Donnerstag, 19. November 2009

Das "Epos der Evolution"

Existenzialisten sehen die Welt atheistisch (ohne Gott) und nihilistisch (ohne Sinn). Glaube und Sinn sind bloss Kategorien des Denkens, die wir brauchen, weil wir sonst die Kälte der Nichtigkeit des Seins nicht aushalten könnten. Und auch der moderne Szientismus, der Glaube, dass die Welt im letzten wissenschaftlich erklärbar ist, ist atheistisch. Der szientistische Reduktionismus lässt nichts als materialistische Wissenschaft gelten. Der "Epos der Evolution" versucht nun hingegen wissenschaftliche Theorie mit dem Heiligen und der Religion zu verbinden. Die moderne Wissenschaft - insbesondere die Evolutionstheorie - wird als eine bedeutungsvolle und emanzipatorische Schöpfungsgeschichte erzählt. Die Evolution ist ein spiritueller Prozess und nicht bloss bedeutungsloser Zufall. Dabei verlässt sie jedoch das Gebiet der Wissenschaft nicht. Der Stoff des neuen "Epos der Evolution" ist die kosmische, biologische und kulturelle Evolution.
Zwei wichtige Elemente dieses "Epos der Evolution" sind einerseits eine "integrale Kosmologie" und anderseits das Erwachen zu einem Bewusstsein der "Tiefenzeit". "Integrale Kosmologie" bedeutet, dass das Universum als bewusst, beseelt und Geistiges enthaltend angesehen wird. Das Bewusstsein und das Seelische sind intrinsische Eigenschaften des Universums, so etwas wie die "Innenseite der Materie" (Teilhard de Chardin) und nicht bloss das Beiprodukt eines zufälligen Prozesses. Das zweite Element ist das Erwachen zum Bewusstsein der "Tiefenzeit", d.h ein Bewusstsein für die ungeheure Zeitdauer des Evolutionsprozesses - vom Big Bang bis heute - zu entwickeln. Eine solche Sicht kann als wahrlich kosmozentrisch bezeichnet werden. Die Antwort auf die Frage,"Wer bin ich?" lautet dann: "Ich bin das Universum, das durch mich seiner selbst bewusst wird!"
Das "Epos der Evolution" ist aber eine relativ neue Sichtweise. Erst die grossen Entdeckungen der modernen Wissenschaft in den letzten beiden Jahrhunderten haben es möglich gemacht. Es ist v.a die Evolutionstheorie von Darwin und die moderne Kosmologie, die uns eine neue Antwort auf die Frage, woher wir kommen, geben. Und erst die letzten Jahrzehnte haben dieses Wissen zu einer kohärenten Geschichte werden lassen. Wir haben in den letzten hundert Jahren mehr über das Leben gelernt, als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor.
Die "Neue Geschichte", die "Universumsgeschichte", bzw. die "Grosse Geschichte" - alles Synonyme für das "Epos der Evolution" - versuchen uns in der Welt auf eine Art und Weise zu verorten, die uns grundsätzlichen Sinn, Orientierung und Richtung geben. Die "Neue Geschichte" lässt aber vormoderne Schöpfungsmythen hinter sich und orientiert sich am Wissen der modernen Kosmologie und Evolutionstheorie. Ausgangspunkt ist im Universum - so wie wir es kennen - zu leben. Aber die "Grosse Geschichte" beinhaltet weiterhin eine mythische Komponente, die uns emotionalen Halt geben soll und uns helfen soll, mit den Ängsten, welche unser Verstand alleine nicht bändigen kann, klar zu kommen.

