Mittwoch, 26. Januar 2011

Gewalt und Liebe

Friede auf Erden? - Der jugendliche Schläger kennt kein Mitleid mit seinem Opfer: „Ich mach so lange weiter, bis meine Freunde mich zurückzerren. Mitleid? Nö, wieso?“ In der Sprache der Gewalt ist das Wort „Mitleid“ nicht enthalten, auch wenn das Opfer schon längst am Boden liegt. Denn wer sich dem Rausch der Gewalt hingibt, wie etwa jugendliche Banden, sucht den Kick, will dem langweiligen Alltag entfliehen, will Frust abladen. Mitleid ist ein Gefühl, das dabei stören könnte. Und fremd ist. Vielleicht haben jugendliche Schläger Mitleid auch nie selbst kennen gelernt.
Denn Gewalt ist ein Teufelskreislauf, der immer neue Gewaltausbrüche hervorbringt. Dieser Kreislauf erlahmt nie, verliert nie seine Energie. Er kann nur unterbrochen werden. Nein, nicht mit Gegengewalt. „Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen“, heißt es in der Bibel (Matthäus 26,52). Denn Gewalt steckt an wie eine bösartige Krankheit. Gewalt kann durch Gegengewalt zwar begrenzt, aber niemals unterbrochen werden. Wer das will, muss den dazugehörigen Sumpf aus Hoffnungslosigkeit, Trost- und Lieblosigkeit trockenlegen. Der Apostel Paulus zählt in seinem Hohelied der Liebe drei Mittel auf, die die Seele nähren und sie gegen Gewalt immunisieren: „Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die stärkste unter ihnen.“ (1. Korinther 13,13) Wie aber sollen wir uns das konkret vorstellen?
Ein Kind kommt zur Welt, und wir erleben das Wunder des Neuanfangs. Darin liegt die Stärke der Liebe. Und ihre Schwäche zugleich, denn neugeborenes Leben ist auf Hilfe und Mitleid angewiesen. Gott antwortet auf Unrecht und Gewalt mit jedem Schrei eines Neugeborenen. In einem von ihnen hat er der Welt sein eigenes Gesicht gezeigt. Es ist ein Gesicht voller Liebe und Mitleid oder, wie die Bibel es ausdrückt: Erbarmen. Über Täter und Opfer zugleich. Nicht, um alles und jeden über einen Kamm zu scheren. Sondern um jedem, dem Täter wie dem Opfer, die Möglichkeit eines neuen Anfangs zu schenken und der Spirale der Gewalt in den Arm zu fallen.
aus: Wort zum Sonntag, vom 11. Dezember 2010, Deutsche Welle Radio, Von Pfarrerin Marianne Ludwig aus Berlin


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Wer sich für die Präsenz der Evangelischen Kirche in Deutschland in den elektronischen Medien interessiert, hier der Link zum Medienportal der Evangelischen Kirche mit der Mediathek von rundfunk.evangelisch.de.
Im Falle der Schweiz verweise ich lieber auf die Website von SR DRS zum Thema Religion. Besonders hervorzuheben ist hier die Sendung "Perspektiven". Und beim Schweizer Fernsehen sind die Sternstunden Religion und v.a. Philosophie die Highlights. Aber auch die "Bilder zum Feiertag" sind sehenswert. Z.B. als Alternative zum Christlichen "Wort zum Sonntag".
Beim ORF mag ich v.a. die Sendungen in der Reihe "Kreuz und Quer" und "Religionen der Welt".

Sonntag, 23. Januar 2011

Gedankensplitter

Die Angst vor dem Tod, ist die einzige Angst, die nicht therapierbar ist. Weil wir Menschen keine Gelegenheit haben, uns daran zu gewöhnen.

Die Kinder jeder Generation wollen Helden werden. Aber jede Generation hat ihre eigene Vision davon, was ein Held ist.

Man muss die Welt nicht verstehen. Man muss sich nur darin zurechtfinden. Albert Einstein

Die erste Tötungshemmung besteht in der Erkenntnis, dass der Andere ist, wie ich selbst bin.

Die Konstruktion einer Gesellschaft lehrt Jugendliche Normen. Indem sie sehen, nach welchen Normen gehandelt wird. Ob sie dem Leben vertrauen können, dass lernen sie nicht zuerst aus Lehren und Büchern. Sie lernen es vielmehr daraus, wie die Welt für sie eingerichtet ist.

Das soziale Lernen ist die Essenz der Gewaltprävention. Heute findet es mehr in der Schule statt als in der Grossfamilie. Auch "Kriegsträume" sollten zugelassen werden. Das Aggressions- und Gewaltpotential sollte aber in der Form von fairen Spielen ausgelebt werden. Schliesslich kann die Aggression und ihr Energiepotential auch zum Guten gewendet werden. Helden sind Krieger, die sich respektvoll und mitfühlend für das Gute verausgaben.

Sehr guter Radiobeitrag im DLF über Neo-Nazis: 'Auch "Schmuddelkinder" haben Träume', von Fulbert Steffensky, Am Sonntagmorgen, 23.1.11

Eine Regierung sollte so beschaffen sein, dass kein Bürger einen anderen zu fürchten braucht. Montesquieu
Und wenn nicht, gilt dann, dass Revolutionäre - Freiheitskämpfer, die höchste Stufe der menschlichen Art sind?

Politik, die Kunst des Möglichen.


Donnerstag, 20. Januar 2011

Che

"Liebe Mama

Ich weiss, dass ich dieser armen Frau nicht im Geringsten helfen konnte. Noch ein Monat zuvor hat sie als Kellnerin Tablets geschleppt. Schwer keuchend, genau so wie ich. Und hat versucht ihr Leben mit Würde zu leben. Ich habe in ihren sterbenden Augen die demütige Bitte um Vergebung gesehen. Und das verzweifelte Flehen nach Trost. Das sich ungehört in der Leere verliert. So wie sich ihr Körper verlieren wird, in der Unendlichkeit des Geheimnisses, das uns umgibt."

Aus dem Film: "Die Reise des jungen Che".

