Mittwoch, 19. Dezember 2012

Die Entstehung der modernen Welt

Ausgangspunkt dieses Posts soll die Erkenntnistheorie sein, insbesondere diejenige Humes und Buddhas. Inspiriert ist dieser Post aber auch von der Auseinandersetzung mit „der dunklen Seite der Macht“ und der Foucaultschen Machtanalyse. Beide - Hume und Buddha - meinen erkannt zu haben, dass Kausalität eine Illusion sei. Im Denken entsteht so ein Moment der Schwerelosigkeit. Während der Buddhismus eine Ethik der Askese lehrt, wurde Hume zusammen mit Smith zum Begründer der modernen Wirtschaftstheorie. Der buddhistische Weg lehrt wie man den Daseinsdurst löscht, die Ökonomie zeigt wie Begehren und Wohlstand geschaffen werden.
Im Gegensatz zur alten Machtlogik der voraufklärerischen Zeit ist mit dem ökonomischen Denken und der amerikanischen und der französischen Revolution ein neues Zeitalter in der Menschheitsgeschichte angebrochen. Die Machtstrukturen der alten pharaonischen, römisch-imperialen und monarchischen Pyramiden wurden aufgeweicht und haben Raum geschaffen für die Entstehung der modernen Welt in der Neuzeit!
Damit die Moderne entstehen konnte, musste das Mittelalter überwunden werden. Dies war ein längerer Prozess, der um die 300 Jahre dauerte. Während dem Mittelalter war das Denken ganz durch den christlichen Glauben dominiert. Die Scholastik prägte das Weltbild. Alle Wesen hingen von einem höchsten Wesen – Gott – ab. Gott ist der Beste, Grösste und Höchste von allen und allem. Gott ist etwas, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann. Die Philosophie war dabei nur die Magd der Theologie. Im ausgehenden florentinischen Mittelalter des 13. Jahrhunderts schrieb Dante seine „Göttliche Komödie“. Wohl am eindrücklichsten ist uns in Erinnerung geblieben, wie er die inneren Kreise der Hölle beschrieben hat. Sein Buch beschreibt als Jenseitsvision den Gang durch die drei Bereiche Hölle, Fegefeuer und Paradies. Sie kann als Allegorie für eine hoffnungsvolle Reise zu Gott verstanden werden.
In der Zeit um 1500 war es noch gar nicht eindeutig, dass es einmal Europa sein wird, welches die moderne Welt hervorbringen sollte. Bis ins 17. Jahrhundert dominierte noch das muslimische Osmanische Reich unsere Welt. Geprägt war dieses durch einen Glauben, welcher keine Zweifel aufkommen liess. Totale Unterwerfung unter den Willen Gottes wurde gepredigt (die Bedeutung von Islam). Der gläubige Muslim war aufgefordert den islamischen Glauben, zur Not, auch mit Gewalt durchzusetzten – der Dschihad. Die evolutionäre Psychologie legt nahe, dass der Islam als neue Offenbarungsreligion sich gegen das etablierte, friedlichere Christentum abgrenzen musste. Also entstand ein noch kämpferischer Glaube, welcher absolute Gehorsamkeit vor Gott verlangte.
Die chinesische Zivilisation war ebenfalls weit gediehen. Buchdruck mit verschiebbaren Lettern, Schiesspulver, der Kompass und Porzellan hat die Sung-Dynastie (960-1279) hervorgebracht. Dass China politisch geeint war und durch eine zentralisierte Bürokratie regiert wurde, kann nicht das alles entscheidende Hindernis gewesen sein. Wie wir sehen werden, wird auch Europa mehrere mächtige Imperien hervorbringen. Was sich jedoch als fataler Fehler herausstellen sollte, war dass das Reich der Mitte selbstgenügsam wurde. Zwischen 1424 und 1450 beschloss die Ming Dynastie internationale Reisen zu unterbinden. Die Entdeckungsreisen und der internationale Handel kamen zum Stillstand. Damit verlor China an Dynamik, wie später Adam Smith treffend betonen wird. Was war es nun, was Europa zur Wiege der modernen Zivilisation hat werden lassen?
Ernest Gellners These hat noch etwas von mittelalterlichem Denken an sich, wenn er behauptete, dass die polytheistischen Kulturen Asiens, mit ihrer religiösen Toleranz, nicht zur gleichen intellektuellen Rigorosität fähig waren, wie das monotheistische, christliche Europa mit seiner Suche nach dem einen, wahren Gott mit seiner einen Wahrheit. Dieses Denken verkörperte auch der muslemische Glauben des osmanischen Reichs. Wohl gleich hart oder meiner Meinung nach noch härter. Philosophische Klassiker, wie Aristoteles, wurden ebenfalls rezipiert. Es war gerade das christlich-katholische Mittelalter, welches Europa für 1000 Jahre die Dynamik raubte. Dies soll die weitere Argumentation darlegen. Warum Indien nicht zur Wiege der Moderne wurde, kann hingegen wohl mit seiner Religion erklärt werden. Der Hinduismus hat mit seiner Kastengesellschaft das gesellschaftliche Gefüge zementiert. Der mystische Alleinheitsglaube der Advaita Vedanta hat etwas Totalitäres. Der vom Volk gelebte Polytheismus war dagegen vielleicht doch zu „postmodern“ und liess es an intellektueller Strenge fehlen.  Der Buddhismus war mit seiner Weltentsagung nicht genügend motivierend um sich in dieser Welt vom Begehren einspannen zu lassen. Schliesslich kam für Indien erschwerend hinzu, dass es gerade in der Zeit um 1500 unter den Einfluss des islamischen Mogulreichs geriet.
In Abgrenzung zu Gellner will ich eine differenziertere These vertreten. Nämlich, dass es ein gewisses Mass an „postmodernem Denken“ war, welches das Entstehen der Moderne ermöglichte. Nun beisst sich hier die Katze in den eigenen Schwanz. Von der Postmoderne können wir erst nach der Entstehung der Moderne reden. Aber mir gefällt dieser Begriff, wie er von Paul Feyerabend in seinem wissenschaftstheoretischen Buch „Wider den Methodenzwang“ (1975) eingeführt wurde, so gut. Er verdeutlicht eindrücklich die Bedeutung der Kreativität und wie selbst heilige Lehren nicht für unumstösslich gelten dürfen. Im Folgenden werden wir versuchen, einen reflexiven Prozess zu starten. Die Moderne hat die Postmoderne hervorgebracht. Mit Hilfe des postmodernen Denkens wollen wir nun versuchen, die Entstehung des modernen Denkens besser zu verstehen. Der Leitfaden der Argumentation wird sein, dass es ein Wechselspiel von Extraktionslogik und Ungleichheit und ein ins Plurale gerichtetes, innovatives Denken – innovative Inklusivität und Gleichheit – waren, welches die moderne Welt in Europa haben entstehen lassen. Es ist ein kleiner Versuch einer pluralistischen Weltgeschichte des Geistes. Das Ganze wird am Schluss des Posts zusammengefasst und soll zeigen, wie es das Denken einer postmodernen, taoistischen Evolutionären Spiritualität inspirieren kann.
Damit die moderne Welt und ihre Wissenschaft entstehen konnte, musste zunächst das monolithische, gottesfürchtige Mittelalter beiseite geschoben werden, wie ein schwerer, steinerner Grabstein. Das Mittelalter brachte zwar schöne gotische Kathedralen von gottesfürchtigen Menschen erbaut hervor, v.a. in Frankreich, aber grundlegende Innovationen unterblieben. Das Mittelalter kam durch zwei revolutionäre Umwälzungen im Denken und Glauben zu seinem Ende. In der Welt des Geistes war es der Beginn der Renaissance. In der Welt des Glaubens der Beginn der Reformation. Es war aber erst die Erfindung des europäischen Buchdrucks, welche es dem neuen Denken ermöglichte Breitenwirkung zu entfalten und nachhaltig zu wirken. Schliesslich kam mit der Entdeckung Amerikas das alte Machtgefüge Alteuropas aus dem Gleichgewicht.
Mit Beginn der Renaissance durfte antikes, heidnisches griechisch-römisches Denken wieder aufleben. Der Mensch rückte wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es war das Zeitalter des Humanismus. Mit der Renaissance um das italienische Florenz herum, begann sich der mittelalterliche Klotz langsam zu bewegen. Es war aber keine friedliche Welt in und um Florenz, welche dies ermöglichte. Ohne die geringsten Skrupel oder Tabus untersuchte Machiavelli die Mittel der Macht. Machiavelli gab seinem Fürsten grausame Ratschläge, wie er an der Macht bleiben konnte. Es wurde aber dennoch pluraler. Es gedieh neben Machiavelli auch ein Leonardo da Vinci. Schliesslich fand die Renaissance mit Galileo Galilei im wahrsten Sinne des Wortes ihren Zenit. Er stellte das alte, überlieferte Weltbild auf den Kopf. Wagemutig behauptete er, dass nicht die Erde der Mittelpunkt der Welt sei, sondern dass sie vielmehr um die Sonne kreise. Aufbauend auf Kopernikus und gestützt auf seine eigenen Beobachtungen mit seinem eigenen Fernrohr wahren seine Einsichten wissenschaftlich fundiert. Der Papst in Rom jedoch hielt am alten, heiligen, angeblich unfehlbaren Dogma fest. Galileo Galilei musste seine weltbilderschütternde Erkenntnis im päpstlichen Rom widerrufen. Das bunte Renaissance-Treiben wurde zum Schweigen gebracht. Besonders im päpstlich imperial-christlichen Italien, aber auch insgesamt scheint die lateinisch-katholische Kultur für längere Zeit weniger innovativ zu bleiben. Italien verlor an Bedeutung für das weitere Geistesgeschehen. Geblieben ist natürlich der Papst in Rom mit seiner Rolle als Oberhaupt und geistigem Zentrum der inzwischen weltumspannenden katholischen Christenheit von über einer Milliarde Menschen.
Zurzeit um 1500 muss die Christenheit in Europa verunsichert gewesen sein. In ihrem Kalender stand eine grosse Zeitenwende an. Eine Strukturperiode von 500 Jahren ging ihrem Ende zu. In ihrem Ringen um Orientierung in dieser Welt wurden "Experimente" gewagt und Entdeckungsreisen gestartet. Die Aufregung um das Ende des Maya-Kalenders übermorgen und ein mögliches Ende der Welt hat ein klein wenig etwas davon.
In England lebte um 1500 Thomas Morus. Er schrieb die erste Utopie der Neuzeit. Der Begriff geht auf ihn zurück. Er beschreibt in seinem Buch das Leben einer idealen Gesellschaft auf der fiktiven Insel Utopia. Dreissig Jahre nach seinem Tod kam der englische Nationaldichter Shakespeare auf die Welt. Seine Lebensphilosophie kann vielleicht so zusammengefasst werden:
„There is a tide in the affaires of men,
Which, taken at the flood, leads on to fortune;
Omitted, all the voyages of their life
Is bound in shallows and in miseries.”
In Deutschland lebte in der freien Reichsstadt Nürnberg um 1500 Albrecht Dürer. Er war ein grosser Künstler, aber sein wahrscheinlich aufsehenerregendstes Buch war die „Apokalypse“. In ihm gewannen die Visionen der Endzeit aus der Bibel durch seinen Holzschnitt dramatischen bildlichen Ausdruck.
Für die Entstehung des Wohlstands der modernen Welt war der Anbruch des Kapitalismus entscheidend. Im langen 16. Jahrhundert began die Kapitalakkumulation und das frühkapitalistische Denken in wichtigen Hafenstädten wie Venedig, Amsterdam und Brügge. Das System der doppelten Buchhaltung und erste Börsen entstanden. Aber der richtige Durchbruch kam erst im 18. Jahrhundert mit dem Schotten Adam Smith und seiner Entdeckung der Win-Win-Logik im freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Neben dem ökonomischen Denken sind es v.a. die Erfindung von Wissenschaft und Technik, welche unseren heutigen Wohlstand ermöglicht haben.
Die Entstehung der modernen Wissenschaft ist wohl aus dem Drang, die Welt bessere zu verstehen und einen Weg zu Gott zu finden, hervorgegangen. Max Weber argumentiert überzeugend in diese Richtung. Aber der Glaube, dass die Wissenschaft - ähnlich der Religion – den Sinn der Welt entschlüsseln könnte, muss als gescheitert gelten. Die wissenschaftliche Methode - basierend auf Empirie und Experiment - hat sich zu einem von Religion unabhängigen „harten Kern“ herausgebildet. Dennoch kommt es mir so vor, als ob die vorherrschende Religion immer noch die geistige Atmosphäre mitbestimmt, in welcher wissenschaftliches Denken stattfindet. Das katholische Denken mit seiner Hierarchie hin zum Papst als alleinigem und realem Stellvertreter Gottes auf Erden ist hemmend für die Phantasie und unterdrückt grundsätzliche Innovationen im Bereich des Geistes. Das Element des Pluralen fehlt. Ein katholisch geprägtes Denken ist gut geeignet für Leistungen nach festen Regeln. So bringt das rationalistisch geprägte Frankreich heute immer noch Descartes der Kognitionswissenschaften hervor. Also ein Bereich, der besser mit dem wissenschaftstheoretischen Ansatz von Lakatos beschrieben wird.
Zurück aber zum Kapitalismus und seiner Machtlogik. Der Kapitalismus versucht immer mehr Menschen, Tiere und natürliche Ressourcen immer stärker für die eigenen Bedürfnisse einzuspannen und rechtfertigt dies damit, dass auch für den anderen etwas drin liegt. Der Wohlstandspyramide entlang findet auch ein trickle down statt. Hier wollen wir nun mit einer soziologischen Machtanalyse einsetzten und zeigen, was passiert, wenn die Extraktionslogik überhand nimmt. Im politisch-gesellschaftlichen Bereich unterbleiben Innovationen. Längerfristig können auch soziale Unruhen entstehen oder gar Revolutionen hervorbrechen.
Es war der abenteuerhungrige Genuese Christoph Kolumbus, dem 1492 die (Wieder-) Entdeckung Amerikas gelang. Allerdings hat erst sein Kollege Amerigo Vespucci erkannt, dass Kolumbus nicht in Indien angekommen war, sondern einen völlig neuen Kontinent entdeckt hatte. Wie die weitere Geschichte zeigen sollte, ist die Frage, ob eine reine Extraktionslogik oder eine inklusive Innovationslogik vorherrschend sind, für das weitere Gedeihen von Nord- und Südamerika und weit darüber hinaus von zentraler Bedeutung!