Bei den nun folgenden Fragen schliesse ich mich weitgehendst Brian Swimme an. Die erste Frage ist: Wo bin ich? - Mein Zuhause ist der Planet Erde, welcher nur einer von unzählbar vielen Planten dieses Universums ist. Die zweite Frage ist: Wer bin ich? - Um zu verstehen, wer wir sind, müssen wir wissen, woher wir kommen? - Die Antwort hierauf soll in drei Etappen gegliedert werden: (i) von der Geburt des Universums zur Erde, (ii) von der Erde zum Leben und (iii) vom Leben zum Menschen.
Zu (i) von der Geburt des Universums zur Erde: Menschsein bedeutet eine Fortsetzung der ursprünglichen Energie zu sein, welche zu Beginn der Zeit mysteriös erschienen ist. Bezüglich des Universums sind wir eine späte Phase eines Transformationsprozesses.
Zu (ii) von der Erde zum Leben: Das Wichtigste, was wir von der "Neuen Geschichte" gelernt haben, ist dass wir Teil eines evolutionären Prozesses sind. Die Erde ist nicht etwas von uns verschiedenes. Vielmehr ist die Erde, das was uns geboren hat. Mit dem Leben war eine neue Stufe der Komplexität erreicht. Als die Komplexität einen bestimmten Punkt erreicht hat, begann sie sich durch eine Membran zu schützen. Im Inneren diese Membran war die erste lebende Zelle geboren. Wir sind eine Weiterentwicklung der Selbstorganisationsfähigkeit dieses Planeten. Was für unseren Planeten Erde so charakteristisch ist, ist dass er so erfinderisch ist. Nachdem die Photosynthese, d.h. die Möglichkeit der Energieübertragung von Licht auf eine Pflanze entstanden war, entstand eine weitere grosse Transformation: die Sexualität. Von nun an konnten durch genetische Rekombination viel schneller neue Arten entstehen. Nun, wer sind wir? - Ich bin der selbe Prozess, der die Erde mit der Sonne in Beziehung bringt (Photosynthese) oder zwei sich paarende Tiere. Wir sind in unserem Abenteuer Mensch zu sein, fähig in tiefe Beziehung zu treten. Wir sind, als Teil des Lebensprozesses im Allgemeinen und als bewusste Lebensformen im Speziellen, Erde, welche zu einem besseren Verständnis ihrer selbst kommen will. Wir Menschen sind eine tiefere Dimension des reflexiven Sich-Orientierens. Das Leben wollte so verzweifelt wissen, dass es einen Weg fand zu sehen.
Was ist die Essenz des Lebens? - Leben will tiefere und reichhaltigere Erfahrung. So hat es sehen gelernt, aber auch hören und fühlen. Der Mensch ist eine tiefere Entwicklung dieses basalen Lebensimpulses. Die menschliche Natur ist das Ergebnis dieses kosmisch-evolutiven Prozesses. Wir wollen wissen. Wir wollen sehen. Wir wollen tiefes Verständnis und tiefe Gefühle.
Zu (iii) vom Leben zum Menschen: Biologisch hat sich die Entwicklung des Lebens mit dem Menschen verlangsamt. Wir sind auf einer genetisch unterbestimmten Stufe der Freiheit und Neugier stehen geblieben. Diese instinktive Unbestimmtheit ist ein Charakteristikum des Menschen. Anstatt dass uns unsere DNA sagt, was wir tun sollen, sind die frühen Menschen zutiefst vom Wunder der Existenz fasziniert worden. Wir sind das Leben, dass spielen kann, neugierig ist, sich wundert, Ehrfurcht hat und fasziniert ist. Alles folg aus diesem Erstaunen. Menschsein ist eine Steigerung des Gefühls! Wir konnten vom Feuer fasziniert werden - dem Waldbrand. Aber es konnte auch der Sonnenaufgang oder -untergang sein. Wir konnten uns Gedanken über den Sonnenaufgang machen, wenn alle anderen Tierarten ihn schon wieder vergessen hatten. Oder Tod. Oder Geburt. Alle Aspekte des Universums waren und sind für uns erstaunlich. Und die Antwort der menschlichen Gemeinschaft darauf war, diese tiefen Erfahrungen miteinander zu teilen, womit die Sprache geboren war. Sprache ermöglicht es, dass jeder seine Erfahrungen mit anderen teilen kann. Gelerntes wurde so zu intersubjektivem Wissen. Während alle anderen Arten im Wesentlichen durch ihre Gene bestimmt sind, ist der Mensch das weltoffene Wesen. Und wir können von dem Wissensschatz lernen, was frühere Generationen bereits gewusst hatten. Wir sind Individuen. Aber unser Geist ist bestimmt durch die Erfahrungen, welche wir Menschen in den letzten 200'000 Jahren gemacht haben und welche zu Ausdruck in Kultur fanden.

