Sonntag, 1. August 2010

Gibt es so etwas wie eine "progressive Offenbarung"?

Die Baha'i sind eine der jüngsten Weltreligionen. Und wie die Abrahamitischen Religionen sind auch sie monotheistisch. Sie glauben an den einen Gott und die Einheit der Religionen. Aber die Bibel ist nicht die alleinige Quelle göttlicher Offenbarung. Und Jesus ist nicht alleine massgebend. Zentral für ihr Religionsverständnis ist vielmehr das Konzept der "progressiven Offenbarung". Gott hat durch verschiedene Propheten zu den Menschen gesprochen. Neben Abraham und Moses, auch durch Mohammed, Krishna, Buddha und Zarathustra. Entsprechend rezitieren die Baha'i aus allen grossen Offenbarungsbüchern der grossen Weltreligionen. Die zur Zeit letzte göttliche Offenbarung fand im 19. Jahrhundert statt, als sich Gott dem Gründer der Baha'i - dem Baha'u'llah - offenbarte. Und auch für die Zukunft erwarten die Baha'i weitere Offenbarungen Gottes.
Worin wir mit den Baha'i übereinstimmen, ist die besondere Rolle, die Zarathustra in der Religionsgeschichte spielt. Wir glauben zwar nicht an direkte göttliche Offenbarungen Gottes an einen Propheten. So etwas ist zu sehr im Widerspruch mit dem wissenschaftlichen Weltbild. Aber die Religion, die Zarathustra um ca. 1700 bis 1000 v.u.Z. in Persien gestiftet hat, ist trotzdem von grosser Bedeutung. Im Zoroastrismus kommen zum ersten Mal alle wichtigen Elemente einer entwickelten monotheistischen Religion zusammen: Gott vs. Teufel, Paradies und Hölle und Auferstehung von den Toten und jüngstes Gericht. So hat der alt-persische Zoroastrismus als Ur-Monotheismus das spätere Judentum, Christentum und den Islam geprägt. Nietzsche muss dies wohl bewusst gewesen sein, als er sein Buch "Also sprach Zarathustra" geschrieben hat. Aber indem er seinen Zarathustra den Tod Gottes, den Willen zur Macht und den Übermenschen predigen lässt, verkehrt er grundsätzlich die göttliche Botschaft. Der Zoroastrismus ist vielmehr eine ausgesprochen ethische Religion. Wichtig sind richtiges und gutes Denken, richtiges Reden und gutes Handeln. Dabei wird mehr Gottes Güte betont, als seine Allmacht. Eine ähnliche Akzentverschiebung hat auch im Christentum stattgefunden. Während z.B. Gott im Alten Testament noch die Menschheit in der Sintflut ertränkt hat, opfert er sich/seinen Sohn im Neuen Testament am Kreuz für die Menschheit. Es wird hier deutlich, wie es zu einer Charakterentwicklung im Gottesbild kommt. Protestanten habe in diesem Zusammenhang von "progressiver Offenbarung" gesprochen.
Wir sind in diesem Zusammenhang mit "progressiv" einverstanden. Aber das theologische Konzept der "progressiven Offenbarung" muss mehr von einem philosophischen Standpunkt her gesehen werden. Mit Hegel meinen wir einen göttlichen Prozess zu erkennen, in dem "der Weltgeist sich seiner selbst bewusst wird". Heutzutage ist dies die Position einer Evolutionären Spiritualität. Es geht um ein göttliches Potential, das sich in dieser Welt realisiert. Es ist der Fortschritt und die Entwicklung der Zivilisationen, welche als göttliche Spur interpretiert werden.
Aber wir habe keine Gewissheit, dass es sich bei der Evolution um eine göttlich inspirierte Entwicklung handelt. Vielmehr könnte der Evolutionsprozess auch nur das Ergebnis zufälliger Faktoren sein. Vielleicht haben die pessimistischen Existenzialisten ja recht und wir sind allein auf dieser Welt. Und es gibt keinen Gott und keinen Sinn, ausser dem, den wir selbst individuell und kollektiv stiften.

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Auch wenn wir mit Nietzsches Zarathustra Interpretation ganz und gar nicht einverstanden sind, so wollen wir doch die von ihm inspirierte Musik erwähnen. Die Eröffnung von Richard Strauss "Also sprach Zarathustra" ist einfach eine musikalische Meisterleistung.

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