Mit der Entdeckung Amerikas 1492 waren die Spanier und später auch die Portugiesen im Vorteil. Ganz Zentral- und Südamerika, also das heutige Lateinamerika, sollte zu ihrem Herrschaftsbereich werden. Kulturell geprägt waren sie dabei durch den stark hierarchischen katholischen Glauben. Das Gebiet der heutigen USA ist hingegen Kolonialgebiet der Engländer geworden. Deren Church of England war eine etwas progressivere Kombination aus Katholizismus und Reformation. Die vom Virus der Reformation am stärksten Infizierten haben sich, vertrieben durch Verfolgung in der Alten Welt, nach Nordamerika abgesetzt. Während die spanischen, katholischen Konquistadoren ihre Kolonien alleine der reinen Tributlogik folgend (d.h. der Machtlogik des Stärkeren) ausbeuteten und das längerfristig ineffiziente Wirtschaftssystem des Merkantilismus installierten, war im englischen Empire schon etwas vom Handelsgeist aufgewacht. Im imperialen Rennen um einen besseren Platz an der Sonne hier auf Erden hatten die Spanier mit der Entdeckung Amerikas zunächst die Nase vorn. Während dem 16. und 17. Jahrhundert dominierte das Spanische Imperium. Die Krone der Herrschaft ging im 18. und 19. Jahrhundert jedoch an die Briten über. Die Zeit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts brachte aber auch für die Briten eine Zeit des Umbruchs. Im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg konnten sich die 13 nordamerikanischen Kolonien der Kontrolle durch England entziehen. Mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 begann die Geschichte der freien, vom englischen König unabhängigen Vereinigten Staaten von Amerika. Es war wohl auch etwas vom freieren Geist der amerikanischen Protestanten und der religiösen Vielfalt ihrer verschiedenen Bekenntnisse, welche sie gegen den katholischeren englischen König aufbegehren liess. Innerhalb des britischen Königreichs braute sich auch vom nördlichen, schottischen Rand Grossbritanniens her eine Revolution zusammen - eine Revolution des Geistes. Adam Smith überdachte die Grundlagen für den "Wohlstand der Nationen". Das Buch erschien im amerikanischen Revolutionsjahr 1776, was wohl seine Brisanz für die damalige Zeit verdeutlicht. Er kam zum Schluss, dass Kolonien überflüssig sind. Freihandel sollte den protektionistischen Merkantilismus ersetzen. Er ist damit zum geistigen Wegbereiter der ökonomischen Win-Win-Logik im freien Spiel von Angebot und Nachfrage geworden. Totale politische Kontrolle ist für längerfristigen Wohlstand nur hinderlich. Hier kann ein entscheidender Wendepunkt in der Ideengeschichte lokalisiert werden. Aus seinem Denken ist die moderne Ökonomie hervorgegangen, mit ihrem Glauben an selbstreguliernde Märkte. Ein Denken, dass mir nicht nur von der newtonschen Physik her beeinflusst scheint, sondern auch Übereinstimmungen mit chinesischem Yin-Yang Denken hat. Die Aufklärer versuchten ihren geistigen Horizont auch geographisch so weit wie möglich ausschweifen zu lassen. Dies hiess damals bis nach China. Smith erkannte zugleich, dass die Menschen - neben Machtstreben und Egoismus - sich auch von Sympathie und Mitgefühl leiten lassen. Er verinnerlichte die moralische Kontrolle und übergab sie einem fiktiven "unparteiischen Beobachter" (the Impartial Spectator). Dem Ideal von einem fairen Schiedsrichter. Das gesellschaftliche Leben im Aufklärungsgebiet Glasgow (einem wichtigen Hafen im transatlantischen Handel) und Edinburgh, dem Athen des Nordens, war dermassen verfeinert, dass es einen Adam Smith und David Hume hervorbringen konnte. David Hume ist der geistesgeschichtlich noch herausragendere Zeitgenosse von Smith vor Ort und darf nicht unerwähnt bleiben. Er war ein Ketzer. Er zermalmte die Gottesbeweise in seinem "Dialog über natürliche Religion". Erkenntnistheoretisch kam es bei ihm zum "Filmriss". Kausalität ist nicht wirklich. Wir erleben sie nur so, weil wir uns das Nacheinander von Ursache und Wirkung gewohnt sind. Was die Welt aber wirklich zusammenhält, wissen wir nicht. Der Dalai Lama erklärt die Logik des buddhistischen Denkens ähnlich nihilistisch. Es gibt kein Wandel im Sein, vielmehr ist alles wesenlose Erscheinung.
Im Unterschied zu den Buddhisten setzte das Denken Humes – nach diesem Moment der Schwerelosigkeit – anders ein. Seine Antwort war nicht das buddhistische Verlöschen des Daseinsdurstes, sondern vielmehr brachte das Begehren bei ihm den Lauf der Kausalität wieder in Gang. Als ein radikaler Empirist war er ein typischer, britischer Verächter des französischen Rationalismus. Für die Ethik ist sein Sein-Sollens-Fehlschluss interessant. Für die Ökonomie sind seine Überlegungen zu den Eigentumsrechten von grosser Bedeutung. Eigentum ist kein feudalistisches Naturrecht, wie es noch Locke sah, sondern begründet sich als Anreizmittel durch die Knappheit der Ressourcen. Weiter hat er Beiträge zum Handel geliefert und die Grundlagen einer monetaristischen Inflationstheorie vorweggenommen.
Nach Hume bleibt in England vom Berkeleyschen subjektiven Idealismus rein gar nichts mehr übrig. Dessen Denken hatte sich einmal als radikal religiös-spirituelle Alternative gegen den Rationalismus Lockes und die newtonsche Doktrin von absolutem Raum, Zeit und Bewegung gerichtet.
John Locke war ein liberaler Vordenker. Seine politische Philosophie beeinflusste die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, deren Verfassung und die Verfassung des revolutionären Frankreichs. In seinem Werk „Two Treatises of Government“ argumentierte Locke, dass eine Regierung nur legitim sei, wenn sie die Zustimmung der Regierten besitzt und die Naturrechte Leben, Freiheit und Eigentum beschützt. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, haben die Untertanen ein Recht auf Widerstand gegen die Regierenden.
Leser meines Blogs wissen, dass ich spirituell asiatisch inspiriert bin. Also einer Mischung aus hinduistischer Alleinheit und Holismus, friedlichem buddhistischem Nihilismus und taoistischer Harmonie von Yin und Yang (im Gegensatz zum harten Denken der Dialektik). Nun scheint es mir, dass im 17. und 18. Jahrhundert ähnliche Denkmuster in Grossbritannien aufgetaucht sind. Der Taoist Smith, der nicht-buddhistische Nihilist Hume und als spiritueller Herausforderer von Locke und Newton – der subjektive Idealist Berkeley. (Heute verkörpert die UC Berkeley den amerikanischen Inbegriff für intellektuellen Eskapismus.) Was vor der Schottischen Aufklärung angefangen hat - die Schottische Reformation - beeinflusst von Calvin in Genf, hat bis heute überdauert als die reformiertere und liberalere Kirche in Grossbritannien, im Vergleich zur Chruch of England. Es ist am Rande des mächtigen britischen Königreichs, an dem freiheitlicheres Denken und Handeln möglich wurde - die USA in Nordamerika und die Schottische Aufklärung im Norden Grossbritanniens.
Rund zwei Jahrhunderte nach der Entdeckung und Eroberung Amerikas durch Spanien, welches seine Eroberung mit den Portugiesen teilen musste, hat das friedlichere, liberalere, pluralere Britische Empire die Führung übernommen. Mit Adam Smith und der Abspaltung der USA kam die Profitlogik – im Gegensatz zur Tributlogik - in einem Empire, dessen Fundament auf einem Netzwerk von weltumspannenden Handelskolonien basierte, stärker zum Durchbruch. Dies die Situation um 1800. Durch den Verlust der USA war das Empire zunächst geschwächt, aber der entfachte transatlantische Handel machte schliesslich beide Länder reich. Die USA mussten im 19. Jahrhundert zunächst noch die Grenzen ihrer Zivilisation – die Frontier - bis an ihre Westliche Küste vorschieben, durch einen blutigen Bürgerkrieg gehen bis die Sklaverei in ihrem eigenen Land abgeschafft war und sich Industrialisieren, bis sie nach zwei katastrophalen Europäischen Bürgerkriegen die Rolle der globalen Führungsmacht übernehmen konnten.
Das Britische Empire entwickelte sich in der Zeit des „zweiten Empires“, trotz oder gerade wegen dem Abfall der USA, erfolgreich weiter. Es orientierte sich neu nach Süden, nach Afrika, und nach Osten, nach Asien und den Pazifik. Nach der Niederlage des Napoleonischen Frankreichs 1815 konnte sich das Britische Imperium während dem 19. Jahrhundert fast unbeschränkt ausbreiten. Siedlungen weisser Kolonisten wurde zunehmend eingeschränkte Autonomie gewährt. Am Ende des Ersten Weltkriegs hatte das Empire seinen absoluten Höhepunkt erreicht. Es beherrschte rund einen Viertel der Welt (geographisch und bevölkerungsmässig).
Das französische Imperium nahm eine andere Entwicklung. Es befand sich in Rivalität zum Britischen Empire. In Nordamerika konnten sich die Franzosen nicht halten. Von Ägypten bis Südafrika und in Indien herrschten ebenfalls die Briten. So blieb den Franzosen nur Westafrika und Hinterindien – Indochina. Das französische Imperium war wieder das Produkt einer reinen Tributlogik und auf Merkantilismus aufgebaut. Der König und ganz Frankreich waren Katholisch. Mit der Bartholomäusnacht 1572 begann die blutige Vertreibung der französischen Protestanten. Im Dreissigjährigen Krieg (1618-1648) entlud sich der protestantisch-katholische Gegensatz auf schrecklichste Art und Weise weiter. Natürlich ging es hier nicht immer nur um Religion, sondern v.a. auch um Hegemonialmacht. Aber ich möchte die längeren Entwicklungslinien im Auge behalten und mit einem feinen Pendel den Lauf der Religionen verfolgen. Das französische Gottkönigtum von Gottes Gnaden liess sich im 17. Jahrhundert mit dem Sonnenkönig Luis XIV als kollektives Sinnprojekt für die Franzosen das prunkvolle Schloss Versailles erbauen. Dies war dann jedoch zu viel an Extraktion für ein paar Wenige. Inklusive Innovativität in anderen Bereichen als der Verwirklichung von maximalem Luxus für einen – den Sonnenkönig - unterblieb.
Nach zwei Jahrhunderten hatte sich der gottesfürchtige, aber innovationsfeindliche Monolith des Mittelalters soweit aufgelockert, dass im liberaleren England (im Vergleich zu Frankreich, Italien und Deutschland), Newton die moderne Physik in Gang bringen konnte. Die Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie) erschien erstmals 1686. In ihr entwickelte Newton, aufbauend auf seiner Gravitationstheorie, die Grundlagen der Mechanik. So etwas Gewaltiges, wie die Begründung der modernen wissenschaftlichen Methode, konnte nur in Oxford oder Cambridge passieren. Wieder ist es nicht überraschend, dass es das jüngere Cambridge war, in dem Newton lehrte. Die psycho-sozialen Machtkräfte müssen auf Newton so gewirkt haben, dass er die Gravitationslehre entdeckt hat. Die Kraft, welche die Dinge in unserer Welt zusammenhält. Die Physik des 21. Jahrhunderts hat diesen Kraftfaden aufgenommen und relativiert. Im Schwarzen Loch soll selbst die Zeit gekrümmt werden oder sogar untergehen. Ganz sicher bewiesen, ist dies aus unserer Zeitlinie heraus jedoch nicht. Das Gegenbild zu diesem Maximum an „Schwarzer Energie“, ist die Metapher des „Weissen Lochs“. Es ist die positive, hoffnungsvolle, kreative, lebensspendende Liebes-Energie in unserer Welt. Wenn wir sterben, ist die Frage, ob unser Bewusstseinswölkchen in die Gravitation hinein kollabiert. Aber als Seele vielleicht doch zu einer heiligen Mitte hin? Oder wird unser Bewusstsein mehr „frei“, in dem Sinne, wie sich das die Leute im Mittelalter vorgestellt haben. Dass die Seele zu Gott in den Himmel aufsteigen wird?
Die moderne Naturwissenschaft heute hat jedoch kaum mehr etwas mit Religion zu tun. Sie ist das Ergebnis von Experimenten, das Ergebnis von Versuch und Irrtum. Die Welt und ihre Strukturen sind ungewiss, aber mit hartem Nachfragen entschlüsselt sich einem ein Teil der Schöpfung.
England konnte dank solchem bahnbrechendem wissenschaftlichem Fortschritt sich als erste Nation der Welt im 18. Jahrhundert industrialisieren und so auch weiter sein Imperium ausbauen. Der Absolutismus und die Grundherrschaft waren im 18. Jahrhundert früher als in anderen Ländern Europas gelockert worden, so dass die Voraussetzungen für die freie Ausbreitung des Handels, der Kapitalbildung und der technischen Innovation geschaffen waren. Meilensteine waren die Erfindung der Dampfmaschine (1712, entscheidende Weiterentwicklung 1769 durch James Watt), der Spinnmaschine, des mechanischen Webstuhls und die Erfindung der Dampflokomotive. Dieser auf Kapitalismus und Technik basierende Vorsprung an Wohlstand liess nun im Politischen aber Dynamik verpuffen. Seit dem 17. Jahrhundert wurde der König zwar zaghaft etwas in seine Schranken verwiesen, zu nennen sind die Petition of Rights (1628), der Habeas Corpus Act (1679) und die Bill of Rights (1689). Aber bis heute ist das Vereinigte Königreich eine Monarchie geblieben - wenn auch eine parlamentarische [!] - und hat keine geschriebene Verfassung.
Die moderne Demokratie - die Abschaffung des Königtums und des Adels - ist die Leistung einer anderen Nation. Es war im absolutistisch regierten Frankreich, wo die Französische Revolution hervorbrach und die alte Welt neu ordnete. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrecht 1789 hat in Europa eine neue Zeit begonnen! Beeinflusst von der Amerikanischen Revolution von 1776 - Thomas Jefferson hat an beiden Fundamentaltexten der modernen demokratischen Ära mitgeschrieben – kam es mit der Französischen Revolution zu den folgenreichsten Ereignissen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Nach Gründung der demokratisch verfassten Vereinigten Staaten von Amerika 1776 kam die Demokratie mit der Französischen Revolution ins Herz des alten Europas.
Der feudalistisch-absolutistische Ständestaat wurde abgeschafft und die Ideen der Aufklärung – Menschenrechte und Demokratie – fanden einen Neuanfang. Dies nachdem die direkte Demokratie des klassischen Griechenlands -322 ihr Ende fand und die römische Republik, eine Aristokratie mit demokratischen Elementen, -27 im Chaos unterging. Danach hat das Römische Imperium für ein halbes Jahrtausend die mediterrane Welt beherrscht. Aber auch die Französische Revolution sollte im allgemeinen Chaos in den blutigen Terror der Guillotine umschlagen und mit Napoleon ihren neuen Monarchen finden.
Im vorrevolutionären, absolutistischen Frankreich gärte eine Revolution. Wegbereiter waren die grossen Denker der französischen Aufklärung. Neben dem Kirchenkritiker Voltaire, den unermüdlichen Wissenssammlern um die Enzyklopädisten, sind mir zu Frankreich v.a. politische Philosophen in Erinnerung geblieben. Die Zeit war geprägt durch Vernunft- und Fortschrittsoptimismus. Montesquieu sprach sich für die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative aus. Er schlug damit den Meissel ins absolutistische Frankreich. Der grösste Idealist aus dem Kreis der Wegbereiter der französischen Revolution war Rousseau. Aus der Calvin-Stadt Genf stammend, der Peripherie Frankreichs, war er der grosse Denker des modernen Gesellschaftsvertrags. Durch den Gesellschaftsvertrag sollten politische Institutionen ermöglicht werden, welche den Allgemeinwillen durchsetzen. Rousseau war dabei von der antiken griechischen Demokratie inspiriert und argumentierte gegen den Gesellschaftsvertrag der totalen Unterwerfung unter den Leviathan von Hobbes. Hobbes lebte und wirkte rund hundert Jahre vor Rousseau in einer Zeit politischer Wirren in England. Hobbes ging von einem Krieg aller gegen alle aus und dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Rousseau dagegen verklärte den Menschen und sah in ihm den edlen Wilden. Der ursprünglich gute Mensch sollte aus der Verdorbenheit der menschlichen Zivilisation befreit werden. Condorcet ging einen mittleren Weg und betonte, dass der Vorteil der Demokratie in pluraler Meinungsbildung liegt.
Wie die weitere Geschichte indessen gezeigt hat, ging aus den Wirren der Französischen Revolution wieder ein neuer Kaiser hervor – Napoleon. Mit seinem Heer durchzog er Europa. Er war einerseits geleitet von den Idealen der Französischen Revolution und brachte den unterworfenen Völkern das Zivilgesetzbuch (code civil), anderseits begann mit ihm der Aufstieg des Empire français. Es wurde – nach dem Englischen Empire – das zweitgrösste während dem 19. Jahrhundert.