Eine narzistisch gestörte Persönlichkeit: Josef Goebbels

"Sein Urteil über den kleinen Mann mit dem «neurogenen Klumpfuss», der Folge einer kindlichen Stoffwechselstörung, ist daher vermutlich noch schneidender und auch tiefergehend, als die Bewertung ohne psychoanalytische Expertise sowieso schon ausgefallen wäre.
Longerich (der Biograf) nennt Goebbels einen «exemplarischen Fall von Selbstüberschätzung» und bescheinigt ihm die Erfüllung «aller wesentlichen Kriterien», die nach dem «heutigen Stand der Psychoanalyse eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit charakterisieren»: die nie nachlassende Sucht nach Anerkennung, der Drang nach Grösse und Einmaligkeit, das unschöne Dreigestirn aus Arroganz, Hochmut und Mangel an Empathie, die grössenwahnsinnigen Phantasien über die eigene Rolle sowie die Bereitschaft, sich einem anderen, als «grösser» Erkannten bedingungslos unterzuordnen; und schliesslich Schübe tiefer Depression immer dann, wie sich den Tagebüchern entnehmen lässt, wenn die erwarteten Erfolge sich nicht einstellten.
«Ohne Zweifel», konstatiert Longerich, «war die narzisstische Sucht nach Anerkennung der wesentliche Antrieb für Goebbels' Karriere.» Seinem Idol Adolf Hitler, der nicht müde wurde, ihn zu loben (und damit, sicherlich bewusst, half seine zutiefst unsichere Persönlichkeit zu stabilisieren), hat Goebbels sich ab 1924 bedingungslos unterworfen; und er hat sein ganzes Leben auf ihn ausgerichtet. Longerich schreibt, Goebbels' Lebensziel sei es gewesen, zu beweisen, dass er das deutsche Volk hinter seinem Abgott Hitler (dem «Chef», wie Goebbels häufig schrieb) vereinen könne. Die Tagebücher sollten dabei vor allem eines: Goebbels Erfolge festhalten – weswegen ihr Autor vor Verzerrungen und Erfindungen auch nicht zurückschreckte."
aus: Eine narzistisch gestörte Persönlichkeit. Peter Longerichs psychoanalytisch aufgeklärte Goebbels-Biografie, von Cord Aschenbrenner, NZZ Online, 19.1.11.

Dienstag, 18. Januar 2011

Evolutionary Tension

Evolutionary tension is a heightened intensity that awakens your soul, and compels you to sit up straight, focus, and pay attention. It is an upward pull, a profound sense of urgency to bring into manifestation that which has not yet occurred. It is the relentless demand to become more, to reach for new and ever-higher levels of moral, philosophical, and spiritual maturity. This positive tension creates a potent and spiritually charged context for human relationship because it is infused with the living presence of the possible.
Andrew Cohen

Montag, 17. Januar 2011

Alte und neue Mythen

Als religiös Liberale, wissen wir, dass Mythen, egal wie weit hergeholt, auf einen Kern religiöser Wahrheit verweisen. Als religiös Liberale, nehmen wir uns aber auch die Freiheit neue Mythen und religiöse Feste zu kreieren und zu feiern. Pfarrerin Meg Riley schlägt als Ergänzung oder Ersatz von Weihnachten "halkyonische Tage" vor. Damit sind friedliche, ruhige und glückliche Tage gemeint (vgl. From Your Minister im Dezember Heft von Quest).
Diese "halkyonischen Tage" gehen auf eine griechische Saga zurück. In der griechischen Mythologie ist Halcyon die Tochter von Aeolus, dem Wächter der Winde. Sie heiratete Ceyx. Beide waren sehr glücklich zusammen. Und als Spass haben sie sich in ihrem Glück Zeus und Hera genannt. Zeus hat das aber gar nicht gefallen. Also hat er Ceyx, als dieser auf See war, mit einem Blitz getroffen und ihn so ertränkt. Aus Kummer hat sich auch Halcyon ins Meer geworfen. Aber ein gnädiger Gott hat die beiden stattdessen in einen Halcyon-Vogel (oder Eisvogel) verwandelt. In ihrer neuen Form als Vogel hat Halcyon angefangen ein Nest zu bauen und darin ihre Eier zu legen. Und wenn hohe Wellen drohten ihr Nest am Strand zu zerstören, hat ihr Vater Aeolus die Winde für 14 Tage beruhigt. Sieben Tage vor der Sonnenwende und sieben Tage danach. So konnte sie in Ruhe ihre Eier ausbrüten. An diese Ruhe sollen die "halkyonischen Tage" erinnern. Eine Ruhe und Gelassenheit zwischen Stürmen. Und eine gelungene Variante von "zweiter Naivität". Neue, inspirierende Mythen und Feste dürfen erfunden und gefeiert werden. In die gleiche Richtung gehen die "Rituale", die in der Predigerkirche in Zürich gefeiert werden. Es wird dort versucht mit dem Rhythmus der Jahreszeiten zu gehen und an alte, naturverbundene Gottheiten und Feste anzuknüpfen.

Samstag, 15. Januar 2011

Rache & Vergebung

Ein Trauma beginnt mit Gewalterfahrungen, die mit Angst, Hilflosigkeit und Horror verbunden sind. Aber auch Rachegefühle entstehen so.
Rache nach Aristoteles: Rache resultiert aus einer gravierenden, ungerechtfertigten Kränkung, welche Ärger und den Impuls, sich zu rächen auslöst, dessen Ausagieren zu einer inneren Befriedigung führt. Wichtig ist die Wiederherstellung von Gerechtigkeit, Sicherheit, Selbstwert, Bestrafung des Täters, und schliessich der Schutz zukünftiger Opfer. Das Hauptproblem ist, dass Rachegefühle mit aggressiven und destruktiven Tendenzen verknüpft sind. Ärger hingegen kann viele verschiedene Ausdrucksformen haben und auch in konstruktivem Verhalten enden. Für die Bewältigung von Rachegefühlen und zur Entstehung von Vergebung sind schliesslich pro-soziale Einstellungen gegenüber dem Täter notwendig. Nihilisten stellen aber gleich die Frage, ob Vergebung wirklich ein Zeichen moralischer Tugend ist oder nicht vielmehr als ein Zeichen der Schwäche zu verstehen ist?
In dieser Sicht wird vergessen, dass ohne das Eingestehen der Schuld auch nicht vergeben werden kann. Deutliche Demutsbezeugungen des um Vergebung bittenden Täters sind oft notwendig. Dies ist nicht leicht, und häufig versuchen Täter auch einfach nur ein stilles Verzeihen zu erzwingen. Dies ist aber nicht der Weg der Vergebung. Versöhnung braucht eine Begegnung mit dem Ex-Widersacher. Die Beziehung muss von Grund auf erneuert werden. Aber das Böse wird nicht einfach vergessen. Denn nur zu verdrängen bedeutet eine grosse psychische Last. Nicht das Vergessen, sondern das Gedenken ist der wichtigste Schritt zu einer Aussöhnung! So kann man der menschlichen Sehnsucht nach Harmonie ein Schritt näher kommen.
Im Alten Testament, im Buch Jesaja, wird eine uralte Friedensvision entfaltet: "Und der Wolf  wird beim Lamm weilen, und die Raubkatze wird beim Zicklein liegen. Und Kalb, junger Löwe und Mastvieh sind beieinander, und ein junger Knabe leitet sie." (11, 6). Die Bibel findet sich nicht damit ab, dass Kampf und Feindschaft das letzte Wort haben. Sie ist getragen von einer utopischen Friedensvision.
(DLF, Am Sonntagmorgen, 'Vergeben, nicht vergessen', 16.1.11)

