Montag, 3. Januar 2011

Die verborgenen Tiefen der Evolution

Das Mittel des Universums sich selbst zu begreifen, ist gegenwärtig der Mensch. Mit dem Menschen wird es zum ersten Mal möglich, dass etwas, das sich in der Evolution entwickelt hat, über diese Evolution nachdenken kann. Wir erforschen die Prozesse, die uns selbst hervorgebracht haben.
Wenn Gott existiert, dann wäre Gott der Urgrund von Allem, und dennoch nie richtig zu sehen. Er wäre nur in den Nachwirkungen der göttlichen Gegenwart zu entdecken, wie Spuren.


Die Kräfte des Universums

0. Nahtlosigkeit
Brian Swimme versteht darunter die Quelle oder den Grund allen Seins. Das (gr.) apeiron, das Reich der reinen Potenzialität. Es ist "Nicht-Sein", um anzudeuten, dass dies kein Raum von Ojekten ist. Mit Nahtlosigkeit ist ferner ein ungeteilter Bereich gemeint, voller subtiler Verbindungen. Das Universum ist mehr als nur ein mit Dingen gefüllter Raum. Vielmehr haben die getrennten und unterschiedlichen Wese im Universum alle einen gemeinsamen Ursprung. Dieser Ursprung bleibt an der forwährenden Existenz und Funktion eines jeden Dings beteiligt. Jedes Wesen im Universum hat seinen Urgrund in einem dynamischen Bereich reiner schöpferischer Kraft.

1. Zentrierung
Zentrierung bedeutet, dass sich das Universum als Ganzes in sich selbst zentriert, um ein neues Wesen, eine neue Person, ein neues Tier, ein neues Molekül entstehen zu lassen. Derselbe Prozess mit denselben beteiligten  Molekülen findet heute in uns statt. Wir haben also Milliarden von Jahren des Universums in uns, in unseren Körpern. Es ist die Sonnenenergie, die durch uns fliesst. Die Energie der Geburt des Universums fliesst durch uns. In diesem Sinn fasst das Universum alles von sich selbst zusammen und gebiert jedes neue Wesen. Das ist die Kraft der Zentrierung.

2. Anziehung
Die Anziehung ist das, wodurch sich das gesamte Universum selbst zusammenhält.

3. Emergenz
Das Universum ist ein anhaltendes kreatives Ereignis. Diese Entstehungskraft ist eine Form von fortwährender Kreativität. Das Ganze, das Neue ist dabei mehr als die Summe seiner Teile.

4. Homöostase
Homöostase oder Selbstregulation. Selbstregulation hilft, dass die grossen Errungenschaften des Universums erhalten bleiben. Das Universum erkännt seine besten Momente und hält diese zusammen. Die Selbstregulierung der Erde als dynamisch integriertes System hält seine Gemeinschaften zusammen, einschliesslich der Atmosphäre, der Biosphäre und der Geosphäre.

5. Kataklysmus
Kataklysmus oder Umwälzung meint den Prozess, in dem das Universum einige seiner Strukturen zerstört. Nicht nur als Folge von zufälligen Ereignissen, sondern auch als Teil seiner fortdauernden Emergenz.

6. Synergie
Synergie oder Zusammenwirkung. Synergistisch entstehen Zusammenhänge im Universum, die sonst nicht existieren würden. In der Biologie kann man Synergie als eine Arbeitsverbindung bezeichnen, die Strategien entwickelt, die im Drama des Lebens noch erfolgreicher sind. Im tiefsten Sinne zeigt Synergie die entwicklungsgeschichtliche Macht von Beziehungen auf.

7. Transmutation
Transmutation oder Umwandlung. Das Universum scheint nie völlig zufrieden zu sein. Unser Universum ist eine sich selbst transzendierende Gemeinschaft von Wesen. Das bedeutet, dass das Universum oft an einer Weggabelung ankommt, an der es nur eine schreckliche Option gibt: Entweder wandle dich zu einer neuen Form oder verschwinde.

