Samstag, 4. Juli 2009

Gut und Böse

Nach christlicher Tradition ist der Mensch sündig und bedarf der Erlösung. Aber auch aus humanistischer Sicht darf der dämonische Aspekt des Menschen nicht vergessen werden: Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung. Die Ursachen liegen in Stolz, Egozentrismus und dem Streben nach Macht. "Gut" steht für Worte und Handlungen, welche zur vollen Entwicklung des menschlichen Potentials (individuell, wie kollektiv) führen. "Böse", steht für das Gegenteil. Das Böse verhindert oder zerstört menschliche Entwicklung. Die moderne Psychologie geht davon aus, dass wir Menschen weder "gut" noch "böse" geboren werden. Wir sind zwar durch unsere Genetik in unseren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Aber unsere Erziehung hat doch einen entscheidenden Einfluss darauf, ob wir liebevolle Menschen werden oder nicht. Die Kinder, welche geliebt werden, um die man sich kümmert und die mit Feingefühl erzogen werden, werden meist selber liebende, fürsorgliche und vertrauensvolle Menschen in ihrem Erwachsenenleben. Umgekehrt werden Kinder, die unter Misstrauen leiden müssen und die Gewalt, Feindseligkeit und Missbrauch erfahren, später meist selber solche Menschen, die feindselig und gewalttätig sind.
Damit wir uns jahmillionen lang entwickeln konnten, hat sich ein starker Überlebensinstinkt ausgebildet. Es ist für uns "natürlich" das Beste für uns auszusuchen. Dies führt jedoch oft zu Konflikt mit anderen, die auch auf der Suche nach dem "Besten" sind. Wenn der Wunsch nach dem Besten für einen selbst nicht durch Empathie und Mitgefühl für andere eingeschränkt wird, kann dies zu zerstörerischem und bösartigem Verhalten führen. Selbsterhaltung wird zur Selbstverherrlichung, welche für andere schädlich ist. Der Diktator, dessen Gier und Lust nach Macht, sein Volk um das für's Überleben notwendige bringt, ist ein anderes Beispiel, wie der Selbsterhaltungstrieb zu Bösem führen kann.
Das Grundproblem ist unser Überlebenswille, welcher dazu tendiert zu einem alles umfassenden Willen zur Macht zu werden. Eigeninteresse ist die Wurzel von allem Übel - die Macht der Egozentrik. Wir haben alle einerseits eine kreative und konstruktive Seite, wie auch anderseits eine dämonisch-destruktive Seite. Das Leben ist voll von Tragödien, aber auch von Erhabenheit. Das Böse ist ein Potenzial in jedem von uns. Der "bösartige Narzissmus" (Erich Fromm) ist so total, dass die "infizierte" Person ihre ganze Empathie und den Respekt für andere verliert. Der "bösartige Narzisst" ist charakterisiert durch Grössenwahnsinn, Allmachtswahn und dem Bedürfnis nach devoter Bewunderung. Solche Personen sind so selbstbezogen, dass es ihnen nicht einfallen würde, sich Gedanken über die Folgen ihres Handelns für andere zu machen.
Alfred Adler sieht das Bedürfnis nach Anerkennung im Zentrum. Wobei jeder von uns irgend einen Minderwertigkeitskomplex zu verarbeiten hat. Dies führt zum Bedürfnis als Mächtiger, Berühmter oder Reicher anerkannt zu werden. Dieses Bedürfnis nach Anerkennung kann sehr wohl zur Triebkraft für grossartige Leistungen werden. Aber das Bedürfnis nach Überlegenheit kann Ursache für das Unglück anderer werden oder sogar so weit gehen, dass man im Unglück der Anderen Vergnügen findet! Unser natürlicher Wille zu Leben, hat sich in einen Willen zur Macht gewandelt. Die menschliche Natur steht in einer ständigen Spannung zwischen Gegenseitigkeit und Willen zur Macht. Unser Potenzial für Kreativität und Mitgefühl wird durch unseren Hang zur Zerstörung herausgefordert. Gut und Böse stossen in unserem Herzen aufeinander
Die moralische Folgerung ist, dass wir versuchen sollten, überlegend und bewusst zu leben. Die Folgen unserer Handlungen sollten uns immer klar sein. Und das Ziel sollte eine Maximierung unserer wohltätigen Handlungen und eine Minimierung unserer destruktiven Handlungen sein. "Sünde" entfremdet eine Person von ihrem wahren Selbst und von anderen. Die Ursachen destruktiven Handelns liegen in Stolz, Gier und Apathie
Stolz und Hybris sind das Ergebnis eines übergrossen Egos, einer überhöhten Meinung von sich selbst. Es resultiert in arrogantem Verhalten, welches oft damit einhergeht jemanden zu unterdrücken, um sich selbst erhöhen zu können. Wir wollen damit jedoch nicht jede Form von Stolz in Misskredit ziehen. Stolz auf eine erbrachte wertvolle Leistung ist gut und motivationsfördernd. Den Stolz, den ich meine, ist ein Überlegenheitsgefühl, das oft auch noch Gehorsam und Zustimmung verlangt. Es zerstört damit aber auch die Möglichkeit für Liebe und Gemeinschaft, weil diese auf Gleichheit aufbauen würden. Der Versuch unsere Endlichkeit zu leugnen, führt zu Hochmut. Der Versuch unsere höhere Bestimmung zu leugnen, führt zu einem Leben gefangen von Sinnlichkeit. Beides verhindert jedoch, dass wir voll Mensch werden können. Das Gleiche gilt für Apathie und Gleichgültigkeit, welche die Folgen einer so grossen Selbstbezogenheit sind, dass man selbst vom Leiden anderer unberührt bleibt.