Die deutsche Reichs- und Nationenbildung war durch die Reformation und das Fehlen natürlicher Grenzen verzögert worden. Während der Reformation kam es zur konfessionellen Spaltung Deutschlands. Der Fürst oder König entschied, welcher Glaube in seinem Land gelten sollte. Da nicht alle Fürsten oder Könige sich zum gleichen Glauben bekennen konnten, kam es zur Aufspaltung Deutschlands in einen grossen Flickenteppich. Das österreichische Habsburgerreich blieb hingegen geeint unter ihrem katholischen Kaiser. Der erste und zweite Weltkrieg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann als Folge der verspäteten Imperien-Bildung Deutschlands gesehen werden. Die Welt war im wesentlichen schon zwischen Engländern und Franzosen aufgeteilt. Die beiden Weltkriege waren der vergebliche Versuch Deutschlands selber eine Vormachtstellung als Weltmacht aufzubauen.
Aber zurück ins 18. Jahrhundert als der Protestant Kant am äussersten östlichen Ende des Königreichs Preussen lebte. Er war ein heimlicher Bewunderer der Französischen Revolution und sah in einer Universalisierung der Demokratie die Möglichkeit für einen zukünftigen Weltfrieden. Seine herausragende Leistung sollte jedoch erkenntnistheoretischer Natur sein. In jungen Jahren fühlte er sich noch von der Esoterik Swedenborgs angezogen, anderseits schreckte ihn der Tod. So begann er sich im Denken zu orientieren. Was ihm dabei gelang, war die grosse kopernikanische Wende in der Philosophie. In seiner grossen Synthese zeigte er die Grenzen der Erkenntnis auf. Es war Hume, der ihn aus seinem dogmatischen Schlummer befreite. Aber anders als die radikale „Filmriss“-Erkenntnistheorie Humes, welche die Kausalität ausser Kraft setzte, fanden bei Kant der britische Empirismus und der französische Rationalismus zu einer neuen Synthese. In der „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) legte er dar, wie wir nicht die Welt an sich erkennen, sondern nur die Welt, wie sie uns erscheint. Es sind die Strukturen unseres Verstandes, welche unsere Wahrnehmung bestimmen. Die Welt erscheint uns aus dem Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand. Kant arbeitete am Problem, warum unser Verstand wie ein Schlüssel ins Loch der Natur passen sollte und postulierte, dass dem nicht so sei und das es noch „mehr“ gebe, als die Welt der Erscheinungen. Es ist jedoch erst die moderne evolutionäre Erkenntnistheorie, welche uns die kantsche Erkenntnisschranke richtig deutlich macht. Unser Gehirn hat sich in Interaktion mit seiner Umwelt herausgebildet. Die Gehirne der Tiere durchliefen einen langen, evolutionären Suchprozess. Diejenigen Tiere, welche ihre Umgebung am besten wahrnehmen konnten und sich fortbewegten, überlebten. Wenn sie es bis zur Fortpflanzung schafften, konnten sie diese wertvollen Gene weitergeben. Dies bedeutet für uns Menschen, dass wir nur relativ gut unsere Um-, Mit- und Innen-Welt erkennen können. Es ist jedoch kaum wahrscheinlich, dass wir die Welt erkennen, so wie sie wirklich ist! Als SciFi-Fantast kann ich mir sogar vorstellen, dass die Menschen einmal mit Hilfe künstlicher Mittel die Leistungsfähigkeit ihrer Gehirne werden steigern können. Jedoch werden sie wahrscheinlich auch dann nicht die Wirklichkeit, wie sie als solche ist, erkennen. Selbst wenn wir einmal meinen Gewissheit erlangt zu haben, dass wir wirklich die Realität so wahrnehmen, wie sie wirklich ist, bleiben die übrigen Erkenntnisschranken Kants. Wahrscheinlich werden auch die Menschen der Zukunft nicht verstehen, wie die Welt im Allerkleinsten funktioniert. Irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, mit Hilfe von Teilchenphysik noch tiefer in die Strukturen der Materie eindringen zu können. Ebenso werden sie nicht wissen, was sich jenseits der äussersten Grenze des Universums befindet. Erkenntnisse über den wahren Beginn der Zeit oder ihr Ende werden sie wahrscheinlich auch nicht erlangen. Materie, Raum, Zeit und Energie werden letztlich undurchdringliche Geheimnisse bleiben. Die theoretische Physik, gestützt auf die Beobachtung, welche sie von der Erde oder aus dem erdnahen Raum machen kann, hat zwar gewaltige Theorien über die Relativität von Raum und Zeit, verursacht durch Gravitation, entwickelt. Scheinbar meint sie auch genau zu wissen, wie das ganze Universum aus dem Big Bang hervorgegangen ist und entweder im Big Chrunch wieder zusammenfallen wird oder auf ewig auseinanderstreben wird. Aber wie uns die Wissenschaftsgeschichte lehrt, müssen wir immer mit Überraschungen rechnen. Es gilt immer noch das Falsifikationsprinzip von Popper. (Vielleicht sieht die ganze Sache ja vom Rande des Universums her betrachtet anders aus? Wenn wir nur dorthin gelangen könnten…)
Vielleicht wird auch einmal wirklich Gott zu uns sprechen. Nur da ich glaube, dass er dies bis heute noch nicht getan hat, müssen wir uns auch weiterhin mit der Auslegung seiner Schöpfung begnügen. Dabei kann das Studium der verschiedenen Religionen sehr stimulierend sein. Durch den richtigen Religionscocktail kann das Gottesmodul in unserem Hirn noch besser in Schwingung gebracht werden. Ich rede hier von Gottesmodul, weil wir Menschen als grundsätzlich religiöse Wesen aus der Evolution hervorgegangen sind. Die Religionen können als Botschaften aus der kosmologischen Tiefenzeit verstanden werden, welche durch die Evolution und Geschichte bis hin zu uns heute gelangt sind. Ihre Grundbotschaft ist eigentlich immer die gleiche: Werdet friedlicher, dafür wird es ein mehr an Transzendenz (im Jenseits, in einer anderen Welt oder in Form einer besseren Inkarnation in dieser Welt) geben. Um diesen Glauben zu verankern, muss man dann bestimmte Regeln einhalten. Dies ist insbesondere von grosser Bedeutung, weil die moderne Neuroforschung und Bewusstseinsphilosophie nahe legen, dass die Möglichkeit für eine Seele gegeben ist!
Aber kehren wir zu Kant ins ausgehende 18. Jahrhundert zurück. Kant war von Hause aus frommer Pietist. Darum konnte ihn auch ein Swedenborg für eine gewisse Zeit in seinen Bann ziehen. Swedenborg berief sich auf die Bibel, verkündete aber auch, dass er selbst Gespräche mit Engeln und Geistern geführt hat. Nach Kants Erkenntniskritik blieb nichts mehr von theosophischer Esoterik übrig. Seine protestantische Herkunft blieb jedoch in ihm wach und er wurde zum Begründer einer Vernunftreligion. Damit wir uns als moralische Wesen begreifen können, sind individuelle Entscheidungsfreiheit, eine unsterbliche Seele und Gott als Garant für die Existenz einer moralischen Ordnung notwendig. Nach Kant sind wir in unserem Handeln hin und her gerissen zwischen gutem und bösem Prinzip. Wir sollten jedoch die Moral als Gebote Gottes verstehen und auf einen Ausgleich im Jenseits hoffen.
Mit Hegel bewegte sich das Zentrum der deutschen Philosophie vom äussersten Rande Ostpreussens ins Zentrum Preussens, nach Berlin. Der neue Denkversuch wird in seinem Anspruch umfassender, ja totalitär. Hegel versuchte nach Kant und gegen Kant einen neuen Anlauf und postulierte, das absolute Wissen gefunden zu haben. In einer Phänomenologie des Geistes untersuchte er den Gang des Weltgeistes durch die Weltgeschichte. Seine analytische Methode war das dialektische Denken. Eine Form von Synthese, welche Gegensätze aufhebt und als neue Einheit auf eine höhere Ebene bringt. Hegels Weltgeist hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem hinduistischen Denken vom Wirken des Brahmans, nur dass Hegels Weltgeist historisch, zeitlich dynamisiert ist.
Hegels Gegenspieler seinerzeit vor Ort war Schopenhauer. Er zeichnet mehr ein buddhistisches Weltbild. Bei ihm verkommt das Rationale zum Anhängsel des Nicht-Rationalen. Was der Welt zugrunde liegt, ist ein reiner Wille, selbst grund- und erkenntnislos. Und weil er sich in der Regel auf das eigene Leben ausrichtet, ist er egoistisch und ruft dadurch Leiden hervor. Der ewig hungrige Wille findet nie eine dauerhafte Befriedigung. Die Welt ist unendlicher Mangel.   
Der Deutsche Idealismus – geformt durch Kant und Hegel - stand im Austausch mit der Weimarer Klassik und der Romantik. Der herausragendste deutsche Dichter jener Zeit war wohl Goethe. Er bringt die Hegel-Schopenhauer-Spannung vielleicht am schönsten auf den Punkt.
Habe nun, ach Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heissem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor
Und bin so klug als wie zuvor;
Und sehe, dass wir nichts wissen können.
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als alle Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen.
Auch habe ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Dass ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält.
An Stelle von Magie soll jedoch weiter der Ansatz von Hegels Weltgeist verfolgt werden. Hat er mich doch sehr beeindruckt und inspiriert. Zusätzlich möchte ich vorschlagen, das Wehen einer Weltseele (anima mundi) in die Betrachtung miteinzubeziehen und dafür den zeitlichen Horizont über die Menschheitsgeschichte hinaus auszudehnen bis hin zurück zur Entstehung der Erde aus Sternenstaub. Denn rein materiell betrachtet, bestehen wir alle – Menschen, Tiere, Pflanzen und Mineralien aus dem selben Sternenstaub. Wie meine bisherigen Ausführungen jedoch versucht haben zu verdeutlichen, ist es sehr wahrscheinlich, dass es noch „mehr“ gibt, als wir erkennen können! Was mag dies wohl sein? – Inspiriert von den Erkenntnissen der modernen Neuroforschung und interpretiert vor dem Hintergrund der modernen Bewusstseinsphilosophie besteht besonders für Menschen und bewusstseinsfähige Tiere die Möglichkeit, dass sie über eine „Seele“ verfügen könnten. Eine mögliche Sichtweise ist das Wirken einer Weltseele durch den Prozess der Kosmogenese, der Geogenese, der Biogenese und durch den Prozess der Evolution bis hin zu uns Menschen am walten zu sehen.
Dies ist die Perspektive der Evolutionären Spiritualität, also eines gewaltigen Panoramas, das sich uns Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt - vom Big Bang bis hin zu uns heutigen Menschen. Es ist das taoistische Spiel von zwei Energien: einer schwarzen Energie, welche die Dinge zusammenhält und einer weissen Energie, welche Neues und Friedlicheres in dieser Welt hervorbrechen lässt.
Nach der Verklumpung der Erde aus Sternenstaub brodelte die Oberfläche noch feurig. Es kam jedoch zur Abkühlung und eine feste Erdkruste bildete sich aus (die schwarze Energie). Dann die Entstehung der Atmosphäre, welche Leben möglich machte (die weisse Energie). Das Leben entstand zuerst in den Meeren (schwarze Energie). Es konnte sich aber daraus befreien. Es glückte ihm an Land zu gelangen. Dort wurde das Leben vielfältiger (weisse Energie). Die Pflanzenwelt ist noch fest an den Boden gebunden (schwarze Energie). Die Tiere können sich jedoch frei bewegen (weisse Energie). Unter den Tieren kommt es zu einem schrecklichen Fressen und Gefressen werden (schwarze Energie). Die erfolgreichsten Jäger – nach dem T-Rex – sind jedoch die Löwen und Wölfe geworden (weisse Energie). Die Menschen sind diesen Raubtieren zunächst fast hilflos ausgesetzt (schwarze Energie). Gemeinsam werden sie jedoch stärker. Ihre Intelligenz ermöglicht es ihnen zusammenzuarbeiten und auch Waffen zu fertigen. Damit sind sie in der Lage, die Raubtiere zu bekämpfen und sich ihren Platz auf der Erde zu erobern (weisse Energie).
Die Menschheitsgeschichte fängt gemeinhin mit dem Bau der Pyramiden Ägyptens an, einem Maximum an Extraktionsenergie (schwarze Energie). Daneben und danach entsteht aber der friedlichere monotheistische jüdische Glauben und die griechische Philosophie (weisse Energie). Die griechische Demokratie kann sich jedoch nicht halten und wird in das römische Imperium integriert (schwarze Energie). Mit dem Untergang des römischen Imperiums beginnt der Siegeszug der Liebesreligion des Christentums (weisse Energie). Das Christentum verfestigt sich jedoch dogmatisch und wird zu einem monolithischen Block, welcher für die rund tausend Jahre des Mittelalters eine wesentliche Weiterentwicklung der Zivilisation verhindert (schwarze Energie). Die Renaissance und die Reformation, die Erfindung des Buchdrucks und die Entdeckung Amerikas bringen neues Leben ins Abendland (weisse Energie). Dieser Aufbruch mündet jedoch in der Gründung neuer Imperien, welche erst durch zwei schreckliche Weltkriege geschwächt werden (schwarze Energie). Mit der Entkolonialisierung der Dritten Welt und dem Zusammenbruch des kommunistischen Sowjetimperiums – der Zweiten Welt – kommt es zu einem noch nie dagewesenen Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft (weisse Energie). Wie der Fluss von Extraktionslogik (schwarzer Energie) und inklusiver Innovation (weisser Energie) die letzten 500 Jahre gespielt hat, wollte dieser Post v.a. zeigen.
Die Geschichte der Menschheit kann als Prozess der Zivilisierung zusammengefasst werden. Die Geschichte der Religionen kann als Abfolge von religiösen Bildern gesehen werden, bei der es zugleich zu einer Steigerung der Dramatik, aber auch zu einer Steigerung der Hoffnungsbilder kommt. Die Philosophiegeschichte kann als Gang der Vernunft verstanden werden. Im 20. Jahrhundert fand sie ihr vorläufiges Ende in der lyrisch-nihilistischen, angsteinflössenden Seinsmystik Heideggers. Im französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus, welcher das Wirken von Zeichen und Symbolen in der Geschichte untersucht und historische Bruchstellen herausarbeitet. Im angelsächsischen Raum wandelte sich diese Wirkanalyse von Zeichen in die Memetik. Ein Mem ist ein einzelner Bewusstseinsinhalt, ein Gedanke, der durch Kommunikation weitergeben und vervielfältigt werden kann. Ein Mem wird geboren, wenn das menschliche Nervensystem auf eine Erfahrung reagiert. Meme sind als Grundeinheiten Replikatoren von Informationen und unterliegen dem Prinzip der natürlichen Selektion. Das Mem kann als einfacher, informationstheoretischer Begriff in der Kognitions- und der neuronalen Bewusstseinsforschung nützlich sein, der eigentlichen Herausforderung unserer Zeit.
Was nun die weisse Energie anbelangt, ist die Schlussfolgerung nicht die, dass diese Welt nur aus Freiheit und reiner Liebe zusammengehalten wird. Vielmehr sind auch weiterhin die Bande der „schwarzen Energie“ notwendig, welche die Dinge zusammenhalten. In unserer Gesellschaft sind dies die hierarchischen Strukturen. Aber die Kreise der Liebe und Inklusion können immer grösser werden und die Innovation erhöhen – so die Logik der Steigerung des Wirkens der weissen Energie und helfen, die kumulative Schuld abzubauen!
Natürlich soll dies kein totalitärer Erklärungsversuch mehr im Sinne Hegels sein. Die Erkenntnisgrenzen von Kant und der evolutionären Erkenntnistheorie werden akzeptiert. Ebenso das Falsifikationsprinzip und der kritische Rationalismus Poppers, also die Möglichkeit, dass wir uns irren können. Sie sind vielmehr gerade der zentrale Angelpunkt der Argumentation. Aber angesichts unseres grundsätzlichen Unwissens über die letzten Strukturen der Welt, ist dies ein postmoderner
Versuch ein paar Spuren des Göttlichen in dieser Welt zu finden.

