehlender Bildung, einem Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten, schlechter Erziehung und einem schlechten Vorbild oder in Diskriminierung.

Was die Glaubensgrundsätze anbelangt glauben wir Unitarian Universalists (UUs), dass jeder selbst seine eigene, kleine Theologie entwickeln sollte. "Ours is the faith of the free!" D.h. dass der Glaube weder aufgezwungen wird, noch dass der Glaube unwandelbar ist. Vielmehr wird er frei gewählt und es wird immer wieder versucht ihn zu nähren und zu vertiefen. Aber der UU Glaube ist in keinem einzigen Buch oder Dogma enthalten. Vielmehr sind wir überzeugt, dass Religionen aus verschiedenen Zeitaltern und Kulturen uns etwas lehren können. Hinter den Stand des wisscnschaftlichen Weltbildes darf jedoch nicht zurückgefallen werden. Anderseits ist aber jeder auf seine Weise ein Teil vom Grund des Seins und nicht davon getrennt. UUs sind damit einverstanden, dass wir nicht zu den genau gleichen Schlussfolgerungen kommen werden. Wir sind bereit, diese Unterschiede zu respektieren. Aber keine Differenz ist so gross, wie das, was uns vereint. Wir müssen nicht gleich denken, um gleich zu lieben! Wir wollen jedoch durch einen aufrichtigen Dialog voneinander und miteinander lernen. Dialog setzt aber die grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft voraus, Neues von anderen zu lernen.

Jedoch eine letzte Unermesslichkeit der Welt wird akzeptiert. Scientismus wird abgelehnt. Die Welt ist wissenschaftlich nicht im letzten erkennbar. Alles was wir tun können, ist einerseits von unseren "religiösen Reisen" mit Symbolen, Metaphern und Geschichten zurückzukehren. Den klassischen Bestandteilen von Religion. Anderseits lässt die Philosophie, radiakal auf Denken und Fühlen basiert, Prinzipien und metaphysische Systeme erkennen. Die Schöpfung ist nicht nur unser Zuhause, sondern auch der "heilige Text" aus dem wir Weisheit schöpfen können. Aber die Religion scheint durch die Geschichte zu uns als ein ziemlich verschmutzter Strom zu kommen. Mehr das Produkt menschlicher Angst und dem Versuch andere durch Dogma zu kontrollieren, als das Ergebnis wirklichen Glaubens. Glauben heisst nicht, letztlich etwas glauben, trotz anderer, (wissenschaftlicher) Evidenz. Es ist mehr ein Leben mit Mut, Dankbarkeit und Integrität, trotz der unabwendbaren Verluste des Lebens. Authentische Religion ist eine Rückkehr zu den "Quellen" aller spirituellen Traditionen: Mysterium, Erfurcht und Erneuerung. Ursprüngliche Dankbarkeit für die unverdiente Schönheit des Seins. Glaube, der kein Dogma ist, reale Hoffnung und ewige Liebe. Das Muster menschlicher Existenz zeichnet sich durch Begegnung aus. Der tiefe Rhythmus von Zugehörigkeit, Wegbrechen, Rückkehr, aber nie dorthin wo wir gestartet sind.

Die einzig zwingende Schlussfolgerung all dieser Überlegungen ist dabei, dass jeder von uns sich für eine "bessere" Welt einsetzen sollte. Gemeinsame Werte sind wichtiger, als gemeinsame Glaubensüberzeugungen. Was wir lieben und gut finden, soll sich sozial inkarnieren, realisieren. Wobei wir uns vom buddhistischen Ethos leiten lassen können, Leid zu vermindern und nicht zu vermehren! (Was sonst könnte die Antwort sein, auf die Tatsache, dass Leben leiden bedeutet?) Dabei sollten wir aber auch nicht die faszinierenden Seiten des Wunders des Lebens vergessen! Und sehr oft ist das Wunderbare bereits im Natürlichen erkennbar.

Trotz unseren Zweifel können wir lernen, mehr gemeinsamer zu leben. Mysteriös geboren, vom Schicksal bestimmt sterben zu müssen, sind wir durch unsere Moral miteinanderverbunden. Gibt es nichts, wofür es sich lohnen würde zu sterben? Gibt es keine Träume und Ziele, welche so bedeutend sind, dass wir für deren Verwirklichung sogar bereit wären zu sterben? - Das Evangelium, in dem jeder Teil der Welt, Teil von allem ist, wo jeder Mensch und jeder Teil der Natur heilig ist. Wo wir alle Kinder der einen, grossen Liebe sind. Wir sind wirklich Freunde und Verwandte, Brüder und Schwestern, Kinder des einen grossen und überwältigenden Mysteriums. Alle Teil der gleichen grossen Reise. Alle für das gleiche Ziel bestimmt!

Quelle: Ein paar eigene Gedanken, sonst Zusammenfasssung von 'A Chosen Faith - An Introduction to Unitarian Universalism', von John A. Buehren und Forrest Church, Beacon Press, Boston, 1998.


