"Sein Urteil über den kleinen Mann mit dem «neurogenen Klumpfuss», der Folge einer kindlichen Stoffwechselstörung, ist daher vermutlich noch schneidender und auch tiefergehend, als die Bewertung ohne psychoanalytische Expertise sowieso schon ausgefallen wäre.
Longerich (der Biograf) nennt Goebbels einen «exemplarischen Fall von Selbstüberschätzung» und bescheinigt ihm die Erfüllung «aller wesentlichen Kriterien», die nach dem «heutigen Stand der Psychoanalyse eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit charakterisieren»: die nie nachlassende Sucht nach Anerkennung, der Drang nach Grösse und Einmaligkeit, das unschöne Dreigestirn aus Arroganz, Hochmut und Mangel an Empathie, die grössenwahnsinnigen Phantasien über die eigene Rolle sowie die Bereitschaft, sich einem anderen, als «grösser» Erkannten bedingungslos unterzuordnen; und schliesslich Schübe tiefer Depression immer dann, wie sich den Tagebüchern entnehmen lässt, wenn die erwarteten Erfolge sich nicht einstellten.
«Ohne Zweifel», konstatiert Longerich, «war die narzisstische Sucht nach Anerkennung der wesentliche Antrieb für Goebbels' Karriere.» Seinem Idol Adolf Hitler, der nicht müde wurde, ihn zu loben (und damit, sicherlich bewusst, half seine zutiefst unsichere Persönlichkeit zu stabilisieren), hat Goebbels sich ab 1924 bedingungslos unterworfen; und er hat sein ganzes Leben auf ihn ausgerichtet. Longerich schreibt, Goebbels' Lebensziel sei es gewesen, zu beweisen, dass er das deutsche Volk hinter seinem Abgott Hitler (dem «Chef», wie Goebbels häufig schrieb) vereinen könne. Die Tagebücher sollten dabei vor allem eines: Goebbels Erfolge festhalten – weswegen ihr Autor vor Verzerrungen und Erfindungen auch nicht zurückschreckte."
aus: Eine narzistisch gestörte Persönlichkeit. Peter Longerichs psychoanalytisch aufgeklärte Goebbels-Biografie, von Cord Aschenbrenner, NZZ Online, 19.1.11.
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