Dieses kosmisch-planetare Denken sollte nun aber auch helfen, neue Antworten auf die grossen Herausforderungen und Gefahren unserer Zeit zu finden. Das neue Denken ist fundamental dadurch geprägt, dass wir Menschen alle Teil der gleichen Erdgemeinschaft sind. Unsere Wahrnehmung an dieser neuen Stufe des Denkens auszurichten, ist der erste Schritt. Worum es aber grundsätzlich geht, ist eine Erweiterung unseres Niveaus an Sinn. Als Kinder dieses schöpferischen Prozesses sollten wir lernen, was das für jeden Einzelnen von uns heisst? - Diese Energie, die durch mich fliesst, war noch vor kurzem Energie der Sonne. In Form von Nahrung, welche ihre Energie für das Wachstum direkt (Pflanzen) oder indirekt (Tiere) von der Sonne hat, leben auch wir von Sonnenenergie. Und die Sonne hat ihre Energie vom Beginn des Universums.
Sich gegenwärtig zu sein, heisst nicht nur die "Neue Geschichte" zu kennen, sondern diese "Neue Geschichte" zu sein, das Universum zu sein. Sich gegenwärtig zu sein, heisst dass die Geburt des Universums nun passiert. Ich bin die Energie des Beginns des Universums. Die Energie vom Beginn der Zeit "spricht" jetzt hier. Das bedeutet sich gegenwärtig sein. Ich bin ein Individuum, aber auch auf's tiefste Teil des Universums, nun hier präsent. Es ist, als ob das Universum vollständig seiner selbst bewusst werden will, in der intensiven Erfahrung, welche wir Menschsein nennen!
Was am Universum so erstaunlich ist, ist dass alles eine Rolle hat. Alles hat eine kreative Mission zu erfüllen. Wie man aber seine eigene authentische Rolle findet, wird einem erst im Laufe seines Lebens klar. Aber die Richtung wird einem gewiesen, indem man merkt, dass man "inklusiver" werden sollte. Im Laufe der menschlichen Geschichte ist der Kreis der "In-Group", der Kreis der Menschen, mit denen wir uns eng verbunden fühlen, und um die wir uns kümmern, immer grösser geworden. Aber diese Entwicklung hat ihre Grundlage bereits in inklusiven Evolutionsprozessen. Vor 400 Millionen Jahren haben Fische aufgehört ihre Kinder zu fressen. Vielmehr haben sie angefangen sich etwas um sie zu kümmern, d.h. Zeit und Energie ihnen zu opfern. Die Elternsorge hat sich mit den Reptilien weiterentwickelt. Die Eier werden behütet und gewärmt. Und das Mutterreptil kümmert sich um die Jungen. Dann kommen die Säugetiere und die Sorge vertieft sich weiter, so dass sie sogar lebenslang anhalten kann. Kind und Eltern können für den Rest ihres Lebens miteinander verbunden bleiben. Bei den Jäger und Sammler bildeten sich Gruppen von 20 bis 50 Menschen aus. Das ist das Zentrum ihrer Welt. Wer ausserhalb dieses Kreises des Vertauens steht, sind die "Anderen" oder gar die "Feinde". Dann wurden die Menschen sesshaft und haben angefangen den Boden zu bebauen. Erste Dorfgemeinschaften entstehen, später Fürstentümer, schliesslich Staaten. Mit der Entwicklung der Zivilisationen kam eine Verbundenheit mit einer Gruppe von Millionen von Menschen. Und heute stehen wir vor der Schwelle den Nationalstaat zu überwinden und zu einer wahrhaft grossen planetaren Gemeinschaft zu finden. Sicher, ein Teil der Energie wird für notwendige Abgrenzungen gebraucht. Aber die Hauptentwicklungsline des Universums ist die von grösseren Kreisen der Sorge! Eine fundamentale Herausforderung der heutigen Zeit ist, Wege zu finden zu grösserer Gemeinsamkeit und Verbundenheit. Das Schicksal des gesamten Lebens auf diesem Planeten wird in immer grösserem Masse durch uns Menschen bestimmt. Unsere Verantwortung ist es nun die menschliche Präsenz auf dem Planeten so zu strukturieren, dass die fundamentalen Bedingungen für Leben auch in Zukunft vorhanden sind. Und so dass weiterer Fortschritt in Richtung von grösserer Kooperation, Anpassungsfähigkeit, Komplexität und Bewusstsein möglich ist, kurz: immer grössere Kreise der Liebe!





Zusammenfassung: Dies ist die grosse Entdeckung der Wissenschaft, dass man Wasserstoffgas nehmen kann, es lange genug alleine lässt, und es verwandelt sich in Rosenbüsche, Giraffen und sich liebende Menschen.
Brian Swimme hat viele der Ideen, die ich hier vorgetragen habe, in zwei guten Kurz-Videoserien "The New Story" und "Our Current Moment" präsentiert.
Zentrale Gedanken wurden auch bereits im Posting 'A Unitarian Universalists Faith Perspective' vom 10.3.09 in diesem Blog besprochen.
Weiter möchte ich auf die Website "The Epic of Evolution" hinweisen. Sie gibt einen guten Überblick über online Quellen zum Thema.
Schliesslich soll auch noch der Film von Barbara Marx Hubbard "Humanity Ascending" erwähnt werden. Auf der Website gibt es einen Film-Trailer und auch der ganze Film (40 min.) kann für $ 4.95 angeschaut werden oder als DVD gekauft werden.

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