Montag, 10. Januar 2011

Religiöser Pluralismus - Die christliche Sicht

Für die Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) von 2006 in Porto Alegre entstand ein interessantes Diskussionspapier mit dem Titel "Religiöse Pluralität und christliches Selbstverständnis" auf das wir im Folgenden eingehen wollen.

Die religiöse Pluralität ist zunächst einmal eine Tatsache im beginnenden 21. Jahrhundert. Und die drängenden Probleme der Welt verlangen, dass wir uns mit ihnen über religiöse Grenzen hinweg auseinandersetzen. Weiter sollte das gegenseitige Verständnis und das friedliche Zusammenleben der Religionen gestärkt werden. Religiöse Pluralität ist eine grosse Herausforderung. Leider kommt es häufig auch vor, dass der interreligiöse Dialog von Christen als Instrument der Missionierung und Bekehrung missbraucht wird. Bekehrung und Religionsfreiheit stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis zueinander.

"Viele Christen suchen nach Wegen, wie sie ihren eigenen Glauben verbindlich leben und doch offen gegenüber anderen sein können. Einige praktizieren spirituelle Disziplinen anderer religiöser Traditionen, um ihren christlichen Glauben und ihr Gebetsleben zu vertiefen. Wieder andere finden in anderen religösen Traditionen eine zusätzliche geistliche Heimat und sprechen von der Möglichkeit einer "doppelten" Zugehörigkeit. [...] Das Geheimnis der Beziehung Gottes zu allen Menschen und die vielfältigen Antworten, die die Völker der Welt auf dieses Geheimnis gegeben haben, laden uns daher ein, uns intensiver mit der Wirklichkeit anderer religiöser Traditionen und unserer eigenen Identität als Christen in einer religiös pluralistischen Welt zu befassen. [...] Hat Gott sich in anderen Religionen und Kulturen offenbart? Steht die christliche Offenbarung in "Kontinuität" mit dem religiösen Leben anderer oder handelt es sich um eine "Diskontinuität", die uns eine völlig neue Dimension des "Wissens von Gott" eröffnet? [...] Einerseits erheben religiöse Traditionen den Anspruch, universale Wahrheiten zu verkünden. Anderseits bedeutet dies, dass der Wahrheitsanspruch der einen Religion mit dem anderer Religionen kollidieren kann. [...] Was bedeutet es für die interreligiösen Beziehungen, wenn die Mission sich auf den Aufbau heilender und versöhnender Gemeinschaften konzentriert? [...] Wo liegen die Grenzen der Vielfalt? Gibt es zuverlässige Zeichen des Heils ausserhalb der Kirche? Welchen Beitrag leisten Erkenntnisse anderer Traditionen zu unserem Verständnis vom Menschsein? [...] [Ausgangspunkt für den ÖRK ist:] "Wir kennen keinen anderen Weg zum Heil als Jesus Christus; zugleich aber können wir dem Heilswirken Gottes keine Grenzen setzen." [...] "Diese Überzeugung, dass Gott als der Schöpfer aller Dinge in der Pluralität der Religionen gegenwärtig und aktiv ist, macht es für uns unvorstellbar, dass Gottes Heilshandeln auf irgendeinen Kontinent, Kulturkreis oder Gruppe von Menschen begrenzt werden könnte. Die Weigerung, die vielen und verschiedenartigen religiösen Zeugnisse ernst zu nehmen, die unter den Nationen und Völkern der ganzen Welt gefunden werden, läuft darauf hinaus, das biblische Zeugnis von Gott als dem Schöpfer aller Dinge und dem Vater des Menschengeschlechts zu verleugnen." [...] Wie sollte eine Theologie der Religionen heute aussehen? [...]