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Faith of the Free
"The Church of Tomorrow will not be of uniform doctrine or of identical organization. There will be unity of spirit, but not uniformity of creed or rite or polity. There will be variety, but not intolerance. There will be cooperation for holiness, but not conformity of theological opinion. There will be identity of ethical enthusiasm but diversity of administrations."
Florence Kollock Crooker (Universalist minister, from "The Church of Tomorrow," 1911)
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The land of the free
And the home of the brave
(amerikanische Nationalhymne)
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Ode an die Freude
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum
Alle Menschen werden Brüder
(Gedicht von Friedrich Schiller,
dessen Vertonung durch Beethoven zur Europa-Hymne wurde.)
(meine Lieblingsversion: Trance; CD-Version ist besser und länger)

Freitag, 5. Juni 2009

Der Lastcharakter des menschlichen Daseins und die Religionen

Für Heiegger steht der Lastcharakter des menschlichen Daseins im Zentrum seiner Daseinsanalyse. Wie gehen nun die verschiedenen Weltreligionen mit dieser Last des Daseins um?

Der Taoismus versucht eine positive Haltung dem ewigen Wandel abzugewinnen. Und wir sollten versuchen mit dem Fluss der Dinge zu gehen (wu-wei) und darauf vertrauen, dass es einen gangbaren "Weg" (tao) gibt. Letztes Ziel ist die ursprüngliche Einheit jenseits aller Gegensätze. Die Welt, durch die taoistische Brille gesehen, ist gar nicht so sauer und bitter, sondern vielmehr süss.

Der Buddhismus geht hingegen am klarsten auf die Grundstimmung der Last ein. Er akzeptiert, dass Meschsein leiden heisst. Die religiöse Antwort darauf sind "die vier edlen Wahrheiten". Was ist das Leiden? - Alter, Krankheit und Tod. Wie entsteht das Leiden? - Durch Lebensdurst, durch Haften an den Dingen, durch Gier, Hass und Verblendung. Und schliesslich wird auch ein Weg aufgezeigt, wie das Leiden überwunden werden kann. Durch Aufgeben des Begehrens, die vernünftige Mitte - weder Genusssucht noch Askese. Wissen und Ethik gehören ebenso zu diesem Ausweg, wie auch die Meditation. Die Meditation soll einem helfen die ruhelosen Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Indem man einfach nur sitzt und vergisst (Zazen).

Auch im Hinduismus gibt es die Möglichkeit, ähnlich wie im Buddhismus, über verschiedene Leben hinweg - Moksha - Befreiung, aus dieser Welt des Leidens zu erlangen. Wichtig hierfür ist, dass persönliche Karma Runde um Runde zu verbessern. Bis dann schliesslich das Aufgehen in der grossen Alleinheit der Welt (brahman) möglich wird. Die vier klassischen Wege zum Heil sind jnana-yoga (Erkenntnis), karma-yoga (Werke), bhakti-yoga (Gottesliebe) und raja yoga (Meditation). Erkenntnis bedeutet, die Illusionsnatur der Welt zu erkennen (maya) und die "himmlische (All-)Einheit" dahinter. Dies ist der Weg des Wissens. Mit Werken ist nicht nur rituelles-brahmanisches Handeln gemeint, sondern auch soziales und religiöses Handeln. Es ist die Erlösung durch Taten. Mit Gottesliebe ist die liebende Hingabe an Gott gemeint. Schliesslich gibt es noch das raja yoga, auch "Königsyoga" genannt. Es ist der Weg der Geisteskontrolle und meditativen Erleuchtung! Ein Ziel, das wohl klar zu hoch gesteckt ist!

Bei den abrahamischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum und Islam), gilt es jeweils den Geboten der jeweligen heiligen Schrift zu folgen. Allen dreien gemeinsam ist der Dekalog - die zehn Gebote. Das Befolgen der Gebote ist der Weg zum Heil und in den Himmel. Umgekehrt droht bei Verfehlung die Hölle. Das Christentum hat nun eine besonders charakteristische Art und Weise gefunden, um mit dem Lastcharakter des Menschseins umzugehen. Ursache des irdischen Leidens ist eine Nichtigkeit: die ersten beiden Menschen haben einen verbotenen Apfel gegessen! Dafür stellen sich Christen dann ihre "Erlösung" auch recht einfach vor. Mit dem qualvollen Tod von Jesus Christus am Kreuz wird der Glaube zelebriert, dass Gott für uns leidet und wir dafür von unseren Sünden erlöst sind. In protestantischer Sicht ist dann auch noch nur Gottesglaube allein entscheidend (sola fide). Allein durch den Glauben an Christus, unseren Herrn, sollen wir Eingang in den Himmel erlangen. Was mir dabei zu kurz kommt, sind die grossen ethischen Ansprüche, die Jesus uns vorgelebt hat, und die uns ein Vorbild sein sollten. Auch seine Lehre ist geprägt von einem radikalen Liebesgebot! Etwas weniger Gottesfrömmelei, dafür mehr gute Taten! Dies gilt auch für die Moslems. Deren Antwort auf das Unzuhause in dieser Welt ist Besessenheit vom Beten. Fünf Mal am Tag sollten es schon sein. Totale Hingabe an Gott! Und auch die Juden sind ähnlich Ritual versessen. Sie verbiegen sich um ihre 1000 Vorschriften den Sabat, die Reinheit, Speise, Gebet und Gottesdienst betreffend einzuhalten.

Bleibt als Bilanz für mich, dass der buddhistische Weg der Überwindung des Anhaftens an diese Welt ernst genommen werden sollte. Und das Christentum, dass - in seiner ethischen Variante - die gelebte Liebe in's Zentrum stellt. Was vielleicht der beste Lebenssinn ist! Aber etwas taoistische Leichtigkeit und der Traum von einer fantastischen Alleinheit sollten dabei auch nicht fehlen.