Mittwoch, 12. Januar 2011

Entwicklungsökonomie - des Teufels?

"Die Chicago Boys standen während ihrer Tätigkeit für Pinochet mit Angehörigen der Chicagoer Schule in engem Austausch. So statteten neben Milton Friedman auch Friedrich August von Hayek und Arnold Harberger Besuche ab, die in der chilenischen Presse und international starke Resonanz fanden. Hayek wurde Ehrenpräsident des Centro de Estudios Públicos, und Friedman trat mit einer Vorlesung im staatlich kontrollierten Fernsehen auf. 1981 fand ein regionales Treffen der Mont Pelerin Society in Viña del Mar statt. Hayek rechtfertigte bei dieser Gelegenheit in einem umstrittenen Interview mit dem El Mercurio die Etablierung einer Diktatur, wenn diese vorübergehend zur Durchsetzung wirtschaftlicher Freiheit als Grundlage des Liberalismus nötig sei. Gerechtfertigt sei unter Umständen auch das Opfer individuellen Lebens, um das Überleben der Mehrheit zu sichern. „Die einzig gültigen moralischen Maßstäbe für die ‚Kalkulation des Lebens‘ können […] nur das Privateigentum und der Vertrag sein.“,
aus: "Chicago Boys", Wikipedia.

Wenn wir uns die Entwicklung der Menschheit anschauen, dann ist diese reich an brutalen Kämpfen und gewaltsamem Tod. Für einen Anhänger der "Freiheit für Alle" ist aber natürlich so etwas, wie das obige Zitat, dass man bereit ist für den Wohlstand von ein paaren, das Leben von einigen zu opfern, mehr als nur blanker Zynismus. Es ist eine Form von Satanismus! Man ist bereit Menschenleben zu opfern im Namen von mehr Luxus für die Reichen und Regierenden, in diesem Fall im Chile unter der Diktatur von Pinochet. Chile ist heute demokratisch geworden und die Wirtschaft hat nicht darunter gelitten!
Die Frage, ob Diktaturen sich im Namen der Entwicklung rechtfertigen lassen, ist eine alte. Wenn wir weise, aufgeklärte und wohlwollende Regenten haben, kann eine Entwicklungsdiktatur eine Wohltat sein. Ist man so doch nicht immer von den Launen des Pöbels abhängig. Ein noch zu unterentwickeltes Land kann einfach noch nicht über eine genügend grosse Bildung der breiten Masse verfügen, so dass die Demokratie noch nicht richtig funktionieren kann. Dabei werden wohlwollende Entwicklungsdiktaturen es aber sicher nicht so weit kommen lassen, dass Menschen geopfert werden. Ein anderes ist es mit rechtsgerichteten Diktaturen. In ihnen regiert ein grausamer Diktator, der seine Machtbefugnis nicht im Namen der Entwicklung des Volkes legitimieren kann, sondern der sich mit grausamer Gewalt an seiner Macht hält. Es ist kaum wahrscheinlich, dass eine solche Diktatur nachhaltig zum Wohl und der Entwicklung der Bevölkerung beiträgt. Sind dem Diktator doch die Privilegien für sich und seine Entourage alleine wichtig. Hier ist keine versteckte "unsichtbare Hand" mehr am Werk, die alles zum Besseren wendet.
Das Konzept der "unsichtbaren Hand" stammt von Adam Smith, dem Vater der modernen Ökonomie. Darin ist das Wirken des Marktes gesehen, der längerfristig alles zum Besten wenden soll. Im Zentrum der Ökonomie von Smith stand die Einsicht, dass der Bäcker am Morgen in der Früh seine Brötchen nicht aus Menschenliebe bäckt, sondern weil er damit Geld verdienen kann. Dies soll auch so sein. Aber bei Smith war die Ökonomie in eine Moral allgemeinen Wohlwollens eingebettet. Damit ist seine "Theories of Moral Sentiments" gemeint. Diese ist getragen von universeller Sympathie, dem Vermögen sich in die Lage eines anderen zu versetzen - Mitgefühl! Der Markt ist dabei nicht die höchste Ordnung, vielmehr ist er Teil der von Gott geschaffenen Weltordnung. Hier haben wir wohl einen entscheidenden Unterschied im Vergleich mit der Ansicht Hayeks, dass alleine "der Vertrag und das Eigentum" heilig sind! Die Smithsche Moral ist hingegen getragen von drei Instanzen: der Billigung und Missbilligung durch die Mitmenschen, dem Gewissen als unparteiischem Beobachter und schliesslich, das Gericht Gottes als höchste und letzte Appellationsinstanz. So viel zum philosophischen Hintergrund des Problems sozialer Ordnung.
Um auf das Problem von Demokratie oder Diktatur im Zusammenhang mit Entwicklung zurückzukommen, muss angführt werden, dass es sehr wohl Demokratie in noch wenig entwickelten Ländern geben kann. Indien ist das Beispiel Nummer eins. Es ist ein Land, dass eine Regierung hat, die sich vor einer Milliarde Menschen verantworten muss. Einer der positiven Effekte dieser Kontrolle ist, dass es in Indien, seit es eine Demokratie geworden ist, kaum mehr Hungersnöte gegeben hat. In anderen, diktatorischen Ländern der 3. Welt sieht das anders aus. Schliesslich sei auch noch das Beispiel der Schweiz angeführt. Ein Land, dass nicht nur eine indirekte Demokratie hat, sondern schon das ganze 20. Jahrhundert hindurch eine direkte Demokratie hatte. In diesem Jahrhundert hat die Schweiz es geschaft - mit direkter Demokratie - zu einem der reichsten Länder der Welt zu werden. Gerechtigkeit und Menschenwürde sind keine Luxusgüter und Entwicklungshindernisse, wie es die rechts gerichteten Ideologen à la Hayek meinen. Wie kann man sich ihre Menschenverachtung erklären? Extremer Elitarismus und die Bereitschaft mit allen Kräften zusammenzuarbeiten, sofern es nur ihrer eigenen Profilierung und ihrem Wohlergehen nützt, sind wohl der Schlüssel zum Verständnis.
Die Pfade des Guten können manchmal verschlungen sein, aber längerfristig setzt sich das Gute doch durch. Dies zeigt auch ein Blick zurück ins 20. Jahrhundert. Die beiden grössten und gefährlichsten Diktaturen - das nationalsozialistische Deutschland und die kommunistische Sowjetunion - sind im Strudel der Geschichte kläglich untergegangen. Freiheit, Menschenrechte und Demokratie sind die Sieger der Geschichte! Es ist noch nicht gut, aber es wird besser. In diesem Strom fliesst das Göttliche wohl am stärksten!
Wen diese Zusammenhänge genauer interessieren, der sei auf meine Dissertation verwiesen. Darin wird dargelegt, wie in der Evolution die Moral entstand und wie sich gerechtere soziale Ordnungen im globalen Wettbewerb durchsetzen. Es steckt ein rafinierter Mechanismus dahinter, der dafür sorgt, dass erfolgreiche Kooperation in Konkurrenzsituationen sich längerfristig durchsetzt, dank grösserem Vertrauen, besserer Motivation und einem grösseren Engagement fürs Gute! In meinem Buch "A Reformed European Model - Social Capital as Competitive Advantage" wird dafür auch empirische Evidenz angeführt.