Schliesslich können Sünde und Böses zu Götzendienst führen. Etwas Relatives oder Partielles werden zum Ganzen und Letzten erhoben.
Dennoch Liebe und der richtige Gebrauch der menschlichen Vernunft sollten auch weiterhin menschlichen Fortschritt ermöglichen. Humanismus ist die Verwirklichung des Besten und Höchsten in uns! Wir sollten unsere Macht und Kreativität dazu nutzen unsere jeweils spezifischen Eigenschaften zu entwickeln. Notwendig ist aber auch die destruktiven und tragischen Elemente der menschlichen Existenz nicht aus den Augen zu verlieren. Schliesslich ist das Schicksal des einzelnen Individuums stark mit der Gesundheit der Gesellschaft, in der er lebt, verbunden. Die Ausmerzung aller Formen der Intoleranz und Diskriminierung, basierend auf Rasse, Geschlecht und sexueller Orientierung, würde es ermöglichen, dass mehr Menschen friedlich und produktiv leben könnten. Auch ein Leitbildwechsel wäre angesagt: weg von einer Gesellschaft, die auf persönlichem Gewinn basiert, hin zu einer Gesellschaft, die den Dienst an alle zum Ziel hat, Gemeinschaften, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Wachstum und Kreativität als ethische Imperative. Wachstum bedeutet dabei nicht nur das Erlernen neuer Fähigkeiten, wachsen bedeutet auch bessere, weisere und liebendere Menschen zu werden. Wegbereitend dafür ist Bildung, aber auch ganz besonders die "Schule des Lebens". Menschen sind "soziale Tiere". Wir können nur in Beziehung zu anderen lernen unsere volle Humanität zu entwickeln. Zuerst in der Familie, dann in grösseren Gruppen. Martin Buber spricht vom "dialogischen Leben". Wir werden menschlich in und durch die Gesellschaft. Wir sind voneinander abhängig und stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Dabei darf aber auch nicht vergessen werden, dass es letztlich die menschliche Freiheit ist, die uns etwas realisieren lässt. Die Freiheit wird zur Quelle unserer Einzigartigkeit, ganz besonders auch im religiösen Bereich. Wir sollten die Anstrengung auf uns nehmen, selber zu entscheiden, woran wir glauben wollen und woran nicht. Die Unterwerfung unter eine religiöse Autorität ist zwar bequemer, aber nicht der bessere Weg.
Die Geschichte des religiösen Humanismus ist die Geschichte des langen Kampfes der Menschheit für Freiheit. Es ist die Geschichte der hebräischen Propheten, welche das Judentum aus einer Religion der Riten und Gebote in eine ethische Religion (10 Gebote) umwandelten. Es ist die Geschichte von Jesus, der aus der jüdischen Religion der Gesetze eine Religion des Herzens machte. Es ist die Geschichte der protestantischen Reformation, welche eine Religion frei von Priestern und kirchlicher Autorität anstrebte. Es ist die Geschichte von Buddhas Reform des Hinduismus. Es ist die Geschichte der Befreiung des Geistes von Aberglauben und von religiösen Dogmen, welche Fanatismus und Hass fördern. Es ist die Geschichte vom Aufstieg der Demokratie, welche die Menschen von politischem Autoritarismus befreit. Es ist die Geschichte der Gleichberechtigung von Farbigen, Frauen und Homosexuellen. Verwirklichte Freiheit macht das menschliche Leben humaner. Schliesslich ist die Freiheit die Quelle von Gut und Böse.
Bleibt ein letztes Wort des Optimismus. Menschen sind mehr positiv als negativ. Unsere Intelligenz, unsere Freiheit und Verantwortung, unsere Kreativität und unser Altruismus sind Zeichen der menschlichen Grösse. Motivation hierzu finden wir vielleicht gerade in unserer Sterblichkeit. In dieser Welt leben wir nach unserem Tode nur noch darin weiter, indem was wir hinterlassen haben. Dies ist vielleicht die letzte Motivation etwas zur Besserung der Welt beizutragen, etwas grösser als das Leben!

Zusammenfassung des Kapitels "Human Nature and Destiny", aus dem Buch von William R. Murry "Reason and Reverence - Religious Humanism for the 21st Century" (Skinner House Books, Boston, 2007).

Nach all der Kopflastigkeit noch ein kurzer Videoclip von Sandokan, dem wagemutigen Helden und Freiheitskämpfer aus Malaysia. Für ihn hat Ende der siebziger Jahre ganz Europa geschwärmt - Ost wie West. Denn wir brauchen Helden. Männer und Frauen zu denen wir aufschauen können, um aus ihrem Vorbild Kraft zu schöpfen.

Sandokan Song

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