8. Transformation
Die Transformationskraft steht mit der Transmutation in Verbindung und meint die Art und Weise, wie Veränderung in einer ganzen Gesellschaft oder Gemeinschaft stattfindet. Es ist eine Dynamik gegenseitiger Verbundenheit und Selbstverstärkung. Transformation beschreibt, wie sich das gesammte System weiter entwickelt.

9. Allverbundenheit
Es ist die Kraft von Integrität und Verbundenheit. Die "Ganzheit" beschreibt den Zustand, in dem jedes Wesen auf vielerlei Arten von anderen Wese im Universum abhängig ist. Unsere Existenz hängt z.B. genauso von kleinen Organismen im Pazifik, wie von der Aktivität der Protonen in der Sonne ab. Von aussen betrachtet, ist das die Kraft der Wechselbeziehung, von innen betrachtet, zeigt sie sich als Fürsorge oder Mitgefühl.

10. Strahlung
Jeses Wesen mit Energie gibt diese Energie wieder ab. Die Kraft der Strahlung ist Ausdruck des Mysteriums, dass es dem Universum nicht möglich ist, die Pracht, die es beherbergt, zusammen zu halten.


Kosmische Dimensionen der Liebe

Eros ist Kreativität und ekstatischer Drang. Das ist der Wunsch zu existieren, der Antrieb des Geistes in Richtung immer weiter wachsender, immer höherer, immer komplexerer Formen der Existenz. Eros ist der Antrieb der Evolution - der Eigenantrieb des Geistes in Richtung immer komplexerer Formen kosmischer Manifestation.
Als das nichtrelative Absolute sich entschloss, das Universum zu erschaffen, bedeutete das einen gewaltigen Sprung aus der Formlosigkeit in die Form, aus dem Sein ins Werden, aus der Nichtexistenz in die Existenz. Zunächst und am einfachsten finden wir das Pulsieren des evolutionären Impulses innerhalb unseres eigenen Seins, im Sexualtrieb. Das ist die elementarste Ebene dieser Schwingung, die wir empfinden können. Die nächste Ebene aber macht uns Menschen einzigartig und aussergewöhnlich, nämlich der innere Imperativ, etwas Neues zu schaffen. Die menschliche Spezies wird von einem inneren Aufruf angetrieben, einem Drang, das Neue zu erschaffen. Es stellt sich die Frage, was wir selbst zum Prozess des Lebens beitragen können. Die höchst Ebene ist schliesslich der spirituelle Impuls - der Drang bewusst zu werden. Woher kommt dieses Drängen in Richtung Bewusstheit? - Vielleicht, damit das Universum durch uns seiner selbst bewusst wird?
Aus der Perspektive der integralen Theorie sind im Kosmos zwei grundlegende Ausdurcksformen der Liebe wirksam: Eros und Agape. Jeses Holon (eine Ganzes, das ein ganzes Wesen in sich ist und gleichzeitig Teil eines grösseren Ganzen) trägt in sich den Drang, sich nach unten zu wenden und die bereitsexistierenden niedrigeren Ebenen seiner selbst zu umfassen. Beispielsweise umfasst eine Zelle die Moleküle, die Atome umfassen die Quarks, etc. Das nennen wir Agape. Wenn ein Holon sich aber nach oben wendet, um höhere Ebenen zu erschaffen, sprechen wir von Eros. Dieser Drang zu höheren schöpferischen Vereinigungen gehört mit zum Erstaunlichsten an Eros, ja zum Erstaunlichsten im ganzen Universum. Das alles wird ausnahmslos von der Liebe vorangetrieben. Die neodarwinistische Evolutionstheorie will jedoch in aller Aufwärtsentwicklung nur Zufall erkennen. Aber soll der weite Weg des Universums vom einzelnen Atom bis hin zu Shakespeare auf lauter Zufallstreffern beruhen? - Vielmehr ist dieser Evolutionsprozess ausserordentlich zielgerichtet. Es findet Selbstorganisation durch Selbsttranszendenz statt. Auch wenn wir nicht werdende Götter sind (Blavatsky), so ist die Evolution im Kern dennoch eine Vergrösserung der Kräfte des Bewusstseins: von der Materie ins Leben, vom Leben ins Mentale und vom Mentalen in den Geist (Aurobindo). Die Schöpfung hat ein Ziel, eine Absicht, nämlich zu erwachen, sich zu entwickeln und schliesslich die ihr inhärente Seele zu offenbaren. Spirituelle Evolution ist zwar kein gradliniger Weg in den Himmel. Aber die ganze Schöpfung schreitet immer weiter in Richtung des Göttlichen fort (das das höchste Ziel ist).