Montag, 10. Januar 2011

Religiöser Pluralismus - Die christliche Sicht

Für die Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) von 2006 in Porto Alegre entstand ein interessantes Diskussionspapier mit dem Titel "Religiöse Pluralität und christliches Selbstverständnis" auf das wir im Folgenden eingehen wollen.

Die religiöse Pluralität ist zunächst einmal eine Tatsache im beginnenden 21. Jahrhundert. Und die drängenden Probleme der Welt verlangen, dass wir uns mit ihnen über religiöse Grenzen hinweg auseinandersetzen. Weiter sollte das gegenseitige Verständnis und das friedliche Zusammenleben der Religionen gestärkt werden. Religiöse Pluralität ist eine grosse Herausforderung. Leider kommt es häufig auch vor, dass der interreligiöse Dialog von Christen als Instrument der Missionierung und Bekehrung missbraucht wird. Bekehrung und Religionsfreiheit stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis zueinander.

"Viele Christen suchen nach Wegen, wie sie ihren eigenen Glauben verbindlich leben und doch offen gegenüber anderen sein können. Einige praktizieren spirituelle Disziplinen anderer religiöser Traditionen, um ihren christlichen Glauben und ihr Gebetsleben zu vertiefen. Wieder andere finden in anderen religösen Traditionen eine zusätzliche geistliche Heimat und sprechen von der Möglichkeit einer "doppelten" Zugehörigkeit. [...] Das Geheimnis der Beziehung Gottes zu allen Menschen und die vielfältigen Antworten, die die Völker der Welt auf dieses Geheimnis gegeben haben, laden uns daher ein, uns intensiver mit der Wirklichkeit anderer religiöser Traditionen und unserer eigenen Identität als Christen in einer religiös pluralistischen Welt zu befassen. [...] Hat Gott sich in anderen Religionen und Kulturen offenbart? Steht die christliche Offenbarung in "Kontinuität" mit dem religiösen Leben anderer oder handelt es sich um eine "Diskontinuität", die uns eine völlig neue Dimension des "Wissens von Gott" eröffnet? [...] Einerseits erheben religiöse Traditionen den Anspruch, universale Wahrheiten zu verkünden. Anderseits bedeutet dies, dass der Wahrheitsanspruch der einen Religion mit dem anderer Religionen kollidieren kann. [...] Was bedeutet es für die interreligiösen Beziehungen, wenn die Mission sich auf den Aufbau heilender und versöhnender Gemeinschaften konzentriert? [...] Wo liegen die Grenzen der Vielfalt? Gibt es zuverlässige Zeichen des Heils ausserhalb der Kirche? Welchen Beitrag leisten Erkenntnisse anderer Traditionen zu unserem Verständnis vom Menschsein? [...] [Ausgangspunkt für den ÖRK ist:] "Wir kennen keinen anderen Weg zum Heil als Jesus Christus; zugleich aber können wir dem Heilswirken Gottes keine Grenzen setzen." [...] "Diese Überzeugung, dass Gott als der Schöpfer aller Dinge in der Pluralität der Religionen gegenwärtig und aktiv ist, macht es für uns unvorstellbar, dass Gottes Heilshandeln auf irgendeinen Kontinent, Kulturkreis oder Gruppe von Menschen begrenzt werden könnte. Die Weigerung, die vielen und verschiedenartigen religiösen Zeugnisse ernst zu nehmen, die unter den Nationen und Völkern der ganzen Welt gefunden werden, läuft darauf hinaus, das biblische Zeugnis von Gott als dem Schöpfer aller Dinge und dem Vater des Menschengeschlechts zu verleugnen." [...] Wie sollte eine Theologie der Religionen heute aussehen? [...]


