Samstag, 13. März 2010

Gewaltprävention durch Förderung von Sozialkompetenz

"Brutal, kaltblütig, gnadenlos" betitelte die NZZ jüngst einen Artikel und fragte: Wächst eine junge Generation ohne Empathie und Respekt heran? (vgl. Linkliste unten)
Frustration abzureagieren wird zum Handlungsmotiv. Wird erst einmal zugeschlagen, dann fehlt jede Empathie, Reue oder Hemmschwelle. Sogenannte "Risikofaktoren" gewalttätig zu werden sind: mangelnde emotionale Bindung zu Eltern und Vertrauenspersonen, fehlende Betreuung, häusliche Gewalt, Mobbing, schulischer Misserfolg, Alkohol- und Drogenmissbrauch. V.a. aber gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und Gewalt. Je höher die Bildung, desto geringer die Gewaltbereitschaft und umgekehrt! Einsicht und Verständnis lassen friedfertig werden.
Jugendliche brauchen mehr Orientierung und Integration. Zukunftsängste, Leistungsdruck, sowie Perspektivlosigkeit führen zu Resignation und brüchiger sozialer Einbindung. Ein zivilisierter Umgang entsteht nicht von selbst, sondern muss immer wieder vorgelebt werden. Wichtig sind Empathie, Respekt, Hilfsbereitschaft, Gewissen, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle. Sie sind die Basis einer konstruktiven Konfliktbewältigung. Neben der Familie kommt v.a. der Schule eine grosse Bedeutung zu im Vermitteln von sozialkognitiven Kompetenzen. Denn Gewaltprävention ist ein Muss! Jede Tat hinterlässt bei Opfern und Tätern tiefe Spuren. Oft lebenslang.
Jugendgewalt hat meist ihre Ursachen in der Kindheit. Mit zunehmendem Alter wird körperliche Aggression seltener. Dank zunehmender Sozialkompetenz werden aggressive Impulse unter Kontrolle gehalten und es werden Alternativen zum Einsatz von Gewalt gefunden. Aber trotzdem bleibt Aggressivität häufig ein stabiles Merkmal in der Entwicklung eines Menschen. Gewalt und Aggression sind aber meist Indikator für schwerwiegende Verhaltensprobleme. Gewaltprävention kann deswegen zu einer breiten Förderung von Lebenschancen führen.
Damit Gewalt ausbrechen kann ist eine Kombination von Disposition und Situation notwendig. Auf der Seite der individuellen Faktoren stehen die Erfahrungen, die man im Laufe seines Lebens mit Familie, Schule, Gleichaltrigen, Nachbarschaft und in der Gemeinde gemacht hat. Es ergibt sich so ein je spezifischer krimineller Lebenslauf. Auf der Seite der situativen Faktoren sind es: soziale Kontrolle, Gelegenheiten, potentielle Opfer, Streit/Provokation. Massnahmen zur Gewaltprävention müssen entsprechend auf den verschiedenen Wirkungsebenen ansetzen. Eisner et al. haben die wichtigsten Risikofaktoren für Gewalt und Aggression in den verschiedenen Lebensphasen zusammengetragen (Tabelle 6 aus 'Prävention von Jugendgewalt' '06; vgl. Linkliste unten):
  • Säugling bis Kleinkindalter
- Individuum: Ruhelosigkeit, Aufmerksamkeitsschwäche, Impulsivität, mangelnde Frustrationstoleranz, feindliche Wahrnehmungsmuster
- Familie: Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft, Geburtskomplikationen, geringe elterliche emotionale Wärme, Misshandlung, Vernachlässigung, Überforderung, Depression der Mutter, tiefe sozio-ökonomische Lage.
  • Primarschulalter:
- Individuum: Ruhelosigkeit, Aufmerksamkeitsschwäche, Impulsivität, hohe Risikobereitschaft, mangelnde Frustrationstoleranz, geringe soziale Kompetenzen, gewaltbefürwortende Einstellungen,
- Familie: geringe elterliche emotionale Wärme, mangelnde elterliche Aufsicht, inkonsistenter und ineffizienter Erziehungsstil, Desinteresse der Eltern an kindlichen Aktivitäten, elterliche Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, Streit zwischen den Elternteilen
- Schule und Freizeit: schulische Probleme und geringe schulische Motivation, Unbeliebtheit bei Gleichaltrigen, unklare Regeldurchsetzung im Schulhaus, negatives Schulhausklima.
  • Jugendalter:
- Individuum: geringe Selbstkontrolle, hohe Risikobereitschaft, geringe soziale Kompetenzen, gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen, Alkohol- und Suchtmittelkonsum, Straffälligkeit
- Familie: inkonsistenter und ineffizienter Erziehungstil, elterliches Desinteresse
- Schule: schulischer Misserfolg, negatives Schulhausklima
- Gleichaltrige und Lebenstil: gewaltbefürwortende Normen unter Freunden, Gewalt in der Clique, "actionorientierter" Lebensstil, Konsum von gewalttätigen Medien
- Nachbarschaft und soziales Umfeld: soziale Benachteiligung/tiefe soziale Lage, geringer Zusammenhalt im Quartier, viele Umzüge, Kriminalität/Drogenprobleme/Prostitution im Quartier, geringes Engagement für geteilte Anliegen.