Literatur:
Ernest Gellner. 1988. Plough, Sword and Book – The Structure of Human History. University of Chicago Press.
Daron Acemoglu und James Robinson. 2012. Why Nations Fail – The Origins of Power, Prosperity, and Poverty. Crown Publishing/ Random House.
Paul Feyerabend. 1975. Against Method – Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge. New Left Books.
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Take the tools in hand and carve your own best life.

Oder ist ein tripolares Denken und sein Kräftewirken besser geeignet der Realität gerecht zu werden? – Dies soll am Beispiel des Evergreens „Die Insel“ verdeutlicht werden.
1.) Robinson Crusoe war auf einer wunderschönen tropischen Insel gestrandet. Ihn quälte jedoch die Einsamkeit. Er sehnte sich nach nichts mehr als nach einem Partner – Freitag. (Geschrieben 200 Jahre nach Utopia). – Die Logik des „Nicht-Genugs“
2.) Thomas Morus erlebte harte, turbulente Zeiten in England zu Beginn der Neuzeit. In seiner Phantasie entwickelte er jedoch die Grundzüge einer idealen Gesellschaft und verpflanzte sie an einen Nicht-Ort, auf die Insel Utopia. – Die Logik des „Nicht-Vorstellbaren-Viel-zu-Viels“
3.) Die entsetzlichen Nazis versuchten schliesslich den Traum einer Insel (wie der weisse Kreis im Zentrum ihrer Flagge andeutete) für die Volksdeutschen im Grossdeutschen Reich zu verwirklichen, umgeben von einem Europa, einer Welt in der das Blut nur so floss…  - Die Logik des „So-Ganz-Sicher-Nichts!“
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Nach der Suche nach spiritueller Evolution, wäre ein nächstes Thema für einen Post der Tod. Einmal der individuelle Tod, wie er ein Thema für den spekulativen Existenzialismus ist. Also einer Philosophie der Angst, des Mangels und des Scheiterns. Anderseits die Thanatologie, welche wissenschaftlich den Sterbeprozess untersucht.
Neben dem individuellen Tod, ist der kollektive Tod die noch schrecklichere Vorstellung. Der kollektive Tod kommt in der Natur in Form von Aussterben von Arten vor. In der biblischen Religion findet in der Apokalypse das Ende der Welt statt. Apokalyptische Bilder kommen ebenfalls in zahlreichen anderen Religionen vor. Z.B. das Ende des Maya-Kalenders, des Kali-Yugas oder das Ragnarök. Schliesslich das Auslöschen von ganzen Gruppen von Menschen einer bestimmten Religion oder Ethnie. Seit dem Alleingeltungsanspruch des Christentums ist die Judenfeindschaft ein durchgehendes Kennzeichen christlicher Theologie und es kam im Laufe der Geschichte immer wieder zu Ausschreitungen und Pogromen gegen Juden. Mit dem Holocaust versuchten die Nazis gar die Juden als ganze „Rasse“ auszulöschen. Aber auch in unserer Zeit kommt es immer noch zu Völkermorden, wie 1994 in Ruanda als die Hutus 75% der Tutsis ermordeten, das Massaker von Srebrenica in Ex-Jugoslawien 1995 und nicht zu vergessen, die killing fields Kambodschas (1975-1979).

Samstag, 15. Dezember 2012

Die Schweiz, das grüne Auenland im Auge des Hurrikans?

Zur Zeit der Weimarer Klassik um 1800 waren Goethe und Schiller miteinander befreundet. Goethe schrieb die Tragödie des Dr. Fausts, eine Auseinandersetzung mit Mephistopheles. Sein Freund Schiller stiftete mit dem Wilhelm Tell den Urmythos der Schweiz. Er projezierte ein Arkadien, ein Auenland in die damals ferne Alpenrepublik Schweiz. Sein Stoff ist ein Drama, der Freiheitskampf der zukünftigen Schweizer gegen ihre Unterdrücker. Den Abschluss findet die Tell Sage im Rütlischwur.
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.
Mit dem Bundesbrief von 1291 begann die Schweizer Eidgenosssenschaft. Zuerst als ein Schutz- und Trutzbündnis von Uri, Schwyz und Unterwalden. Diesem Nukleus der Urkantone schlossen sich immer mehr Kantone an. Bis 1797 hatte die Schweiz ihre noch heute gültigen Grenzen ausgebildet. Mit der Gründung der Schweiz als modernem Bundesstaat 1848 wurde die Schweiz zu einer Föderation, in welcher vier Sprachen gesprochen wurden und zwei Konfessionen zu einem mehr oder weniger friedlichem Zusammenleben fanden. Streitigkeiten zwischen den liberal-progressiven und den konservativ-katholischen Kantonen führten 1847 zuerst zu einem kleinen Krieg, dem Sonderbundskrieg. Nachdem das konservative Lager verloren hatte, wurde die Schweiz in einen modernen Bundesstaat umgewandelt. Die Confoederatio Helvetica wurde zu einem föderalen Bundesstaat nach US-amerikanischem Vorbild. Die Bundesverfassung von 1848 war die erste Verfassung der Eidgenossenschaft, die sich das Schweizer Volk selbst gab. Sie machte, weil die bürgerlichen Revolutionen in den Nachbarländern scheiterten, die Schweiz für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zur demokratisch-republikanischen Insel inmitten der Monarchien Europas. Da die Bundesverfassung in einem Bürgerkrieg wurzelte, stand ihr das in diesem unterlegene katholisch-konservative Lager anfänglich ablehnend gegenüber. Erst die Verfassungsrevision von 1874, welche den Übergang von einer repräsentativen zu einer halbdirekten Demokratie einleitete, ermöglichte die Aussöhnung der Katholisch-Konservativen mit dem liberalen Bundesstaat.
Während den darauf folgenden drei deutsch-französischen Kriegen bewahrte die Schweiz ihre Neutralität und konnte sich so aus dem Kriegsgeschehen heraushalten. Bis heute hat sich die rund 500 Jahre alte Neutralitätsstrategie - ungefähr seit Beginn der Neuzeit - für die Schweiz bewährt. Der einst armen Alpenrepublik gelang die Industriealisierung. Dank sozialem Frieden und politischer Stabilität konnte sich das Banken- und Versicherungswesen erfolgreich entwickeln. Heute ist die Schweiz eines der reichsten Länder der Welt und deswegen bis auf weiteres nur zu differenzierter Integration in die EU bereit. Die bewaffnete Neutralität ist Kern des schweizerischen Selbstverständnisses und hat sich bis heute bewährt.
Zusammen mit ihrem Reichtum gelang es dem Kleinstaat Schweiz auch wertvolles kulturelles Kapital zu akkumulieren. Der religiöse Gegensatz zwischen reformiert und katholisch fand einen friedlichen Ausgleich und kann auch als Vorbild für andere Länder der Welt dienen. Als Willensnation von vier Kulturen verbindet die Schweizer mehr als ihre Affinität mit der jeweiligen Kulturnation. Für die Religionsgeschichte von weltweiter Bedeutung sind die Reformatoren Calvin in Genf und Zwingli in Zürich geworden. Die Schweiz ist zum Quellgebiet einer eigenständigen Tradition des Protestantismus geworden. Insgesamt einer wohltuend liberaleren Variante.
Wie wir im nächsten Post sehen werden, ist es sehr häufig, dass es an Rändern von Imperien und in Löchern von Denkkollektiven zu herausragenden Innovationen gekommen ist. Heute liegt das europäische Zentrum der Erforschung des Innenlebens der Materie in Genf und eine der bedeutensten naturwissenschaftlich-technischen Universitäten Europas in Zürich, die ETH. Finanziert wohl auch durch den wirtschaftlichen Erfolg der Banken und Versicherungen vor Ort.
Zürich ist, dank seiner liberal-reformierten Tradition und genährt durch den Wohlstand der Kapitalakkumulationsmaschine der Banken und Versicherungen, zu einem Ort der Aufklärung geworden.
Neben dem Reichtum, den der Finanzplatz der Schweiz bringt, sind es aus globaler Sicht drei Vorteile, welche für eine polyzentrische Finanzarchitektur sprechen. Im Zeitalter der Hochleistungsrechner und des High Frequency Tradings nimmt eine polyzentrische Börsenstruktur etwas an häufig überhitzter Geschwindigkeit aus dem Handel. Zweitens kommt es durch die multipolare Netzwerkstruktur zu einer vertiefteren Informationsverarbeitung. Schliesslich ist ein Weltfinanzsystem, das über mehrere Finanzplätze abläuft im Falle eines terroristischen Angriffs oder Krieges weniger verwundbar. Dies sind drei Gründe aus globaler Sicht, welche in Zeiten der Konzentrierung der Kapitalmacht an der Wallstreet für den Fortbestand eines starken Finanzplatzes Zürich sprechen.
Von Zürich aus können neue transnationale Netzwerke von Handel und Geld, aber auch von Erkenntnissen und Ideen geknüpft werden, welche alte, nationale Grenzen sprengen. Es scheint mir, als wäre die Rolle der Regulierungslücke Schweiz, im Prozess der europäischen Integration das Element der Konkurrenz zu betonen. Konkurrenz ist das alte Leitmotiv der Evolution und des Kapitalismus. Es sorgt für fittere Akteure. Für die alten Dinosaurier und ehemaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland hingegen, sollte das Ziel bleiben, zu einem friedlicheren föderalistischen Herz in einem Europa differenzierter Integration zu werden. Wichtig wird weiterhin der Ausbau des europäischen Binnenmarktes sein und nach Ordo liberalem Leitbild eine wirksame Wettbewerbskontrolle. Diese könnte irgendwann auf die globale Ebene ausstrahlen und zur Entstehung einer Weltkartellbehörde im Rahmen der WTO führen.
Im Zeitalter der Globalisierung sind transnationale Verflechtungen von Demokratie und Wirtschaft angesagt. Einmal die Stärkung von transnationalen Konzernen und Finanzinstituten, anderseits der Ausbau transnationaler Demokratie im Sinne des opportunity states, welcher transnationale innovative Inklusion ermöglicht. Falls es zu einer zu einseitigen Globalisierung der Weltwirtschaft kommt, wird sich der Gegensatz zwischen international orientierten, gebildeten Gewinnern und national orientierten, ungebildeten Verlierern verschärfen. Dies birgt die Gefahr von wieder aufkeimendem Nationalismus in sich. Nationen sind Konstrukteure von mächtigen kollektiven Identitäten. Nationalismus ist mehr als der Narzissmus des kleinen Unterschieds. Mangelt es an individueller Anerkennung, versucht „man“ sich mit etwas grösserem zu identifizieren – der Nation. Ein solches Stimmungsgemenge kann in blutigen Kampf und Krieg umschlagen.
Ein Mittel gegen den Virus des Nationalismus ist eine multikulturelle Orientierung. Die Schweiz mit ihren vier Kulturen ist dafür ein hervorragendes Laboratorium. Ein Aspekt kulturellen Kapitals ist die komplexe "Feldstruktur" der Zeichen und Symbole. Hier geht es um Semiotik. Für eine Kulturfusion hat die schweizerische Ausformung der drei Hochkulturen Deutschlands, Frankreichs und Italiens, und nicht zu vergessen das Vulgärlatein Rumantsch, den Vorteil, dass die jeweilige Sprache etwas entschleunigt ist. Ein Vorteil, wenn ein kultureller Fusionsprozess in Gang gesetzt werden soll. Diese abstrakt-semiotische Argumentation meint nun nicht nur den konkreten Vorteil, welcher ein langsameres Sprechtempo Einsteigern in eine Fremdsprache bietet, sondern zielt vor allem auf die Ebene des Unbewussten, dessen Strukturierung und Codierung (frei nach Lacan).
Die gute "Feldstruktur" der schweizerischen Semiotik ist wertvolles, kulturelles Kapital. Sie kann aber auch einen Beitrag dazu leisten, das Gespenst des aggressiven Nationalismus anderswo etwas zu entschärfen. Als ein reiches Land mit alter liberaler, multikultureller Tradition kann sie zu einem Ort gelebter weltanschaulicher, religiöser und sexueller Toleranz mit Ausstrahlung weit über ihre eigenen Landesgrenzen hinaus werden. Dabei bereichern auch die Homosexuellen - als eine Pfauenfeder mehr der Evolution – das semiotische Feld pluraler Vielfalt.
Als kleines Land, auf der Höhe der modernen Neurowissenschaften und der Bewusstseinsphilosophie, kann die Schweiz helfen, dass sich entwickelnde Paradigma des modularen Denkens als neues Muster im Bereich der internationalen Beziehungen voranzutreiben. Es ist ein Denken, dass weniger von den alten griechisch-römischen Tempeln und ihren tragenden Säulen geprägt ist, als vielmehr von sich ausbreitenden, überlappenden und z.T. auch konkurrenzierenden transnationalen Netzwerken, welche mehr der Geographie der Probleme entsprechen [Alexandre Frey]. Damit sind Netzwerke verschiedenster Art gemeint: von der Wirtschaft, zur humanitären Hilfe, in den Bereich der Politik, bis hin zur Sicherheitspolitik.
Dadurch könnten vielleicht auch, neben dem zweiten Sitz der VN in Genf, etwas ausserhalb des angelsächsischen Hegemonialbereichs, wertvolle Muster für eine insgesamt dynamischere, aber auch
friedlichere Welt gelegt werden.
Der Traum einer friedlichen Weltrepublik einer geeinten Menschheit wird sich wahrscheinlich erst im 23. Jahrhundert verwirklichen lassen. Bis dann wird es jedoch noch zu zahlreichen Wirtschaftskrisen und internationalen Kriegen kommen. Ein Hauptgrund dafür liegt in der Ressourcenknappheit. Diese kann im globalen Massstab erst durch weiteren fundamentalen wissenschaftlich-technologischen Fortschritt überwunden werden. Vielleicht wird einmal so etwas wie ein Materiewandler möglich werden. Dazu werden wahrscheinlich aber enorme Energiemengen notwendig sein, welche vielleicht einmal Solarkollektoren in orbitaler Position um die Sonne liefern werden.
Weitere zuvor noch zu lösende Probleme sind, der Clash of Civilisations, der Kampf zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten Kulturen und die Globalisierung der Staatsform der Demokratie. Die polyarchischen Strukturen der Demokratie erlauben ein friedlicheres Zusammenleben.
Warum reicht aber eine Universalisierung der Demokratie nicht aus, um den Weltfrieden für immer zu sichern, wie dies Kant Ende des 18, Jahrhunderts gefordert hat? Dies liegt in der Konfliktnatur des Menschen begründet. Neben Liebe und Freundschaft ist er auch von einem Drang nach Anerkennung und von Gefühlen von Neid getrieben. Die zukünftige Entwicklung wird eine auf Messers Schneide sein, was den weiteren Einsatz der modernen Technik und Wissenschaft anbelangt. Vielleicht hat sich die Menschheit bereits vor Ende dieses Jahrhunderts selbst vernichtet. Wissenschaft und Technik zur Überwindung von Ressourcenknappheit und zur Verbesserung der Lebensqualität sind ein Zivilisationsgut. Missbraucht jedoch, können sie zu Waffen unsagbarer Grausamkeit werden.
Deswegen sind kollektive Massnahmen zur Vertrauensbildung und Friedenssicherung von grosser Bedeutung. Die OSCE ist ein Beispiel für solche Prozesse.
Die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technik, als Voraussetzung für die Möglichkeit der Entstehung einer Weltrepublik im 23. Jahrhundert setzt den innovativen Zusammenschluss immer grösserer Denk- und Forschungskollektive voraus.
Bis zum nächsten zivilisatorischen Quantensprung hin zu einer friedlicheren Weltrepublik - vielleicht verwirklicht im 23. Jahrhundert - bleibe ich meinem Heimatland der Schweiz treu. Bis dann, Ahoi Schweiz als grünes Auenland geschützt vor den heranstürmenden Horden Saurons!