Auf dem Weg zu einer Theologie der Religionen

Für den Einstieg in unsere Diskussion und als hermeneutischer Schlüssel [sei] das Thema der "Gastfreundschaft" gewählt. [...]  Die "Gastfreundschaft" eines gnädigen Gottes [...] gebietet uns vielmehr, sogar unsere Feinde zu lieben und Gottes Segen für sie zu erbitten. [...] Wir glauben, dass dieses umfassende Wirken des Heiligen Geistes auch im Leben und in den Traditionen von Völkern anderer Religionen gegenwärtig ist. Die Menschen haben zu allen Zeiten und an allen Orten auf die Gegenwart und das Wirken Gottes unter ihnen eine Antwort gegeben und Zeugnis von ihren Begegnungen mit dem lebendigen Gott abgelegt. [...] Wir sehen die Pluralität religiöser Traditionen sowohl als Ergebnis der mannigfaltigen Wege, in denen Gott sich Völkern und Nationen mitgeteilt hat, als auch als eine Manifestation des Reichtums und der Vielfalt der Antwort des Menschen auf Gottes Gnadengaben. [...] Wir müssen versuchen, "die Weisheit, Liebe und Kraft, die Gott den Menschen anderer Religionen gegeben hat", in neuer und tieferer Weise zu verstehen und "offen für die Möglichkeit (zu sein), dass der Gott, den wir in Jesus Christus kennen, uns auch im Leben unserer Nächsten anderen Glaubens begegnen kann." Wir glauben auch, dass [..] [wir] durch die Bereitschaft, von unseren Nachbarn anderer Religionen zu lernen, zu neuen und unerwarteten Einsichten in das göttliche Geheimnis gelangen. [...] Unserer Bereitschaft, andere in ihrem "Anderssein" zu akzeptieren, ist das Markenzeichen wahrer Gastfreundschaft. Durch unsere Offenheit gegenüber dem "Anderen" können wir Gott in neuer Weise begegnen. Gastfreundschaft beinhaltet damit sowohl die Erfüllung des Gebots, "unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst", als auch die Möglichkeit, Gott neu zu entdecken. [...]


Die Kraft der gegenseitigen Verwandlung

Die Christen haben es nicht nur gelernt, mit Menschen anderer religiöser Traditionen zusammenzuleben, sondern sind durch diese Begegnungen auch verwandelt worden. Wir haben in uns zuvor unbekannte Aspekte der Gegenwart Gottes in der Welt entdeckt und Elemente unserer eingenen christlichen Traditionen wiedergefunden, die wir bis dahin vernachlässigt hatten. [...] [Dies] setzt sowohl voraus, dass wir dem "Anderen" Zeugnis von Gott in Christus geben, als auch, dass wir offen dafür sind, dass Gott durch den "Anderen" zu uns sprechen kann. Wenn Mission in diesem Sinne verstanden wird, so bietet sie keinen Raum für Triumpfalismus, sondern trägt dazu bei, die Ursachen religiöser Konflikte zu beseitigen und der häufig damit einhergehenden Gewalt ein Ende zu setzten. Gastfreundschaft setzt voraus, dass Christen andere als "zum Bilde Gottes geschaffen" annehmen, im Bewusstsein, dass Gott durch andere zu uns sprechen und uns verwandeln kann, genau wie Gott uns benutzen kann, um andere zu verwandeln. Die biblische Geschichte und unsere ökumensichen Erfahrungen machen deutlich, dass solch gegenseitige Verwandlung im Mittelpunkt jedes authentischen christlichen Zeugnisses steht. Offenheit für den "Anderen" kann den "Anderen" verwandeln, genau wie sie auch uns verwandeln kann. [...] Die religiösen Traditionen der Menschheit stellen in ihrer grossen Vielfalt "Wege" [...] dar, die die Wahrheit unserer Existenz zu ergründen versuchen und menschliche Erfüllung anstreben. [...] Eine Haltung der Gastfreundschaft, die den "Anderen" in seinem Anderssein annimmt, gehört zum Wesenskern des christlichen Glaubens. Es ist dieser Geist, der die Theologie der Religionen in einer Welt inspirieren muss, die der Heilung und Versöhnung bedarf. Und es ist dieser Geist, der uns auch zur Solidarität mit allen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind, bewegen kann. Wir müssen anerkennen, dass dem Menschen und seinen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten Grenzen gesetzt sind, die es ihm unmöglich machen, das Geheimnis des Heils, das Gott der Menscheit geschenkt hat, vollständig zu ergründen.

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Wer gerne verschiedene Religionen und Konfessionen nebeneinander vergleichen möchte, dem sei die "Side by Side Comparison Lens" von  patheos empfohlen.