Für das einzelne Individuum zentral ist seine Persönlichkeit. Im Laufe des Lebens erworbene soziale Kompetenzen können zu einem wichtigen Schutzfaktor gegen spätere Entstehung von Gewalt sein! Hier setzen auch viele Gewaltpräventionsprogramme an.

Das Trainingsprogramm PFADE versucht durch Förderung sozialer und emotionaler Kompetenz Gefühls- und Verhaltensstörungen vorzubeugen. Die Schule sollte, neben Lesen und Schreiben und Mathematik, auch helfen die grundlegenden Sozialkompetenzen zu entwickeln. Gefragt sind gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien, Deeskalationstechniken und friedliche Selbstbehauptung. Die wichtigsten Bausteine sind:

  • Regeln für das Zusammenleben: Anerkennung und Liebe sind wichtig.
  • ein gesundes Selbstwertgefühl: Menschen, die mit ihrem Leben und ihren Perspektiven zufrieden sind; Individuen mit hohem Selbstwertgefühl fühlen sich meist gut und sind optimistisch.
  • emotionale Intelligenz, d.h. emotionale Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit zusammen mit der Kompetenz auf Gefühle angemessen reagieren zu könnnen.
  • Selbstkontrolle: Umgang mit unangenehmen Gefühlen, wie Wut, Angst oder Frustration. Abnahme der Impulsivität
  • Problemlösungsstrategien: konstruktive, positive Grundhaltung
  • soziales Zusammenleben und Freundschaften: Mitgefühl, Fairness, ein guter Gewinner und auch mal ein guter Verlierer zu sein, wissen wie man Freundschaften schliesst und pflegt, und wie man sich nach einem Streit wieder versöhnt.

Denn mangelnde Selbstkontrolle, geringe emotionale Kompetenzen, fehlende Empathie und Perspektivenübernahme, fehlende soziale Problemlösungsfähigkeiten und ein negatives Klassen- und Schulhausklima sind stark für das Aufkommen von Gewalt und Drogenmissbrauch verantwortlich.

Wichtige Links:
- "Brutal, kaltblütig, gnadenlos", von Elsbeth Tobler, NZZ online, 13.3.10
- Eisner et al., 'Prävention von Jugendgewalt', Eidgenössische Ausländerkommission, 2006
- und der aktuellere und umfangreichere Bericht von 2009, vom Bundesamt für Sozialversicherungen:
- Zürcher Projekt zur sozialen Entwicklung von Kindern - z-proso.

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Bronski Beat - Smalltown Boy.

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