Mittwoch, 12. Dezember 2012

The Abyss of Mind and Matter: Sexuality on its Edge

Es geht hier um die Erotik von Löchern und von Auslassungen. Sexualität ist der Drang zur Vereinigung von Körpern und Seelen. Mit unserer Geburt werden wir aus der wohligen Einheit, die wir noch im Bauch unserer Mutter spüren können mit Geschrei herausgerissen. Unsere Traumzeit geht zu Ende. Das ewige Spiel des Wo-Bin-Ich-Hiers auf Erden beginnt? Geworfen in diese Welt sind wir auf der Suche nach Orientierung. Suchen werden wir noch lange können. Dies das Abenteuer der Entdeckung. Finden werden wir letzte Antworten in dieser Welt wahrscheinlich aber nie. Ist dies nun ein Drama oder hat dies manchmal auch etwas von einem vergnüglichen Versteckspiel? - Das Beunruhigendste in unserem Leben sind körperliche Qualen und der Schatten, welcher unser Tod von der Zukunft her in unser Leben wirft. Sterben müssen wir alleine. Daran führt kein Weg vorbei. Dies der klarste Gedanke Heideggers. Wie viel Angst löst dieser letzte Abgrund in uns aus? - Dank modernen Schmerzmitteln und einer Prise friedlichem, buddhistischem Nihilismus dürfte das Sterben in unseren hochmodernen Gesellschaften etwas von seinem Schrecken verloren haben. Bleibt für den Atheisten aber immer noch die Auseinandersetzung mit seiner Endlichkeit. Wenn der Stachel des Schmerzes etwas von seiner Härte verloren hat, wie sehr gibt es dann vielleicht eine "Erotik des Sterbens"? - Kann Verfall schön sein, wenn es einem immer wieder gelingt sich auf zu Bäumen? Etwas Leben zu tanken und etwas Licht auszustrahlen? Soweit meine atheistischen Gedanken.
Aber ich bin kein überzeugter Atheist. Nur ein überzeugter Agnostiker. Ein sehr überzeugter Agnostiker sogar! Hier beginnt für mich die wahre Spannung! Hier kann vielleicht sogar von Erotik gesprochen werden. Dies, weil der Tod eine ungeheure Spannung in uns aufbäumt. Es ist der absolute, ultimative Kick in unserem Leben - sofern wir ihn noch bewusst wahrnehmen. Es ist die äusserste Spannung, was wird mit mir, meinem Bewusstsein passieren, wenn mein physischer Körper in dieser Welt stirbt?
Die führenden Philosophen des Geistes in Amerika (John Searle, Daniel Dennett und der Brite Richard Dawkins) wollen ihre gebildeten Leser mit frommem materialistischem Atheismus beruhigen. Dem ist aber nicht so. Der Kant der Bewusstseinsphilosophie unserer Tage - David Chalmers - lebt etwas dezentriert in Australien. Er und andere moderne analytische Philosophen liefern genügend Argumente, um zu begreifen, dass unser Bewusstsein eine immaterielle, emergente Eigenschaft haben könnte. Das einfachste und überzeugendste ist für mich das Kombinationsproblem. Also das unüberwindliche Paradox, welches die moderne Neuroforschung zu Tage gefördert hat, nämlich die Tatsache, dass die materiellen neuronalen Grundlagen für unser Bewusstsein räumlich in unserem Kopf verteilt sind. Wir empfinden unseren Bewusstseinsstrom aber als eine Einheit. Dies das Geschehen um unseren Kopf herum.
Es gibt aber auch die letztlich undurchdringlichen Rätsel der Struktur unserer Welt - Raum, Zeit, Materie, Energie - die klassischen Antinomien Kants und der evolutionären Erkenntnistheorie. Diese und unser Unwissen angesichts dieser letzten Schranken der Erkenntnis der Welt machen den Tod zum spannendsten Moment in unserem Leben. Wir wissen einfach nicht, was danach kommt! Mit dem sich nähernden Tod beginnt die Traumzeit - auch Samsara genannt - wieder. Es kann sein, dass sich dann ein Tor für unsere Seele in eine andere Welt öffnen wird. Ein möglicher Riss in der Materie, liegt in einer vorstellbaren Lücke der Kausalität. Mehr dazu in meinem übernächsten Post, dass dieses Problem aufgreifen und am Leitfaden der Entstehung der modernen Welt abhandeln wird.

Donnerstag, 29. November 2012

Bin ich ein Europäer?