Sonntag, 9. Januar 2011

Risse im Dasein: Satanismus

Während Okkultismus noch relativ harmlos die Lehre vom Verborgenen ist, ist sie doch oft auch der Einstieg in die "dunkle Seite der Macht". Ziel ist schon hier Macht über die Macht zu erlangen. Mit magischem Handeln versucht man Einfluss auf sein Schicksal zu gewinnen. Von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt aus sind aber sowohl schwarze Magie, wie auch die weisse Magie (z.B. die Sakramente der Katholischen Kirche) irrational und nutzlos! Die Angst kann einen aber in einen Teufelskreis führen. Vom Okkulten zum Satanismus ist es dann nicht mehr ein so grosser Schritt. Die Erfahrung, dem Bösen oft machtlos ausgeliefert zu sein, schürt die Angst und bestärkt die Vorstellung, dass dahinter eine eigene Wirkungsmacht steht. Der Satanismus ist der Glaube, der das Böse oder Satan zur anrufbaren Wirkungsmacht erklärt. "Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz." Es gilt uneingeschränkt das Recht des Stärkeren. Zu Beginn kann es ja noch nur ein "Protestsatanismus" gewesen sein. Man will sich von der Menge unterscheiden. Und es ist leider auch so, dass man vor einem Satanisten mehr Angst hat. Auch wenn Satanismus mit Gewaltbereitschaft, Sadismus, Menschenverachtung und Zerstörung zu tun hat, so sind es schliesslich v.a. anthropologische Gegebenheiten, die dahinter stecken und nichts Teuflisch-Überirdisches.  Vielleicht sind ja angebliche "Dämonen" nur unterdrückte Triebregungen? - Wir sollten uns also fragen, ob es wirklich ein spezifisch satanisches Motiv für kriminelle Handlungen gibt, das sich von Eifersucht, Geltungsstreben, Verzweiflung, Gewinnsucht, Fanatismus und all den anderen Motiven für Kriminalität unterscheidet. Die harmlosere Form von Satanismus ist dann auch nicht viel mehr als eine Selbstverherrlichung. Der Menschen mit seinem Willen steht im Zentrum. Wer nun diesen Willen gut entfalten kann, herrscht über andere. Zur Entfesselung des Willens dienen magisch-satansiche Rituale. Satan verkörpert den absolut mächtigen Willen. Offensichtlich ist, dass damit der Glaube und die Ethik des Christentums umgekehrt wird. Die Kräfte des Grauens, der Gewalt, der Menschenverachtung und der Zerstörung werden mobilisiert. ("Daher schlage hart und tief und zur Hölle mit ihnen, Herrsche!" "Um im Bösen Erfolg zu haben, muss man absolut schlecht sein.") Der Mensch ist aber von Natur aus nicht eine solche grausame Bestie. Vielmehr muss er erst dazu gemacht werden. Natürliches Mitgefühl muss "ausgebrannt" werden. Und die natürliche Aversion gegen Ekel, Angst, Qual und Tod muss überwunden werden.
Dabei kann es auch passieren, dass eine Psychose entstehen kann. Opfer wie "überforderte Täter" können im Äussersten versuchen sich dadurch zu retten, dass "Stellvertreter" erschafft werden, die an ihrer Stelle diese Qualen erleiden sollen (multiple Persönlichkeit). Die Misshandlung wird zu einer Wahnvorstellung. Durch Phantasien kann die unerträgliche Belastung artikuliert, verborgen oder verharmlost werden. Vertrauensverlust, Sprachlosigkeit, Schuldkomplexe, übertriebene Schamgefühle, Ohnmacht, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, Angst und Rückzug auf sich selbst sind die Folge (sowohl für Opfer wie für Täter). 
Aber das Training zur Überwindung von Ekel kann die Gefühle auch erfolgreich abstumpfen, so dass die Hemmschwelle herabgesetzt ist. Letzte Konsequenz dieser Übung in Abstumpfung und Gewaltbereitschaft sind dann das Töten und Opfern von Menschen und v.a. von Säuglingen! ("Der grausame Akt des Schlachtens und der Anblick des aus der Wunde hervorquellenden Bluts erhöht die Ekstase..."). Die gesamte Logik des satanischen Gedankengebäudes läuft mit geradezu mechanischer Konsequenz auf das Menschenopfer als höchste und eigentliche Erfüllung hin. Die Opferung eines Tieres bleibt nur Ersatz. Wie der Heilige zur Logik der "guten" Religion gehört, so gehört der Skrupellose zur Logik der "bösen" Religion Satanismus. Auch die Hierarchie innerhalb der satanischen Gruppe verheisst Führung nur dem am skrupellosesten Agierenden. ("Gnade lässt beiseite; verdammt die Mitleidigen! Tötet und quält, schont nicht. Auf sie!") Aber dass man wirklich am Leiden anderer nachhaltig Freude empfinden kann, bleibt mir unverständlich (und damit auch Marquis de Sades Sadismusregel: "Achte keine Gesetze mehr als die eurer Neigung, keine andere Moral mehr als die Natur, schmachtet nicht länger in den barbarischen Vorurteilen, die diese Reize verdorren liessen...") Im Labyrinth des religiösen Wahns wird der Rest seelischen Lebens zerstört.
Aber wer ist der wahre Herr dieser Welt? Gott oder Satan? - Eine erste intuitive Antwort kann z.B. fragen, ob wir im Lachen eines Kindes mehr eine Teufelsfratze meinen zu erkennen oder leuchtet da nicht das göttliche Licht stärker auf?! Eine etwas kompliziertere Antwort, bzw. die komplexeste mögliche Antwort versucht den "Kaffesatz" der menschlichen Kulturentwicklung und des Schöpfungsgeschehens als Ganzes in den Blick zu bekommen! Dies ist der Ansatz der Evolutionären Spiritualität, die versucht den roten Faden aufzuzeigen, wie im gesamten Evolutionsgeschehen die Kräfte der Liebe immer stärker werden (vgl. letzten Post: Die verborgenen Tiefen der Evolution)! In christlicher Sprache ist es das anbrechende Reich Gottes, dass bereits in dieser Welt erkannt werden kann. (Allzu biblizistische Christen, die sehr am  "Worte Gottes" hängen, scheint es mir, können noch etwas schneller aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Da sie ja so am Buchstaben hängen, kann das Auftauchen einer anderen, häretischen Schrift zu einer ernsthaften Herausforderung werden. War nicht vielleicht der Teufel sogar der Bruder von Jesus? Auf irgendeiner mysteriösen Schriftrolle, in irgend einem apokryphen Evangelium steht es so geschrieben. Wer sich nur an der "Heiligen Schrift" orientiert, kann da schon mal schneller umfallen. Steht nun doch nur noch Wort gegen Wort .....)
Was die göttliche Spur der Liebe anbelangt, müssen wir aber auch darauf hinweisen, dass diese Welt ein leidvolle Welt ist und die Existenz des Bösen schliesslich ein Mysterium bleibt! Ein Teil des Bösen kann zwar durch die Willensfreiheit erklärt werden: Nur wenn wir uns auch falsch und böse entscheiden können, haben wir wirklich einen freien Willen. Dies betrifft aber nur das Böse, das durch moralisch böses Handeln der Menschen hervorgebracht wird. Naturkatastrophen, Krankheit, Alter und Tod entziehen sich aber diesem Erklärungsschema. Sie sind Teil des sogenannten "metaphysischen Bösen". Erklärungen der Religionen hierfür in Stichworten: Das Böse ist eine Folge der Erbsünde (Christentum). Das Böse ist Teil des Maya (Illusion) der Welt (Hinduismus), Yin-Yang-Einheit von Gut und Böse (Daoismus). Das Böse ist der Pfeil im Fleisch des Menschen, dessen Herkunft der Buddhismus aber nicht mehr weiter zu erklären versucht. Ihm ist die Überwindung des Bösen und des Leids zentral!


