Freitag, 5. August 2011

... trotzdem Ja zum Leben sagen!

Das Buch "... trotzdem Ja zum Leben sagen" von Viktor Frankel beschreibt seine Zeit im Konzentrationslager und versucht so etwas wie eine Psychologie des Konzentrationslagers zu sein. Er beschreibt die unvorstellbaren Grausamkeiten der Lagerwärter. Und er sieht als einzige Fluchtmöglichkeit, die Flucht nach innen. "Ich erfasse, dass der Mensch, wenn ihm nichts mehr bleibt auf dieser Welt, selig werden kann - und sei es auch nur für Augenblicke -, im Innersten hingegeben an das Bild des geliebten Menschen. ... So wenig meint Liebe die körperliche Existenz eines Menschen, so sehr meint sie zutiefst das geistige Wesen des geliebten Menschen, sein "So-sein" (wie es die Philosophen nennen), dass sein "Dasein", sein Hier-bei-mir-sein, ja seine körperliche Existenz überhaupt, sein Am-Leben-sein, irgendwie gar nicht mehr zur Diskussion steht. ... So weiss ich in diesem Augenblick um die Wahrheit: "Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz ... Denn Liebe ist stark wie der Tod." (Das Hohelied, VIII, 6.). ... Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um die Selbsterhaltung. Ist es doch bekannt, dass der Humor wie kaum sonst etwas im menschlichen Dasein geeignet ist, Distanz zu schaffen und sich über die Situation zu stellen, wenn auch nur, wie gesagt, für Sekunden." So sollte es gelingen, dem geistigen Wirbel des Nihilismus, mit dem alle Werte in einen Abgrund der Fragwürdigkeit zu stürzen scheinen, entgegenzuwirken. "Der Verlust des Gefühls, überhaupt noch menschliches Subjekt zu sein, wird dadurch unterstützt, dass der Mensch im Konzentrationslager sich nicht nur vollends als Objekt etwa der Willkür der Wache erlebt, sondern auch so recht als Objekt des Schicksals, als dessen Spielball. Das Schicksal spielt Ball. ... Das beherrschende Gefühl, blosser Spielball zu sein, und der Grundsatz, womöglich nicht selber Schicksal zu spielen, vielmehr dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, all dies und noch dazu die tiefgehende Apathie, die sich des Menschen im Lager bemächtigt, machen es verständlich, wenn er jeder Initiative auszuweichen bestrebt ist und sich vor Entscheidungen fürchtet." Frankel hat dennoch - ähnlich wie Sartre - ein radikales, existenzielles Freiheitsverständnis. "Und mögen es auch nur wenige gewesen sein - sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein "So oder so"!" Wie realistisch diese Freiheit aber ist, und ob sie nicht bloss Ausdruck eines letzten, hoffnungslosen Widerstandes an das Ausgeliefert sein an das Ungeheuerliche ist, bleibt eine offene Frage. Wie gross ist die "Trotzmacht des Geistes" wirklich? - Frankle argumentiert jedoch, dass "jeder Tag und jede Stunde im Lager tausendfältige Gelegenheit gab, diese inner Entscheidung zu vollziehen, die eine Entscheidung des Menschen für oder gegen den Verfall an jene Mächte der Umwelt darstellt, die dem Menschen sein Eigentliches zu rauben drohen - seine innere Freiheit - und ihn dazu verführen, unter Verzicht auf Freiheit und Würde zum blossen Spielball und Objekt der äusseren Bedingungen zu werden und sich von ihnen zum "typischen" Lagerhäftling umprägen zu lassen." Heroisch fährt Frankel fort: "Die geistige Freiheit des Menschen, die man ihm bis zum letzten Atemzug nicht nehmen kann, lässt ihn auch noch bis zum letzten Atemzug Gelegenheit finden, sein Leben sinnvoll zu gestalten. ... Eine letzte Möglichkei, das Leben sinnvoll zu gestalten, ist nämlich eben die Weise, in der sich der Mensch zu dieser äusserlich erzwungenen Einschränkung seines Daseins einstellt. ... Der Mensch wird allenthalben mit dem Schicksal konfrontiert und so vor die Entscheidung gestellt, aus seinem blossen Leidenszustand eine innere Leistung zu gestalten. Man denke nur an das Schicksal kranker Menschen, besonders der unheilbaren." Wie kann man sich mutig, würdig und tapfer seinem Tode entgegenstellen? - "Aber wenn man selber vor ein grosses Schicksal gestellt war, wenn man dann selber vor der Entscheidung stand, sich mit eigener innerer Grösse dem Schicksal eben zu stellen -, dann dachte man längst nicht mehr an jene spielerischen Vorsätze, und man versagte ...! ... [Aber !] Die psychologische Beobachtung an den Lagerhäftlingen hat vor allem ergeben, dass nur derjenige in seiner Charakterentwicklung den Einflüssen der Lagerwelt verfällt, der sich zuvor geistig und menschlich eben fallen gelassen hat; fallen liess sich aber nur derjenige, der keinen inneren Halt mehr besass! Worin hätte nun solch ein innerer Halt bestehen sollen und können?" Da der