Als Schweizer mit auch deutschen Vorfahren stell ich mir hin und wieder die Frage wer ich eigentlich bin? Das Problem eine persönliche Identität zu finden, ist eine ständige, sich neu stellende Herausforderung. Dabei bin ich überzeugt, dass wir versuchen sollten multiple Identitäten zu entwickeln. Angefangen bei der Verankerung im lokalen Bereich hier in Zürich, kann ich mich mit meinem Heimatland der Schweiz identifizieren. Dies v.a. weil ich fast mein ganzes Leben hier gelebt habe. Zusätzlich ist es die Identifikation mit meinen Vorfahren, welche aus dem Bündnerland stammen. Es steckt noch etwas von einem Rätoromanen in mir, also das Zugehörigkeitsgefühl zu einer verschwindend kleinen Ethnie von noch ein paar Zehntausend Menschen. Auch wenn ich diese Sprache selber nicht mehr gelernt habe, war ich doch als Kind immer wieder längere Zeit in Trun (GR). Meine ganze schweizer Verwandtschaft stammt aus dem selben Dorf. Erst die Generation meiner Mutter hat das Dorf verlassen und ist entweder in ein anderes Tal, in die Innerschweiz oder nach Zürich "ausgewandert". Väterlicherseits liegen meine Wurzeln in Deutschland, wo ich auch geboren worden bin. Als ich fünf Jahre alt war, sind wir zwar wieder in die Schweiz gezogen, aber ich habe auch weiterhin Verwandte auf der anderen Seite der Grenze. Deswegen kann ich mich auch mit den Deutschen, mit all ihren Grössen und leider auch ihren furchtbaren Abgründen identifizieren. Mein Interesse an Europa ist mehr von dieser Seite her geweckt. Da ich aber schon in jungen Jahren bereits einmal in Indien war, ist mein Horizont auch globaler geworden. Später habe ich Europa und Amerika kennengelernt. Eine prägende Zeit war mein Jahr am Europakolleg in Brugge. Zusammen mit anderen jungen Menschen aus allen Teilen Europas hatte ich eine gute Zeit und habe viel über das Projekt Europa gelernt. Ich finde es interessanter, wenn man sich auch mit Menschen und Ideen ausserhalb der Grenzen des eigenen Landes identifizieren kann. Dann beginnt für mich das Spiel mit einer pluralen Vielfalt.
Mit der aggressiven Postmoderne wurde das Ende des Subjekts ausgerufen. Das ist natürlich Unsinn! Aber das "Feld" von Zeichen und Symbolen prägt doch die Phantasie. Mein Interesse als Sozialwissenschaftler gilt der Westlichen Gesellschaft und dem, was sie zusammenhält? Dies ist ein breites Spektrum, dass von spiritueller und psychischer Energie, über Sozialkapital - dem moralischen Band zwischen den Menschen, zu Humankapital - dem Wissen und wie es einen in seinen Bann ziehen kann, bis zu Kapital - dem was angeblich die Welt beherrscht - reicht. Aber wenn man tiefer in das Verständnis der Westlichen Gesellschaft eintaucht, dann stellt man fest, wie es oft letztlich immer noch nur die brutale Machtlogik ist, die alles beherrscht!
Also fangen wir mit der Frage nach Sicherheit an und welche Organisationen in der westlichen Welt für Sicherheit sorgen. Heute ist es immer noch das transatlantische Militärbündnis der NATO mit seiner Abschreckungsdoktrin, welche für Friede und Stabilität in unseren Breitengraden sorgt. Es ist das Verteidigungsbündnis der westlichen Demokratien. Es soll die gemeinsam geteilten Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten garantieren helfen. Wichtig für die NATO ist die demokratische Kontrolle der Streitkräfte. Die NATO dient der sicherheitspolitischen Absicherung der globalen Ökonomie. Die Amerikaner domminieren dieses Bündnis ziemlich unumschränkt. Sie verfügen über die neuste Spitzentechnologie und haben eine Armee, welche an Feuerkraft und globaler Präsenz unübertroffen in dieser Welt ist. Mit Feuerkraft, ist die militärische Möglichkeit gemeint, Gewalt gegen einen Gegner zu richten. Die sozialen Strukturen, welche in Amerika über dieses ultimative Machtsystem verfügen, zeigen Züge eines neuen Imperiums. Wenn wir rein aus der ökonomischen Logik heraus verstehen wollen, welches Interesse die Amerikaner an Frieden und Sicherheit in Europa haben, dann ist dies zunächst einmal das enorme Kapital, welches Amerikaner in Europa investiert haben. Geostrategisch ist das Interesse an Frieden in Europa zu verhindern, dass eine neue Diktatur in Europa entstehen könnte, welche Amerika militärisch bedrohen könnte. Schliesslich verbinden aber auch kulturelle Bande die Alte und die Neue Welt. Die Mehrheit der Amerikaner in der heutigen USA führen weiterhin ihre familiären Wurzeln auf europäische Vorfahren zurück. Kulturell ist Amerika im Grunde genommen, das abgekoppelte Kind, welches nach der Implosion der europäischen Kultur im Zweiten Weltkrieg, erwachsen geworden ist. Amerika hat seinen eigenen Stil der Moderne entwickelt.
Wo steht da nun Europa? Europa ist immer noch in viele Nationalstaaten aufgesplittet, mit jeweils eigener Kultur und eigenem Potential für Nationalismen. Einen amerikanischen Melting Pot gibt es nicht. Sollte es aber auch nicht geben, ist doch die Vielfalt der europäischen Kulturen Europas Reichtum. Die politische Klammer, welche unseren Kontinent zusammenhält, ist die Europäische Union. Ein Dach unter dem konfliktive Regionalismen gären können, ohne dass die Einbettung in die EU in Frage gestellt wird. Einige Katalanen, Schotten und Flamen streben z.B. nach staatlicher Unabhängigkeit. Aber kaum jemand stellt die Mitgliedschaft in der EU in Frage. Steht die EU doch für die Garantierung von Demokratie und umfassenden Grundrechten. Wirtschaftlich ist es heute zu einem grossen Teil die EU, welche den Rahmen für Handeln und Wirtschaften in Europa vorgibt. Im Prozess der europäischen Staatsbildung war die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts ein entscheidender Meilenstein. Mit der Ausbildung des europäischen Binnenmarkts wurde der freie Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen 1993 verwirklicht. Seit 1999 ist die Währungsunion für die 17 Länder der Euro-Gruppe Realität geworden. Sie war von Anfang an nicht unumstritten. Wurde damit doch eine Kernkompetenz des Nationalstaats aufgegeben und ein Haupttransmissionsriemen für die Wirtschaftspolitik wurde vergemeinschaftet. Durch den Einbruch der schweren Weltwirtschaftskrise seit 2007 ist die WWU zusehends aus dem Gleichgewicht geraten. Als letztlich politisch inspiriertes Projekt (die doch so konfliktiven Völker Europas enger aneinander zu binden) wird sie wahrscheinlich aber Bestand haben. Mit der Währungsunion geht auch das Ausbilden einer Sozialunion einher.
Mit der zunehmenden Integration von Bereichen der "hohen Politik" werden aber auch die Verwerfungen durch die unterschiedlichen nationalen Interessen in Europa wieder deutlicher, insbesondere in diesen wirtschaftlich so turbulenten Zeiten. Die Deutschen z.B. sind nicht mehr gewillt grenzenlos Geld für die ausufernden Staatsdefizite der Südeuropäer auszugeben. Die Briten wollten gar nicht erst den Euro einführen. Und die Franzosen müssen schauen, wie sie etwas von ihrem alten Hegemonieanspruch via europäische Institution retten können.
Nach dem der Versuch Europa eine Verfassung zu geben (2004) gescheitert ist, gelang jedoch der Rettungsversuch mit dem Vertrag von Lissabon (2009). Die europäische Konstruktion konnte so vor dem Komplexitätstot angesichts der zunehmenden Zahl von Aufgaben und gleichzeitig grösser werdender Mitgliedschaft gerettet werden. Die drei Pfeiler des griechischen Tempels des Vertrags von Maastricht (1992): Europäische Gemeinschaft mit dem Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion, Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres und der Versuch einer Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik wurden im Vertrag von Lissabon (2009) zusammengeführt. Gleichzeitig wurde mit dem Vertrag von Lissabon die Möglichkeit für eine differenzierte Integration innerhalb des Vertragsrahmens eröffnet. Ein Multispeed-Europa ist nun Wirklichkeit geworden.
Der spannenste Bereich der europäischen Integration ist derjenige der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik. Ein europäischer Aussenminister hat sich etabliert. Nur ist er weiterhin nicht sehr handlungsfähig. Hier geht es um den letzten, harten Kern staatlicher Souveränität. In Zeiten der Wirtschaftskrise werden auch die Rüstungshaushalte kleiner und die Amerikaner fordern die Europäer auf sich in Rüstungsfragen mehr zu spezialisieren. Dadurch würde aber die Dominanz der Amerikaner im Rüstungsbereich weiter vergrössert. Ein Ausweg wäre eine vertiefte Kooperation im Rüstungssektor. Hier bleiben aber die nationalen Vorbehalte weiterhin sehr hoch. Überraschend - vor einem längerfristigen Horizont - ist, dass es gelang den Nukleus für eine eigene, europäische Armee zu legen. Damit wurde souveränes, europäisches militärisches Handeln möglich. Nach dem unglaublichen Debakel der europäischen Paralyse während dem Jugoslawienkrieg in den 1990er Jahren, hat sich hier europäische Handlungsfähigkeit entwickelt. Es ist etwas mehr an EU-Actorness im transatlantischen NATO-Bündnis am entstehen. Die Grenzen dieser Handlungsfähigkeit hat jedoch der Lybienkrieg vom letzten Jahr gezeigt. Es war eine französisch-britische Allianz, welche ohne die Amerikaner und NATO-Unterstützung nicht auskam.
Wer diese Ausführungen liest, merkt mein Herz schlägt für Europa. Die EU ist die Antwort auf das ungeheure Grauen und das bisher unübertroffene Ausmass an Verwüstungen, welche der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. Gleichzeitig können die Herausforderungen der zweiten Moderne in Europa nur gemeinsam angepackt werden.
Dennoch möchte ich nicht zu einem simplen Europa-Nationalisten verkommen. Vielmehr gilt es genauso den Blick auf das Ganze der Weltgesellschaft, auf das Schicksal der Menschheit zu richten. Aus dieser Perspektive betrachtet, macht es für mich Sinn, dass ein Land - wie die Schweiz - mit einer langen historischen Tradition der selbstgewählten Neutralität in internationalen Angelegenheiten einen anderen Weg wählt als Kern-Europa oder schöner formuliert: das föderalistische Herz Europas (Frankreich-Deutschland, Benelux, plus). Die Schweiz ist mit ihrem Föderalismus, welcher ein friedliches Zusammenleben von vier Kulturen ermöglicht, ein Modell par excellence für Europa. Sie steht dem europäischen Geschehen gegenüber auch nicht komplett ablehnend gegenüber. Über umfangreiche bilaterale Verträge ist die Integration der Schweiz in die EU schon ziemlich weit fortgeschritten. Wie die Sondertouren der Briten und die Zahlungsverweigerung der Deutschen aber zeigen, ist Europapolitik auch heute noch harte Interessenspolitik. Mir scheint, mein Heimatland ist noch etwas zu reich für eine volle Europaintegration. Dies die harte Einsicht für den Idealisten in mir.
Anderseits hat das Abseitsstehen der Schweiz aus globaler Perspektive betrachtet einige grosse Vorteile. Es gilt im Multilevel-Game die globale Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Das ich Amerika zwar schätze, aber von einer totalen amerikanischen Hegemonie auch nicht begeistert bin, hat das weiter oben Geschriebene hoffentlich zum Ausdruck gebracht. Einerseits ist es gut, dass sich unter Französisch-Deutscher Führung ein Gegengewicht gegen die angelsächsische Hegemonie entwickelt. Aus globaler Perspektive betrachtet ist es gleicherweise gut, dass ein paar kleine, hochentwickelte Länder - wie z.B. die Schweiz und Österreich - nicht NATO-Mitglied sind und auch dem Treiben einer entstehenden europäischen Armee gegenüber neutral bleiben! Die Schweiz sollte sich als globaler Ort der Begegnung positionieren. Mit ihrer jahrhunderte alten Tradition der selbstgewählten Neutralität und ihrer Identität als Willensnation von vier Kulturen ist sie dafür wie geschaffen.