Was dich liebt, tötet dich, darum töte das, was du liebst! (Satanismus)
"Ja, und dann... dann musste ich mein eigenes Baby opfern..."

oder:

Lass dich vom Bösen nicht besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute. (Römerbrief, 12.21) (Wie kann ich zu einem Vorbild für andere werden?)

denn:

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Friedrich Hölderlin


Einführungsliteratur zum Thema:
Roland Biewald. 2000. Okkultismus - Satanismus. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig.
Guido und Michael Grandt. 1995. Schwarzbuch Satanismus - Innenansicht eines religiösen Wahnsystems. Pattloch, München

Montag, 3. Januar 2011

Die verborgenen Tiefen der Evolution

Das Mittel des Universums sich selbst zu begreifen, ist gegenwärtig der Mensch. Mit dem Menschen wird es zum ersten Mal möglich, dass etwas, das sich in der Evolution entwickelt hat, über diese Evolution nachdenken kann. Wir erforschen die Prozesse, die uns selbst hervorgebracht haben.
Wenn Gott existiert, dann wäre Gott der Urgrund von Allem, und dennoch nie richtig zu sehen. Er wäre nur in den Nachwirkungen der göttlichen Gegenwart zu entdecken, wie Spuren.


Die Kräfte des Universums

0. Nahtlosigkeit
Brian Swimme versteht darunter die Quelle oder den Grund allen Seins. Das (gr.) apeiron, das Reich der reinen Potenzialität. Es ist "Nicht-Sein", um anzudeuten, dass dies kein Raum von Ojekten ist. Mit Nahtlosigkeit ist ferner ein ungeteilter Bereich gemeint, voller subtiler Verbindungen. Das Universum ist mehr als nur ein mit Dingen gefüllter Raum. Vielmehr haben die getrennten und unterschiedlichen Wese im Universum alle einen gemeinsamen Ursprung. Dieser Ursprung bleibt an der forwährenden Existenz und Funktion eines jeden Dings beteiligt. Jedes Wesen im Universum hat seinen Urgrund in einem dynamischen Bereich reiner schöpferischer Kraft.

1. Zentrierung
Zentrierung bedeutet, dass sich das Universum als Ganzes in sich selbst zentriert, um ein neues Wesen, eine neue Person, ein neues Tier, ein neues Molekül entstehen zu lassen. Derselbe Prozess mit denselben beteiligten  Molekülen findet heute in uns statt. Wir haben also Milliarden von Jahren des Universums in uns, in unseren Körpern. Es ist die Sonnenenergie, die durch uns fliesst. Die Energie der Geburt des Universums fliesst durch uns. In diesem Sinn fasst das Universum alles von sich selbst zusammen und gebiert jedes neue Wesen. Das ist die Kraft der Zentrierung.

2. Anziehung
Die Anziehung ist das, wodurch sich das gesamte Universum selbst zusammenhält.

3. Emergenz
Das Universum ist ein anhaltendes kreatives Ereignis. Diese Entstehungskraft ist eine Form von fortwährender Kreativität. Das Ganze, das Neue ist dabei mehr als die Summe seiner Teile.

4. Homöostase
Homöostase oder Selbstregulation. Selbstregulation hilft, dass die grossen Errungenschaften des Universums erhalten bleiben. Das Universum erkännt seine besten Momente und hält diese zusammen. Die Selbstregulierung der Erde als dynamisch integriertes System hält seine Gemeinschaften zusammen, einschliesslich der Atmosphäre, der Biosphäre und der Geosphäre.

5. Kataklysmus
Kataklysmus oder Umwälzung meint den Prozess, in dem das Universum einige seiner Strukturen zerstört. Nicht nur als Folge von zufälligen Ereignissen, sondern auch als Teil seiner fortdauernden Emergenz.

6. Synergie
Synergie oder Zusammenwirkung. Synergistisch entstehen Zusammenhänge im Universum, die sonst nicht existieren würden. In der Biologie kann man Synergie als eine Arbeitsverbindung bezeichnen, die Strategien entwickelt, die im Drama des Lebens noch erfolgreicher sind. Im tiefsten Sinne zeigt Synergie die entwicklungsgeschichtliche Macht von Beziehungen auf.

7. Transmutation
Transmutation oder Umwandlung. Das Universum scheint nie völlig zufrieden zu sein. Unser Universum ist eine sich selbst transzendierende Gemeinschaft von Wesen. Das bedeutet, dass das Universum oft an einer Weggabelung ankommt, an der es nur eine schreckliche Option gibt: Entweder wandle dich zu einer neuen Form oder verschwinde.

8. Transformation
Die Transformationskraft steht mit der Transmutation in Verbindung und meint die Art und Weise, wie Veränderung in einer ganzen Gesellschaft oder Gemeinschaft stattfindet. Es ist eine Dynamik gegenseitiger Verbundenheit und Selbstverstärkung. Transformation beschreibt, wie sich das gesammte System weiter entwickelt.

9. Allverbundenheit
Es ist die Kraft von Integrität und Verbundenheit. Die "Ganzheit" beschreibt den Zustand, in dem jedes Wesen auf vielerlei Arten von anderen Wese im Universum abhängig ist. Unsere Existenz hängt z.B. genauso von kleinen Organismen im Pazifik, wie von der Aktivität der Protonen in der Sonne ab. Von aussen betrachtet, ist das die Kraft der Wechselbeziehung, von innen betrachtet, zeigt sie sich als Fürsorge oder Mitgefühl.

10. Strahlung
Jeses Wesen mit Energie gibt diese Energie wieder ab. Die Kraft der Strahlung ist Ausdruck des Mysteriums, dass es dem Universum nicht möglich ist, die Pracht, die es beherbergt, zusammen zu halten.


