Dienstag, 1. Juni 2010

Anatomie der menschlichen Destruktivität II

Während für Sigmund Freud Verhaltensprobleme durch nicht kontrollierte Triebe entstehen können, sieht Alfred Adler ein Ungleichgewicht zwischen Gemeinschafts- und Geltungstrieb als Ursache. Zentral für Adler ist den Lebensplan, die Ideale eines Menschen zu kennen. Das Gemeinschaftsgefühl hat seinen Grund in der Tatsache, dass wir unsere Lebensziele nur in einer Gruppe (Familie, Nachbarschaft, Gesellschaft, etc.) erreichen können. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl drückt sich im Bestreben aus, etwas für das allgemeine Wohlergehen, für die Weiterbildung der Gemeinschaft zu tun.
Diesem sozialen Bemühen kommt aber das Geltungsstreben und der Wille zur Macht entgegen. Es ist die Besessenheit immer und überall zu versuchen, Macht über Menschen (und Tiere) auszuüben. Gemeinschaftsorientierung und Geltungsstreben stehen in einem ständigen Spannungsverhältnis. Nun stellt sich die Frage, woher dieses starke Geltungsstreben kommt? Für Hegel war es noch klar, dass der "Kampf um Anerkennung" der Motor des Geschichtsprozesses ist. Adler frägt aber härter nach, was der Grund für übergrosses Geltungsstreben sein könnte? Und er stösst auf das Minderwertigkeitsgefühl und seine Kompensation. Natürliche, körperliche (z.B. Fettleibigkeit), psychische (z.B. geringe Intelligenz), wie auch gesellschaftliche Mängel (z.B. tiefes soziales Milieu) lassen uns bewusst werden, dass wir nicht in allem unseren Idealen entsprechen. Nun kann der Versuch die "Mängelnatur" des Menschen zu überwinden, zu positiven und grossen Leistungen führen. Aber die Kompensation kann fehlschlagen und ein Teufelskreis kann entstehen. Ein verwöhntes Kind gewöhnt sich an, viel zu fordern und wenig zu geben. So wird es aber als Mitglied einer Gemeinschaft wenig geschätzt, womit Minderwertigkeitsgefühle entstehen. Das Kind oder auch der Erwachsene wird versuchen, dies durch mehr Machtstreben zu kompensieren. Ist erst einmal das Gleichgewicht zwischen Gemeinschafts- und Geltungsstreben gebrochen, führt das Machtsterben in einen immer tieferen Teufelskreis.
Das Gleiche kann bei einer strengen und wenig liebevollen Erziehung passieren. Man kann kein richtiges Selbstwertgefühl entwickeln und versucht den Mangel durch Gewalt zu beheben. Aber das führt zu einem asozialen Verhaltensmuster, und Anerkennung muss gewalttätig erpresst werden. Diese erzwungene Anerkennung ist aber lange nicht so nachhaltig wie Anerkennung und Achtung, die einem aus Liebe entgegengebracht wird. Scham ist eine Tatsache unseres Lebens. Aber der richtige Umgang mit unseren "wunden Punkten" will gelernt sein. Bei gelungener Kompensation kann das Minderwertigkeitsgefühl zu einer regelrechten Energiequelle werden und uns zu ausserordenlichen Leistungen anspornen! Für jeden von uns stellt sich die Frage, wie er mit seiner Scham und seinen Minderwertigkeitsgefühlen umgehen will - produktiv oder destruktiv? Wer taugt mehr als Vorbild Albert Schweitzer oder Adolf Hitler?

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