Als neutrales Land konnte es der Schweiz gelingen, dass das CERN in Genf angesiedelt worden ist. Das Akronym CERN leitet sich vom französischen Namen des Rates ab, welcher mit der Gründung der Organisation beauftragt war, dem Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire. Die offiziellen Namen des CERN sind European Organization for Nuclear Research, bzw. Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire. Während das Pentagon in Amerika wohl seinen eigenen Teilchenbeschleuniger hat, ist das CERN in Genf der grösste zivile Teilchenbeschleuniger der Welt. 20 Länder sind an diesem Projekt beteiligt und Gastwissenschaftler aus 85 Nationen arbeiten dort. Das CERN liegt auf schweizerischem und französischem Territorium. In der liberalen Schweiz scheint die Bevölkerung keine Angst davor zu haben, dass beim Vorstossen in noch nie erkannte Welten des Allerkleinsten die Welt auseinanderfliegen könnte.
Wenn es nicht gerade um Militärisches geht, ist die Schweiz auch pragmatisch bereit differenziert in von der EU initiierten Projekten mitzuarbeiten. Das Asia Europe Meeting (ASEM) ist ein Beispiel dafür. Es ist der missing link im Versuch einer triadischen Stabilisierung des Weltsystems. Während sich die USA immer mehr nach Asien hin orientiert, wirtschaftlich wie militärisch, war die Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien bis Ende der 1990er Jahre unterentwickelt. Mit dem ASEM ist eine neue Brücke zwischen den beiden alten Zivilisationen geschlagen worden.  
Die kleine Alpenrepublik Schweiz hat sich während gut einem halben Jahrtausend aus dem Getriebe der europäischen Grossmachtpolitik herausgehalten und ist mit dieser Neutralitätsstrategie gut gefahren. Die Neutralität Österreichs ist dagegen erst ein paar Jahrzehnte alt. Österreich ist historisch belastet durch seinen Anschluss an das Grossdeutsche Reich während dem unsäglichen Zeitabschnitt der Naziherrschaft. Die Siegermacht Sowjetunion hatte der Wiederherstellung einer österreichischen Republik nur unter der Bedingung ihrer Neutralität zugestimmt.
Für mich haben internationale Verhandlungen eine grosse Bedeutung. Dabei ist es oft entscheidend wo und auf welchem Boden wichtige internationale Konferenzen stattfinden und unter welchen Bedingungen. Für das EU-Europa ist es das Consilium des Ministerrates im belgischen Brüssel, das Europa-Parlament im französischen Strassburg und der Euro-Tower im deutschen Frankfurt. Dort ist die ganze Infrastruktur installiert und die Übersetzer sind vor Ort. Für die ganze Welt jedoch, insbesondere für den "peripheren" Rest der Welt (Nicht-NATO-US-EU-Land) sind die VN ein entscheidender Verhandlungsort. Die Bedeutung der VN nimmt im Zuge einer weiteren Verrechtlichung der internationalen Beziehungen hoffentlich weiter zu! Nun liegt der Hauptsitz der VN aber genau in New York. Dem Zentrum Amerikas neben, nach, vor Washington. Wie gut ist es da, dass es einen zweiten Sitz der VN im Genf der neutralen Schweiz gibt, und einen weiteren im Wien des neutralen Österreichs. Vergessen wollen wir auch nicht den Sitz der VN in Nairobi, im korrupten Kenia (Platz 154 von 178 untersuchten Ländern, Korruptionsindex von Transparency International).
Mir scheint es wichtig, für ein besseres Verständnis einer Konferenzatmosphäre auch auf die allgemeine kulturelle Stimmung zu achten, die vor Ort herrscht. Als ein möglicher Indikator für die kulturelle Stimmungslage, insbesondere im Hinblick auf die Akzeptanz von Minoritäten, möchte ich z.B. die Anerkennung oder Nicht-Anerkennung von Homosexualität vorschlagen. In Kenia sind homosexuelle Handlungen illegal und werden hart bestraft. Das katholische Österreich hingegen, ist nicht mehr eines der Schlusslichter in Europa, wenn es um die Rechte von Schwulen und Lesben geht. Viel ist in Bewegung gekommen. Nicht zuletzt auf Druck der EU. In der Schweiz ist das Klima für LGBTs inzwischen recht liberal. Erstaunlicherweise auch in der Calvin-Stadt Genf.
Neben ihrem Realismus im Bereich von Geld und Handel, ist die Schweiz als reiches, neutrales, multikulturelles Land ein idealer Ort für globale Begegnungen. Die liberale, multikulturelle Atmosphäre ist dem Austausch von Ideen förderlich. Das sind die positiven, globalen spill-overs der schweizerischen Neutralitätspolitik. Neben den Banken, den beiden bedeutensten Universitäten der Schweiz (ETH und Uni Zürich) und dem Grossmünster als Symbol für die schweizerische Reformation in Zürich, gibt es Genf mit seinem Palais des Nations. Dies war der Gründungsort des Völkerbundes, einer Organisation, die während der Zwischenkriegszeit vergeblich versucht hatte den europäischen Frieden zu sichern. Inzwischen hat die Nachfolgeorganisation - die VN - dort ihren zweiten Hauptsitz, nach New York, aufgebaut. Die Möglichkeit für die internationale Staatenwelt sich auch noch an einem anderen Ort zu treffen, als im Zentrum der amerikanischen Macht, scheint mir von grosser Bedeutung zu sein! Der zweite Sitz der VN in Genf bietet diese Möglichkeit. Alte Grossmächte, wie z.B. Russland (Militärmacht) und Japan (Wirtschaftsmacht) und neue, aufstrebende Grossmächte, wie z.B. China (Wirtschafts- und zunehmend auch Militärmacht), Indien oder Brasilien (beides wachsende Wirtschaftsmächte) haben so die Möglichkeit sich etwas ausserhalb des unmittelbaren Einflussbereichs der amerikanischen Macht zu treffen. Ein zweiter Sitz der VN macht auch Sinn, wenn wir an die Möglichkeiten eines terroristischen Anschlags auf die VN denken. Dadurch dass die VN mehrere Standorte haben, können sie in einem Notfall auch ausweichen.
Damit die Schweiz auch weiterhin als neutraler Ort der Begegnung dienen kann, sollte sie nicht der amerikanisch dominierten NATO beitreten. Zur Aufrechterhaltung der schweizerischen Neutralität gehört ebenfalls sich nicht in eine entstehende Europaarmee einbinden zu lassen.
Ich möchte aber noch beim zweiten Sitz der VN in Genf bleiben. Neben den VN haben sich weitere wichtige internationale Organisationen und Verhandlungsorte in Genf angesiedelt. Nennen möchte ich nur noch die WTO und die ILO. Zahlreiche globale zivilgesellschaftliche Akteure haben ebenfalls in Genf Fuss gefasst. Allen voran das 1863 gegründete IKRK, welches zum Wegbereiter des humanitären Völkerrechts (ein Euphemismus für "humane" Kriegsführung) wurde. Dieses leistet seither hochgeschätzte humanitäre Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten weltweit. Wenn wir bei den globalen zivilgesellschaftlichen Akteuren sind, ist das WEF in Davos die wohl prominenteste Organisation. Neben den CEOs der grössten Unternehmungen dieser Welt, treffen sich auch Spitzenpolitiker, führende Wissenschaftler, sowie Vertreter der Religionen und der Weltmedien. Geschätzt werden die informellen Begegnungen. Gleichzeitig betreibt das WEF etwas an agenda setting was globale wirtschaftliche und soziale Themen anbelangt. Die wohl wichtigste globale zivilgesellschaftliche Organisation im Bereich des Umweltschutzes - der WWF International hat es vorgezogen im waadtländer Gland ihren Hauptsitz zu beziehen, anstatt in der Smog-City New York.
Damit solche Treffen in der neutralen Schweiz möglich sind, muss die Schweiz auf eine eigenständige Verteidigung zurückgreifen können. Unter anderem auch um solche Treffen in einem geschützten Rahmen zu ermöglichen. Damit sind wir beim Thema Schweizer Armee. Das alte Massenheer und das Reduitdenken sind heute überholt. Die Bedrohungslage der Schweiz ist heute komplexer. Einerseits einfache Flüchtlingsströme an der Grenze ausgelöst durch eine technische Grosskatastrophe im benachbarten Ausland, anderseits Bedrohungen durch Raketenangriffe, Flugzeuge und Cyberkrieg von weit her. Das unmittelbare Umfeld der Nachbarstaaten der Schweiz kann als befriedet bezeichnet werden. Was die Schweiz auch der EU zu verdanken hat. Ein Krieg in unserer Nachbarschaft ist kaum wahrscheinlich. Ein kleines Abschreckungspotential sollte hier für die Zukunft genügen, sowie eine Verteidigung der schweizer Grenzen angesichts überbordender Flüchtlingsströme. Die Ursachen dafür dürften weniger in sozialen Unruhen liegen, als vielmehr in grosstechnischen Katastrophen im In- oder Ausland. Vorstellbar wären in der Schweiz oder im benachbarten Ausland die Kernschmelze eines Atomreaktors, ein verheerender Brand in einer Chemiefabrik oder ein Leck in einem biotechnisch tätigen Unternehmen. Dafür braucht die Schweiz v.a. einen ausgebauten Katastrophenschutz, der z.T. von der Armee gestellt werden kann. Bedrohungen durch Raketen und Flugzeuge aus langer Distanz würden wahrscheinlich bereits durch NATO-Massnahmen abgefangen werden. Ich glaube kaum, dass sich die Schweiz ein eigenes Raketenabwehrsystem leisten kann. Eine funktionsfähige Schweizer Luftwaffe scheint mir da schon sinnvoller zu sein, um z.B. terroristische Angriffe einer al-Qaida von der Schweiz abwehren zu können. Schliesslich sehe ich eine ständig wachsende Gefahr durch einen Cyberkrieg, der seinen Ursprung im Ausland oder in der Schweiz haben könnte. Zur Abwehr solcher Bedrohungen braucht es hochspezialisierte Fachkräfte. Um eine weitere Professionalisierung der Armee wird die Schweiz nicht herumkommen. Einerseits muss der Armee modernste technische Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden: Flugzeuge, Mittel zur Bekämpfung von biologischen und chemischen Kampfstoffen, sowie die Informatik zur Abwehr eines Cyberkriegs. Anderseits muss sie aber auch über das notwendige Fachwissen verfügen, um diese Mittel richtig einzusetzen.
Ein paar Gedanken zum religiösen Bereich dürfen hier nicht fehlen. Die wichtigste internationale ökumenische Organisation - der ÖRK hat ebenfalls seinen Sitz in Genf, in der Nähe der VN. Für die europäische protestantisch-reformierte Christenheit scheint mir die schweizerische Reformation von Bedeutung zu sein. Beim SEK lodert das Zünglein der liberalen Religiosität etwas stärker als in der EKD. Dies hat jetzt aber nichts mehr direkt mit der Neutralität der Schweiz zu tun. Aber das liberale Klima Zürichs hat eine progressivere Bibelübersetzung - die Zürcher Bibel von 2007 - im Vergleich zur Einheitsübersetzung der Bibel in Deutschland hervorgebracht.
Last but not least, komme ich zur Philosophie. Hier scheint mir Zürich eine fruchtbare Verbindung von Geist und Kapital eingegangen zu sein. Das zukünftige Standartwerk der Philosophiegeschichte für den deutschsprachigen Raum und wohl weit darüber hinaus - "Der Grundriss der Geschichte der Philosophie" - wird in der komplett überarbeiteten Neuausgabe von Prof. Helmut Holzhey (Uni Zürich) herausgegeben. Es ist aus einer wahrlich europäischen Perspektive heraus geschrieben und dürfte im Bereich des Geistes die Ausformung einer europäischen Identität mitbeeinflussen. Ich bin mir nun nicht ganz sicher, ob wir dieses Meisterwerk nur dem Genie Helmut Holzheys zu verdanken haben oder auch dem Umstand, dass dieses Werk aus der Schweiz kommt? - Sind seine deutschen Fachkollegen vielleicht zur Überzeugung gelangt, dass nach dem Unheil, das sie mit Heidegger in der Geisteslandschaft angerichtet haben, es ein schweizer Redaktionsteam sein sollte, dass die europäische Philosophiegeschichte herausgibt?
Und zu allerletzt möchte ich dem liberalen Geist Zürichs danken, dass er mit Paul Feyerabend und seinem "Nachfolger" Elmar Holenstein mitgeholfen hat, dass befreiende Denken der guten Postmoderne in die Welt zu bringen. In diesem Geist möchte ich mich aus einer postmodernen, dezentrierten, weltgesellschaftlichen Perspektive als Europäer bezeichnen!