Kosmische Dimensionen der Liebe

Eros ist Kreativität und ekstatischer Drang. Das ist der Wunsch zu existieren, der Antrieb des Geistes in Richtung immer weiter wachsender, immer höherer, immer komplexerer Formen der Existenz. Eros ist der Antrieb der Evolution - der Eigenantrieb des Geistes in Richtung immer komplexerer Formen kosmischer Manifestation.
Als das nichtrelative Absolute sich entschloss, das Universum zu erschaffen, bedeutete das einen gewaltigen Sprung aus der Formlosigkeit in die Form, aus dem Sein ins Werden, aus der Nichtexistenz in die Existenz. Zunächst und am einfachsten finden wir das Pulsieren des evolutionären Impulses innerhalb unseres eigenen Seins, im Sexualtrieb. Das ist die elementarste Ebene dieser Schwingung, die wir empfinden können. Die nächste Ebene aber macht uns Menschen einzigartig und aussergewöhnlich, nämlich der innere Imperativ, etwas Neues zu schaffen. Die menschliche Spezies wird von einem inneren Aufruf angetrieben, einem Drang, das Neue zu erschaffen. Es stellt sich die Frage, was wir selbst zum Prozess des Lebens beitragen können. Die höchst Ebene ist schliesslich der spirituelle Impuls - der Drang bewusst zu werden. Woher kommt dieses Drängen in Richtung Bewusstheit? - Vielleicht, damit das Universum durch uns seiner selbst bewusst wird?
Aus der Perspektive der integralen Theorie sind im Kosmos zwei grundlegende Ausdurcksformen der Liebe wirksam: Eros und Agape. Jeses Holon (eine Ganzes, das ein ganzes Wesen in sich ist und gleichzeitig Teil eines grösseren Ganzen) trägt in sich den Drang, sich nach unten zu wenden und die bereitsexistierenden niedrigeren Ebenen seiner selbst zu umfassen. Beispielsweise umfasst eine Zelle die Moleküle, die Atome umfassen die Quarks, etc. Das nennen wir Agape. Wenn ein Holon sich aber nach oben wendet, um höhere Ebenen zu erschaffen, sprechen wir von Eros. Dieser Drang zu höheren schöpferischen Vereinigungen gehört mit zum Erstaunlichsten an Eros, ja zum Erstaunlichsten im ganzen Universum. Das alles wird ausnahmslos von der Liebe vorangetrieben. Die neodarwinistische Evolutionstheorie will jedoch in aller Aufwärtsentwicklung nur Zufall erkennen. Aber soll der weite Weg des Universums vom einzelnen Atom bis hin zu Shakespeare auf lauter Zufallstreffern beruhen? - Vielmehr ist dieser Evolutionsprozess ausserordentlich zielgerichtet. Es findet Selbstorganisation durch Selbsttranszendenz statt. Auch wenn wir nicht werdende Götter sind (Blavatsky), so ist die Evolution im Kern dennoch eine Vergrösserung der Kräfte des Bewusstseins: von der Materie ins Leben, vom Leben ins Mentale und vom Mentalen in den Geist (Aurobindo). Die Schöpfung hat ein Ziel, eine Absicht, nämlich zu erwachen, sich zu entwickeln und schliesslich die ihr inhärente Seele zu offenbaren. Spirituelle Evolution ist zwar kein gradliniger Weg in den Himmel. Aber die ganze Schöpfung schreitet immer weiter in Richtung des Göttlichen fort (das das höchste Ziel ist).
Das Bewusstsein startet egozentrisch, selbstbezogen. Dann entwickelt es sich auf die ethnozentrische Stufe. Es kommt zur Anteilnahme an einem Anderen. Für die Familie und Mitglieder der eigenen ethnischen Gruppe entsteht Fürsorge und Liebe. Dann folgt die weltzentrische Stufe. Nun geht es um universelle Anteilnahme. Man beginnt sich um alle Menschen zu kümmern. Man entwickelt eine universelle Liebe zur Menschheit. Und schliesslich geht die Entwicklung hin zur kosmozentrischen Stufe, wo es zum Einssein mit allen fühlenden Wesen und zur Liebe mit ihnen kommt. Dabei umfasst die kosmozentrische Stufe nicht nur alle fühlenden Wesen. Vielmehr wird der ganze evolutionäre Prozess, der bis zu diesem Moment geführt hat, geliebt.
Es gibt also so etwas wie ein Spektrum der Liebe. Liebe im evolutionären Kontext ist die umfassende Emotion, die sich weiter ausdehnt, um immer weitere und immer grössere Einheiten zu finden. Es bedeutet sich selbst immer mehr zu transzendieren. Es ist ein dramatischer Prozess der Selbstbefreiung und Selbstverwirklichung. Die Sufis nennen es "Höchste Identität", das radikale Einssein mit der Gesamtheit aller Existenz. Spirituelle Liebe ist Teil des Erwachens zum Absoluten. Sie ruft uns und fordert uns heraus, einen grossen Schritt "nach vorne" und "nach oben" aus den denkbar grössten Motiven zu tun. Diese Liebe schliesst immer mehr ein, einen grösseren Teil der Welt, einen grössren Teil des Kosmos. Sie ist immer einschliessender und weniger ausschliesslich. Und vielleicht entdecken wir dabei, dass wir nicht mehr so sehr einzelne Menschen lieben, sondern vielmehr das Bewusstsein an sich. Je höher man im Spektrum des Bewusstseins aufsteigt, desto mehr Liebe kann man empfinden. Es ist eine vollkommenere Identität mit dem gesamten Reich des Manifestierten und die Dinge schliessen sich zu immer höheren Einheiten zusammen.
Wenn wir zur kosmozentrischen Perspektive erwacht sind, können wir sehen, dass alles, was auf der Erde geschieht - einschliesslich all dessen, was in unserem eigenen inneren Bewusstsein geschieht - von einem kosmischen Entfaltungsprozess hervorgebracht wurde, von dem wir ein Teil sind. Lernen wir also alles was sich ereignet als Teil eines kosmischen Prozesses zu sehen, als eine Art von Entfaltung, dann wird auch das Mitgefühl in uns erwachen. Wir beginnen alles Geschehen aus der Perspektive der Tiefenzeit zu betrachten. Wir staunen nur noch, wie wunderbar dieser ganze Prozess ist. Für Zynismus und Nihilismus bleibt da kein Platz mehr. Es geht darum, die Kraft zu finden um weiterzumachen und Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Diese weite und evolutionäre Perspektive sollte helfen, unser Herz in grösstmöglicher Weise zu öffnen.

Das meiste vom oben Zitierten stammt aus dem Winter/Frühling Heft 2011 von EnlightenNext - Das Magazin für Evolutionäre. Und wer sich noch mehr für das "Epos der Evolution" interessiert, dem sei auch Our Common Story empfohlen.

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Und was ich in diesem Zusammenhang mal noch unbedingt loswerden muss, ist der Hinweis darauf, dass die Bibel - im Vergleich - wohl das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur ist und Jesus wohl die am meisten überschätzte Person der Welt! Bibel und Jesus sind v.a. jahrtausende alte Mythen, deren unumschränkte Gültigkeit für heute ernsthaft in Frage gestellt werden muss.