Lagerinsasse auf unbestimmte Zeit interniert war, wurde er zu einer "provisorischen Existenz". Er kennt keinen Entlassungstermin. Es herrscht eine Ungewissheit des Endes. "Er kann nicht mehr, wie der Mensch im normalen Dasein, auf die Zukunft hin existieren. Dadurch aber verändert sich die gesamte Struktur seines Innenlebens. Es kommt zu inneren Verfallserscheinungen." Frankel kann dieser Welt des Entsetzens dennoch noch was positives abgewinnen: "Die totale Entwertung der Realität, wie sie der provisorischen Existenzweise des Lagerhäftlings entspricht, verführt einen vollends dazu sich gehen zu lassen, sich fallen zu lassen - da ja ohnedies "alles zwecklos" sei. Solche Menschen vergessen, dass oft gerade eine aussergewöhnlich schwierige äussere Situation dem Menschen Gelegenheit gibt, innerlich über sich selbst hinauszuwachsen." Anstatt, dass das Leben versandet, sollte ein inneres Siegen gelernt werden. Um sich innerlich aufzurichten, muss man wieder ein Ziel in der Zukunft finden. Der Psychologe Frankel beschreibt seine Zukunftsvision aus seiner Lagerzeit so: "Plötzlich sehe ich mich selber in einem hell erleuchteten, schönen und warmen, grossen Vortragssaal am Rednerpult stehen. ... Und mit diesem Trick gelingt es mir, mich irgendwie über die Situation, über die Gegenwart und über ihr Leid zu stellen, und sie so zu schauen, als ob sie schon Vergangenheit darstellte und ich selbst, mitsamt all meinem Leiden, Objekt einer interessanten psychologisch-wissenschaftlichen Untersuchung wäre, die ich selber vornehme. ... Wer an eine Zukunft, wer an seine Zukunft nicht mehr zu glauben vermag, ist hingegen im Lager verloren. Mit der Zukunft verliert er den geistigen Halt, lässt sich innerlich fallen und verfällt sowohl körperlich als auch seelisch." Dies macht einem deutlich, wie wichtig Mut und Hoffnung sind! Man muss wieder ein Warum für sein Leben finden, dann lässt sich fast jedes Wie ertragen. Frankel meint, dass wir für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, verantwortlich sind. Frankels Antwort auf den Sinn des Lebens ist radikal: "Denn uns ging es längst nicht mehr um die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie sie oft in Naivität gestellt wird und nichts weiter meint als die Verwirklichung irgendeines Zieles dadurch, dass wir schaffend etwas hervorbringen. Uns ging es um den Sinn des Lebens als jener Totalität, die auch noch den Tod mit einbegreift und so nicht nur den Sinn von "Leben" gewährleistet, sonder auch den Sinn von Leiden und Sterben: um diesen Sinn haben wir gerungen!"
Frankel stellt dann ganz radikal und für mich unglaubwürdig fest: "Für uns war auch das Leiden eine Aufgabe geworden, deren Sinnhaftigkeit wir uns nicht mehr verschliessen wollten." Ist hier nicht doch der Masochismus durchgebrochen? Frankel löst das Problem der Existenz des Bösen so, dass er es versucht mit dem Leben zu verbinden und zu integrieren. Menschliches Leben hat immer und unter allen Umständen Sinn, und dieser unendliche Sinn des Daseins beinhaltet auch noch Leiden und Sterben, Not und Tod in sich! Wir sollen nicht armselig, sonder stolz leiden und sterben.
Es stellt sich aber auch die Frage, wie konnte so etwas schreckliches wie das KZ überhaupt entstehen? Wie ist es möglich, dass Menschen aus Fleisch und Blut anderen Menschen so entsetzliches Leid zufügen können? - Frankel ist wohl zu zustimmen, "dass ein Grossteil der Lagerwache einfach überhaupt abgestumpft war durch die vielen Jahre, in denen sie gleichsam in zunehmender Dosierung Zeugen des ganzen sadistischen Betriebs im Lager geworden waren." Und Frankel meint hoffnungsvoll, dass man menschliche Güte - wenn auch stark verschüttet - bei allen Menschen finden kann. Für ihn ist das Menschliche schliesslich "eine Legierung von gut und böse"! ... Was also ist der Mensch? Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was
es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat; aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist aufrecht und ein Gebet auf den Lippen." Wer aber überlebte, musste vielleicht feststellen, dass niemand der Geliebten noch lebt. Oder dass die anderen Menschen einen nicht verstehen wollen. Verbitterung und Enttäuschung sind die Folge. Längerfristig ist Frankel aber optimistisch für Holocaust-Üblerlebende, denn nach all dem Erlittenen müssen sie nichts mehr auf der Welt fürchten - ausser ihren Gott.

Viktor E. Frankel. 1946/2004. ...trotzdem Ja zum Leben sagen - Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. dtv, München.

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