Montag, 19. November 2012

Die Abgründe des Menschlichen am Beispiel des Nationalsozialistischen Deutschlands

Eine Variante der Evolutionären Spiritualität ist die Prozesstheologie. Gottes Allmacht ist nur beschränkt, aber das Göttliche wirkt schöpferisch und kreativ in dieser Welt. Das von Gott Geschaffene besitzt eine eigene Selbständigkeit. Mit jeder Höherentwicklung der Welt steigt auch die Selbständigkeit und die Eigenverantwortung für die Welt. Werte lassen sich auch für Gott nur über den Umweg der Eigenständigkeit der Geschöpfe schaffen. Aber nicht nur die Fähigkeit zum Guten wächst, sondern auch die Fähigkeit zum Bösen. Der Preis für den freien Willen ist, die Möglichkeit sich falsch zu entscheiden. Ob wir nun moralisch handeln, weil wir uns dabei einfach besser fühlen oder ob wir meinen, im moralischen handeln die Prüfungen Gottes zu erkennen, bleibt die offene Frage?
Die grösste offene Frage bleibt aber, ob es Gott auch wirklich gibt? - Wenn die Menschen die Diskurse um neodarwinistische Religionstheorie falsch verstehen, reduziert sich diese Theorie nur noch auf einen nackten Kampf ums Dasein. Die Hoffnungsbotschaften, welche gute Religionen auch enthalten und aus der Tiefe der kosmologischen Zeit stammen, werden verkannt, ebenso wie der Prozess hin zu friedlicheren Religionsbildern. Gewisse Theoretiker der neodarwinistischen Religionstheorie versuchen vielmehr das aggressive Element noch weiter zu steigern. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat analog zu den agressiven Genen, die Idee von Memen entwickelt. Bei den Memen handelt es sich um Grundeinheiten von Information, welche dem Prozess der natürlichen Selektion unterliegen und sich replizieren. Sie sind eine weitere Steigerung von aggressiven "egoistischen" Akteuren neben den Genen und sie sollen virusgleich wirken! Die Metapher der Meme und ihre Wirkweise bleibt aber hypothetisch. Warum sollen wir von aggressiven Memen sprechen, die virusgleich wirken? Normalerweise reden wir von Ideen.
Das Wirken von Ideen wird in der Philosophie untersucht. Alternative, obskure Erklärungsversuche über das Wirken von Ideen aus dem 20. Jahrhundert sind die Seinsmetaphysik von Heidegger und der Poststrukturalismus.
Heidegger hat versucht eine neue Philosophiegeschichte zu schreiben. In seinem Mystizismus mit dem er sich umgab, versuchte er einen "anderen" Anfang der Philosophiegeschichte zu finden. Seine Idee war, dass wir zu objektivistisch denken. Angefangen bei den Vorsokratikern Kleinasiens entwickelte er eine neue Seinsmetaphysik. Eigentlich ein interessanter Versuch. Was aber bei Heidegger hoch problematisch ist, dass er seine Philosophie in einen obskuren, nebulösen Seins-Mystizismus verwandelte. Abgesehen von einer noch vertrauten Zuhandenheit der Dinge (wie z.B. der Hammer), zum gefühlskalten Mitdasein, dem jegliche menschliche Wärme und Dialogfähigkeit fehlt, endet seine Philosophie immer im Unheimlichen und der Angst. Klare Gedanken sind nicht mehr erkennbar. Es scheint mir, als mündet alle seine Philosophie in einem "Raunen des Seins". Was bei aller Kritik an Heidegger jedoch anerkannt werden muss, ist seine Auseinandersetzung mit dem Thema Tod. Aber auch zu diesem Thema hat er keine klaren Gedanken verfasst, sondern nur Vages, Undurchschaubares, Geheimnisvolles hinterlassen. Mit seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" wollte er, ausgehend von der existenziellen Analyse des Menschen, das SEIN erforschen und so seine Fundamentalontologie begründen. Kants metaphysische Erkenntnisgrenzen haben ihn nicht gekümmert. Seine Fundamentalontologie ist ein wirrer Obskurantismus. Mir scheint da mehr sein Wille zur Macht am Wirken zu sein, sein Versuch "den Führer [Adolf Hitler] zu führen" und seine Geltungssucht als führender Philosoph angesehen zu werden. Was an Heideggers Todesphilosophie als inspirierend geschätzt werden kann, sind Begriffe und Metaphern wie das In-der-Welt-Sein des Menschen, der Weg von der Existenz zur Eck-sistenz, dem Hinausragen ins Nichts, das Sein-zum-Tode und wie es uns unheimlich wird und wir Angst empfinden, wenn wir darüber nachdenken. Heidegger hatte einen klaren Gedanken, dass wenn wir sterben, wir alleine sind, wir alleine sterben. Zur Daseinsberuhigung hatte er keine Beruhigungspille mehr mitzugeben. Als Katholik geboren und Priesterseminarist, hat er dieses abgebrochen und im Laufe seines weiteren Philosophierens radikal mit jeglicher Form von Glauben gebrochen. Dieser Zweig seiner Philosophie kann als fruchtbar anerkannt werden, insofern er den Existenzialismus inspiriert hat. Also eine Auseinandersetzung mit unserer Endlichkeit angesichts der Möglichkeit, dass kein Gott und kein Jenseits existiert. Heutige Existenzialisten haben aber noch stärkere existenzielle Bilder gefunden, wie der Mensch, der im unendlichen Universum verloren ist. Hier ist die Resonanz noch stärker! Heidegger hat aber mit seiner Philosophie des Unheimlichen, der Angst und des Todes den Nihilismus der Nazis geschürt!
Der Poststrukturalismus scheint mir da schon ergiebiger zu sein. Es geht um Sprache und wie sie unser Denken beeinflusst. Am interessantesten scheint mir hier der Ansatz von Foucault zu sein. Er untersucht alles was geschrieben ist und wie dieses Geschriebene einen Einfluss auf uns hat. Er findet Strukturperioden in der Geschichte. Die während dieser Zeit geltenden Weltbilder können als Paradigmen bezeichnet werden. Mit seiner Machtanalyse zeigt er aber auch auf, wie schnell und unberechenbar es zu Strukturbrüchen und Paradigmenwechsel kommen kann. Deswegen die Bezeichnung Post-Strukturalismus.
Die Zukunft der Ideenforschung wird aus einer Kombination von Neuroforschung und der Analyse des "Kollektiven Gedächtnis der Menschheit" bestehen. Mit der Neuroforschung werden die materiellen Korrelate, welche unser Denken bestimmen, naturwissenschaftlich untersucht. Eine Naturalisierung unserer Ängste, also eine genaue Erklärung, wie unser Hirn Angst entstehen lässt, wird der Angst vielleicht etwas von ihrem Stachel nehmen. Anderseits wird es weiterhin um die Substanz unseres Denkens gehen und damit darum, welche Bilder unsere Psyche hervorbringt. Was wir als Menschen im Laufe unseres Lebens erleben, prägt unsere Psyche entscheidend. Aber auch unser Weltbild und im weitesten Sinne unsere Religion prägen unser Denken und Handeln. Hier sehen wir, wie unser Tod in Form von Todesangst bereits heute einen Schatten auf unser Leben wirft.
Neben der Lebenskraft ist es der Schatten des Todes, welcher unser Leben bestimmt. Dass wir Menschen sterben müssen und das schon heute wissen, zeichnet den Menschen aus und unterscheidet ihn von den Tieren. Die Religionen sind die Antwort des Menschen auf seine Sterblichkeit.
Damit komme ich nun auch endlich zum Kern meines Posts über die Abgründe des Menschlichen. Ich bin überzeugt, dass es nicht nur normaler Sadismus ist, welcher die Menschen zum Bösen führt. Adolf Hitler z.B. hatte eine schwere Kindheit. Er wurde von seinem Vater, der Alkoholiker war, regelmässig brutal verprügelt. Anderseits liebte ihn seine Mutter abgöttisch. Hatte sie doch vor Adolf bereits zwei oder drei Kinder verloren. Neben der Gewalt, die klein Adolf von seinem Vater widerfuhr, war der Verlust seiner geliebten Mutter in noch jungen Jahren, wohl ein einschneidendes und prägendes Erlebnis in seinem Leben. Gemäss Aussage des Hausarztes verkraftete Hitler die Mitteilung, dass seine Mutter bald an Brustkrebs sterben wird, nur sehr schwer. Bereits 1943 hat die Vorgängerorganisation des CIAs versucht ein Polit-Profil von Hitler zu erstellen. Im Zentrum der damaligen Analyse stand der Ödipuskomplex, soweit ich es verstanden habe (vgl. The Nizkor Project).
Interessant wäre es, die weitere Entwicklung des Führers von Nazi-Deutschland zu verfolgen. Ich glaube, dass neben psychologischen Faktoren auch die religiöse Dimension eine zentrale Rolle gespielt hat. Hitler ist in ein katholisches Umfeld in Oberösterreich hineingeboren worden. Nach dem durchlebten Grauen des 1. Weltkriegs begann sich sein politisches Weltbild im München Ende der 1910er, Anfang der 1920er Jahre auszubilden und zu radikalisieren. Einerseits war er im stockkatholischen München mit einem Wunderglauben konfrontiert, welcher verkündete, dass Gott auch weiterhin zu den Menschen spricht. So wurde z.B. die schöne Basilika Vierzehnheiligen im fränkischen Staffelstein zum Gedenken an die wundersame Erscheinung des Jesuskinds erbaut. 1445 ist - der Legende nach - das Jesuskind dreimal dem Schäfer Leicht erschienen. Die Leute glaubten wohl an die Erscheinung des Schäfers Leicht, weil es sich so leichter glauben lässt. Aus der gleichen Zeit stammen die eindrücklichen Bilder des Nürnberger Malers Albrecht Dürrer. Dürrer lebte ebenfalls in der Zeit um 1500. Auf dem letzten Bild seines Zyklus zur Apokalypse zeigt Dürrer wie der Erzengel Michael den Teufel für 1000 Jahre fesselt. Wie die weitere Entwicklung gezeigt hat, konnte Hitler in diesem mittelalterlichen, kindlichen katholischen Wunderglauben aber keinen Halt mehr finden. Mir scheint es aber, dass sich bei Hitler Bilder der biblischen Apokalypse festgesetzt haben.
Als nächstes wollen wir uns auf die Nazi-Ideologie im Allgemeinen konzentrieren und versuchen ihren Gehalt vor einem religiösen Spiegel besser zu verstehen. Mit dem Aufstieg der Nazis ist die alte deutsche Kultur implodiert! Nicht nur der katholische Glaube, auch der deutsche Protestantismus ist genau so kläglich gescheitert. Was nun kommen sollte, ist der radikalste Bruch mit der Moderne, welche das Abendland je erlebt hatte. Angesichts der Ideologie, welche die Nazis ausbildeten und der ungeheuren zivilisatorischen Katastrophe, welche sie auslösten, muss hier der eigentliche Beginn der Postmoderne gesehen werden.
Die Post-Moderne ist das, was nach der Moderne kommt. Die Postmoderne ist eigentlich ein Begriff aus der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften, welcher gemeinhin auf Beginn der 1980er Jahre datiert wird. Die alten, tragenden Säulen der modernen Zivilisation, die Geschichte der Vernunft in der Philosophie und die Emanzipation und Selbstbestimmung des Individuums in der Gesellschaft werden in Frage gestellt. Es kommt zu einer Pluralisierung sowohl in der Epistemologie, wie auch der Lebensstile. Einzelne „Elemente“ können aus dem grösseren Strukturganzen herausgelöst werden und fast beliebig neu kombiniert werden. Diese Intensivierung der Kreativität ist grundsätzlich sehr begrüssenswert. Aber die neuen Verflechtungen sollten friedlichere und lebenswertere Lebenswelten entstehen lassen. Was die Nazis hervorgebracht haben, war indes so ziemlich die maximal vorstellbare Antithese zu dieser Friedensvision. Heidegger, einer der geistigen Väter des Nationalsozialismus, war - nach Nietzsche - der grosse Nihilist Deutschlands. Mit Nietzsche war seine Philosophie vom Tod Gottes geprägt und gegen Kierkegaard gab es keine Möglichkeit mehr aus der Todesangst heraus einen Sprung in den Glauben zu finden. Und anders als der friedliebende Nihilismus Buddhas war seine Botschaft eine der Sinnlosigkeit und der Angst. Nach Heidegger sollte sich einem erst in der Angst die Wahrheit über das eigene Sein zeigen. Heidegger ist der Begründer dessen, was dann später in der postmodernen Theorie Derridas als Dekonstruktion bezeichnet wird. Heidegger hat zur Destruktion der abendländischen Tradition der Metaphysik angesetzt.
Hitler und seine Ideologen haben eine neuheidnische Form des religiösen Glaubens ausgebildet, welche mit Versatzstücken aus der biblischen Apokalypse, alten germanischen Mythen und Elementen hinduistischer Esoterik operierte. So ist die erste Postmoderne entstanden. Die bisher dunkelste und bluttriefenste Form ihrer Art. Es war eine Welt, in der es keinen Sinn mehr gab und nur noch die Angst und das Unheimliche regierten!
Die Nazis haben das alte, christliche Erbe umgedeutet und es in eine neue, aggressive, exklusive Heilslehre umgewandelt. Der grosse Theologe des NT Paulus hat die Weltgeschichte in die Abfolge von drei Reiche eingeteilt. Zuerst das Reich des Naturrechts und der Heiden, dann das Reich des mosaischen Glaubens (das AT), schliesslich das Reich des christlichen Glaubens (das NT). So das biblische Weltbild. Kirchenvater Augustinus hat diese Lehre weiterentwickelt. Er lebte um +400, einer historisch wichtigen Zeitenwende. In dieser Zeit wurde das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich. Zugleich kam das Römische Reich durch germanische Völkerwanderungen unter Druck. Augustinus, ursprünglich Anhänger der dualistischen Religion des Manichäismus, interpretierte die Weltgeschichte als eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen dem Reich Christi und dem Reich des Bösen, an dessen Ende – wie in der Offenbarung des Johannes prophezeit – das Königreich Gottes stehen wird. Eine Rechtfertigung des christlichen Glaubens war notwendig, da sich die Christen mit dem Vorwurf auseinandersetzen mussten, dass ihr Glaube das Römische Reich geschwächt hätte und so die Eroberung und Plünderung der Stadt Rom möglich wurde.
Die Nazis haben in ihrer schwarzen postmodernen Rekombination den christlichen Ausdruck des Dritten Reiches mit seiner ganzen Kraft und hoffnungsvollen Verheissung des Königreich Gottes genommen und für ihre Zwecke umgedeutet. In ihrer neuen Deutung war das Deutsche Kaiserreich, das erste Reich. Die Weimarer Republik nur ein Zwischenreich. Aber mit ihnen – den Nazis - sollte schliesslich das Hoffnung versprechende Dritte Reich anbrechen. In der Offenbarung des Johannes errichtet Christus für 1000 Jahre sein Reich auf Erden, bevor der Teufel für kurze Zeit noch einmal kurz freigelassen werden muss. Nur um ihn dann sicher für immer in die Feuersee zu verbannen. Bei den Nazis ist es nun die NSDAP, welche das 1000-jährige Reich für und mit den Deutschen als existenzielles Sinnprojekt verwirklichen will. An die Stelle des zweiten Kommens Jesu tritt nun Hitler als der deutsche Messias!
[Meine Vermutung ist, dass apokalyptische Bilder auch heute noch eine faszinierende Wirkung auf ein Massenpublikum haben. Im christlich-fundamentalistischen Amerika hat der Mormonen-Bischof Mitt Romney wahrscheinlich mit seiner Kirche der wahren Christen der Letzten Tage einige konservative Gläubige in Bann ziehen können. Nicht nur wegen der endzeitlichen Perspektive, sondern auch weil das Buch Mormon eine postmoderne Rekombination christlicher Element ist, die auf die amerikanischen Verhältnisse und religiösen Träume zugeschnitten ist. Man bekehrt sich zwar als christlicher Fundamentalist nicht zum Mormonentum, fühlt sich aber von seinen Elementen angezogen (vgl. Wikipedia Mormonentum)]. 
Zurück aber zu den Nazis und wie sie apokalyptische Energie im grossen Massstab entfacht haben. Um das dumme Volk vollkommen irre zu machen, haben sie noch esoterische Anleihen aus dem Hinduismus beigefügt. Das Stärkste - die Arier, welche von Norden her nach Indien eingefallen sind, wurde zum Inbegriff des deutschen Herrenmenschen. Das Friedlichste - die Swastika, das Symbol der Jains mit ihrer Ethik des Nicht-Verletzens wurde zum zentralen Symbol des deutschen Terrors – das Hakenkreuz! Damit das einfache Volk auch etwas hatte, mit dem es sich anstelle des ausradierten Christentums identifizieren konnte, liessen die Nazis die alten germanischen Sagen neu aufleben. Das Germanentum als neuer, alternativer Ursprungsmythos. So bekamen die Deutschen ihre postmodern zusammengewürfelte, hoch aggressive, exklusive, apokalyptische Blutreligion!
Warum waren aber die sozialen Umstände in Deutschland der Art, dass eine politische Bewegung, wie die der Nazis, Erfolg haben konnte?
Der 1. Weltkrieg und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise haben das soziale Gefüge in Deutschland aufs extremste zerrüttet. Es gab zwar die Ära der „goldenen Zwanziger“, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der weltweiten Konjunktur. Politisch war die Zeit in Deutschland durch „das Experiment“ der ersten parlamentarischen, demokratischen Republik auf deutschem Boden geprägt – der Weimarer Republik. Es war eine Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Mit dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde dieser Aufbruch aber jäh beendet. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 war - ähnlich wie die derzeitige - die Folge einer spekulativen Blase. Die Banken in den USA und Europa hatten zu viele Kredite vergeben. Die Blüte der „goldenen Zwanziger“ war nicht auf solidem wirtschaftlichem Grund gebaut. Ein Jahr vor der Machtergreifung Hitlers hatten die Arbeitslosenzahlen absolute Rekordwerte erreicht. Von ihrer Sozialisation her waren die deutschen Wähler noch im alten Deutschen Kaiserreich gross geworden. Deswegen muss den Deutschen die Unterordnung unter einen neuen Führer nicht so schwer gefallen sein. In so turbulenten Zeiten muss es auch etwas Beruhigendes gehabt haben, wenn man sich einfach in die Hierarchie einordnen konnte. Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist und man sie nicht mehr versteht, dann kann das Sich-Einordnen auch daseinsberuhigend wirken. Damit das Sich-Einordnen auch wirklich gut gelang, wurden alle Medien gleichgeschaltet und zentralisiert. Von der Nazi-Ideologie abweichende Meinungen wurden nicht toleriert und zum Verstummen gebracht. Es galt: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ Wer sich dazu bekennen konnte, fand Antwort auf seine Sehnsucht nach Zugehörigkeit.
In der sozialen Krise Anfang der 1930er Jahre war das soziale Band zwischen den Menschen zerstäubt. Die Individuen waren atomisiert. Die Gesellschaft war pulverisiert. Mit dem Staub der Individuen bildet man den Beton der totalitären Staaten. Die Deutschen erlebten härtesten Sozialdarwinismus. Da war Hitler - als neuer Messias - die Antwort auf ihre existenziellen Nöte. Er versprach den Deutschen, sie aus diesem Jammertal wieder herauszuführen. Mit seiner Aufrüstungspolitik hat Hitler es geschafft Deutschland wieder kriegsfähig zu machen. Zugleich war es gelungene keynesianische Wirtschaftspolitik. Die Deutschen fanden wieder zu Arbeit und Brot und auch schöne neue Autobahnen entstanden.
Den Preis, den sie dafür aber zu zahlen hatten, war jegliche zivilisatorische Hemmungen aufzugeben. Die Nazis waren eine blutrünstige Wolfsmeute. Die Schwächsten der Gesellschaft (Geisteskranke, Sinti und Roma und die Homosexuellen) wurden im Holocaust eliminiert. Ebenso die Juden. Die Motivation für den Terror war wohl eine doppelte: Einerseits mussten die Nazis eine Gruppe von Menschen ausgrenzen und terrorisieren, um allen anderen Deutschen klar zu machen, was mit ihnen passieren wird, wenn sie nicht bereit sind, sich in die faschistische Terror-Pyramide einzufügen. Anderseits hatten sie mit der Enteignung der reichen Juden etwas zu verteilen. Wer also bei den Nazis mitmachte, konnte etwas gewinnen. Nach der harten Zeit der Weltwirtschaftskrise bot Hitler den Volksdeutschen neue Perspektiven.
Dem Rassenwahn der Nazis lagen wahrscheinlich ebenfalls zwei Motive zugrunde. Einerseits hatte man für den Terror ein Inklusionskriterium um die In-Group der Volksdeutschen, welche zum Stand der Herrenmenschen und Arier erhoben wurden, von den Paria, den auszusondernden, zu terrorisierenden und auszulöschenden Untermenschen zu unterscheiden. Das zweite Motiv des Rassenwahns war dagegen darwinistisch inspiriert. Durch Zuchtwahl sollten stärkere und schönere Individuen herangezüchtet werden. Die deutsche „Rasse“ sollte „veredelt“ werden. Dabei wurde die nordische Rasse zum Ideal. Wahrscheinlich zur Abgrenzung gegen die Franzosen und Osteuropäer. [Warum aber der Führer selbst kein solcher blauäugiger, blonder Supergermane war, ist mir nicht ganz klar?] Blond und blauäugig waren wahrscheinlich einfach Gene, die weit in der Bevölkerung verbreitet waren. Es galt also um einen Idealtypus herum eine In- und eine Out-Group zu definieren. Im damaligen Zeitalter der Massenproduktion muss die Massenpsychologie noch gut gewirkt haben, so dass alle gleich aussehen wollten.
Nach Errichtung der Diktatur und der Installation der „scharfen Klingen“ nach unten, was die Unterdrückung und Aussonderung der Untermenschen anbelangte, richteten die Nazis ihre geballte Aggression nach aussen. Im totalen Krieg sollte für die Deutschen neuer Lebensraum gewonnen werden. Die deutsche Kriegsmaschinerie eroberte fast ganz Kontinentaleuropa. Auf der Höhe seiner Macht begann Hitler von der Weltherrschaft zu träumen. Mit vereinten alliierten Kräften konnte der deutsche Teufel schliesslich aber doch besiegt werden!
In zwei Weltkriegen hat sich Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts selbst zerfleischt. Damit hat das Abendland seine kulturelle, wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in der Welt verloren. Die Neue Welt, die USA haben die Rolle der globalen Führungsmacht übernommen. Aber aus dem Nachkriegseuropa ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine friedlichere Staatenordnung hervorgegangen. Anstelle von Krieg (also alles für uns, nichts für euch), ist die friedlichere Logik der Wirtschaft getreten (also die Logik, dass beide Seiten bei einem Handel gewinnen sollten.) Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt, in dem Wohlstand durch einen grossen, gemeinsamen Markt erwirtschaftet werden soll. Die EU-Kohäsionspolitik ist dabei Ausdruck europäischer Solidarität und soll wirtschaftlich zurückgebliebenen Regionen bei ihrer Entwicklung helfen. Dank der EU und ihrem Europarecht kommt es zu einer zunehmenden Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Aus ehemaligen Kriegsgegnern wurden Verbündete. Konflikte werden heute entlang gemeinsam bestimmter und anerkannter Regeln gelöst - der EU-Vertrag von Lissabon von 2009. Die „Gegner“ sind bereit sich gegenseitig anzuerkennen und versuchen durch Dialog zur Zusammenarbeit zu finden. Das Projekt Europa ist von der Hoffnung getragen, dass die Menschen Europas durch zunehmende Begegnung, durch Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Ideen lernen aus ihren engen Nationalismen herauszufinden. Ein Friedensprojekt mit hoffentlich globaler Ausstrahlung, so dass die Nazis zu einer "Lernkatastrophe" der Geschichte verkommen können.

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The darkness of the fallen angel or the brightness of the rising ape?

Rise Buddha!
          
Unheilig - Geboren um zu leben