Das Bewusstsein startet egozentrisch, selbstbezogen. Dann entwickelt es sich auf die ethnozentrische Stufe. Es kommt zur Anteilnahme an einem Anderen. Für die Familie und Mitglieder der eigenen ethnischen Gruppe entsteht Fürsorge und Liebe. Dann folgt die weltzentrische Stufe. Nun geht es um universelle Anteilnahme. Man beginnt sich um alle Menschen zu kümmern. Man entwickelt eine universelle Liebe zur Menschheit. Und schliesslich geht die Entwicklung hin zur kosmozentrischen Stufe, wo es zum Einssein mit allen fühlenden Wesen und zur Liebe mit ihnen kommt. Dabei umfasst die kosmozentrische Stufe nicht nur alle fühlenden Wesen. Vielmehr wird der ganze evolutionäre Prozess, der bis zu diesem Moment geführt hat, geliebt.
Es gibt also so etwas wie ein Spektrum der Liebe. Liebe im evolutionären Kontext ist die umfassende Emotion, die sich weiter ausdehnt, um immer weitere und immer grössere Einheiten zu finden. Es bedeutet sich selbst immer mehr zu transzendieren. Es ist ein dramatischer Prozess der Selbstbefreiung und Selbstverwirklichung. Die Sufis nennen es "Höchste Identität", das radikale Einssein mit der Gesamtheit aller Existenz. Spirituelle Liebe ist Teil des Erwachens zum Absoluten. Sie ruft uns und fordert uns heraus, einen grossen Schritt "nach vorne" und "nach oben" aus den denkbar grössten Motiven zu tun. Diese Liebe schliesst immer mehr ein, einen grösseren Teil der Welt, einen grössren Teil des Kosmos. Sie ist immer einschliessender und weniger ausschliesslich. Und vielleicht entdecken wir dabei, dass wir nicht mehr so sehr einzelne Menschen lieben, sondern vielmehr das Bewusstsein an sich. Je höher man im Spektrum des Bewusstseins aufsteigt, desto mehr Liebe kann man empfinden. Es ist eine vollkommenere Identität mit dem gesamten Reich des Manifestierten und die Dinge schliessen sich zu immer höheren Einheiten zusammen.
Wenn wir zur kosmozentrischen Perspektive erwacht sind, können wir sehen, dass alles, was auf der Erde geschieht - einschliesslich all dessen, was in unserem eigenen inneren Bewusstsein geschieht - von einem kosmischen Entfaltungsprozess hervorgebracht wurde, von dem wir ein Teil sind. Lernen wir also alles was sich ereignet als Teil eines kosmischen Prozesses zu sehen, als eine Art von Entfaltung, dann wird auch das Mitgefühl in uns erwachen. Wir beginnen alles Geschehen aus der Perspektive der Tiefenzeit zu betrachten. Wir staunen nur noch, wie wunderbar dieser ganze Prozess ist. Für Zynismus und Nihilismus bleibt da kein Platz mehr. Es geht darum, die Kraft zu finden um weiterzumachen und Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Diese weite und evolutionäre Perspektive sollte helfen, unser Herz in grösstmöglicher Weise zu öffnen.

Das meiste vom oben Zitierten stammt aus dem Winter/Frühling Heft 2011 von EnlightenNext - Das Magazin für Evolutionäre. Und wer sich noch mehr für das "Epos der Evolution" interessiert, dem sei auch Our Common Story empfohlen.

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Und was ich in diesem Zusammenhang mal noch unbedingt loswerden muss, ist der Hinweis darauf, dass die Bibel - im Vergleich - wohl das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur ist und Jesus wohl die am meisten überschätzte Person der Welt! Bibel und Jesus sind v.a. jahrtausende alte Mythen, deren unumschränkte Gültigkeit für heute ernsthaft in Frage gestellt werden muss.

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