Auf dem Weg zu einer Theologie der Religionen

Für den Einstieg in unsere Diskussion und als hermeneutischer Schlüssel [sei] das Thema der "Gastfreundschaft" gewählt. [...]  Die "Gastfreundschaft" eines gnädigen Gottes [...] gebietet uns vielmehr, sogar unsere Feinde zu lieben und Gottes Segen für sie zu erbitten. [...] Wir glauben, dass dieses umfassende Wirken des Heiligen Geistes auch im Leben und in den Traditionen von Völkern anderer Religionen gegenwärtig ist. Die Menschen haben zu allen Zeiten und an allen Orten auf die Gegenwart und das Wirken Gottes unter ihnen eine Antwort gegeben und Zeugnis von ihren Begegnungen mit dem lebendigen Gott abgelegt. [...] Wir sehen die Pluralität religiöser Traditionen sowohl als Ergebnis der mannigfaltigen Wege, in denen Gott sich Völkern und Nationen mitgeteilt hat, als auch als eine Manifestation des Reichtums und der Vielfalt der Antwort des Menschen auf Gottes Gnadengaben. [...] Wir müssen versuchen, "die Weisheit, Liebe und Kraft, die Gott den Menschen anderer Religionen gegeben hat", in neuer und tieferer Weise zu verstehen und "offen für die Möglichkeit (zu sein), dass der Gott, den wir in Jesus Christus kennen, uns auch im Leben unserer Nächsten anderen Glaubens begegnen kann." Wir glauben auch, dass [..] [wir] durch die Bereitschaft, von unseren Nachbarn anderer Religionen zu lernen, zu neuen und unerwarteten Einsichten in das göttliche Geheimnis gelangen. [...] Unserer Bereitschaft, andere in ihrem "Anderssein" zu akzeptieren, ist das Markenzeichen wahrer Gastfreundschaft. Durch unsere Offenheit gegenüber dem "Anderen" können wir Gott in neuer Weise begegnen. Gastfreundschaft beinhaltet damit sowohl die Erfüllung des Gebots, "unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst", als auch die Möglichkeit, Gott neu zu entdecken. [...]


Die Kraft der gegenseitigen Verwandlung

Die Christen haben es nicht nur gelernt, mit Menschen anderer religiöser Traditionen zusammenzuleben, sondern sind durch diese Begegnungen auch verwandelt worden. Wir haben in uns zuvor unbekannte Aspekte der Gegenwart Gottes in der Welt entdeckt und Elemente unserer eingenen christlichen Traditionen wiedergefunden, die wir bis dahin vernachlässigt hatten. [...] [Dies] setzt sowohl voraus, dass wir dem "Anderen" Zeugnis von Gott in Christus geben, als auch, dass wir offen dafür sind, dass Gott durch den "Anderen" zu uns sprechen kann. Wenn Mission in diesem Sinne verstanden wird, so bietet sie keinen Raum für Triumpfalismus, sondern trägt dazu bei, die Ursachen religiöser Konflikte zu beseitigen und der häufig damit einhergehenden Gewalt ein Ende zu setzten. Gastfreundschaft setzt voraus, dass Christen andere als "zum Bilde Gottes geschaffen" annehmen, im Bewusstsein, dass Gott durch andere zu uns sprechen und uns verwandeln kann, genau wie Gott uns benutzen kann, um andere zu verwandeln. Die biblische Geschichte und unsere ökumensichen Erfahrungen machen deutlich, dass solch gegenseitige Verwandlung im Mittelpunkt jedes authentischen christlichen Zeugnisses steht. Offenheit für den "Anderen" kann den "Anderen" verwandeln, genau wie sie auch uns verwandeln kann. [...] Die religiösen Traditionen der Menschheit stellen in ihrer grossen Vielfalt "Wege" [...] dar, die die Wahrheit unserer Existenz zu ergründen versuchen und menschliche Erfüllung anstreben. [...] Eine Haltung der Gastfreundschaft, die den "Anderen" in seinem Anderssein annimmt, gehört zum Wesenskern des christlichen Glaubens. Es ist dieser Geist, der die Theologie der Religionen in einer Welt inspirieren muss, die der Heilung und Versöhnung bedarf. Und es ist dieser Geist, der uns auch zur Solidarität mit allen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind, bewegen kann. Wir müssen anerkennen, dass dem Menschen und seinen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten Grenzen gesetzt sind, die es ihm unmöglich machen, das Geheimnis des Heils, das Gott der Menscheit geschenkt hat, vollständig zu ergründen.

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Wer gerne verschiedene Religionen und Konfessionen nebeneinander vergleichen möchte, dem sei die "Side by Side Comparison Lens" von  patheos empfohlen.

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