Die Vision einer europäischen Friedensordnung ist alt. Sie stand auch am Beginn der Kritik des Absolutismus. Saint-Pierre publizierte hierzu 1713 ein dreibändiges Werk: 'Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe'.
Als Vertreter der Frühaufklärung glaubte er an die Fähigkeit des Menschen, sich zu vervollkommnen, was jedoch politischer und sozialer Reformen und neuer Institutionen bedürfe. Ein gutes Leben sei nur zu erlangen, wenn Vorurteile, Unwissenheit und der Aberglaube überwunden würden. Als einer der ersten schlug er vor, durch einen europäischen Staatenbund Kriege zu verhindern.
Er analysiert, dass der gegenwärtige Zustand nur zu weiteren Kriegen führen wird. Als Ausweg wird ein dauerhaftes Schiedsgericht vorgeschlagen. Hinreichende Sicherheit über die Einhaltung gegenseitiger Versprechen würde durch einen Einigungsvertrag der Souveräne erlangt. Weiter sollte ein dauerhafter Kongress eingerichtet werden. Die so konzipierte europäische Union würde den schwächsten Staaten hinreichende Sicherheit vor den grossen Mächten bieten, die Einhaltung von Versprechen überwachen, die Fortdauer des Handels gewährleisten und sicherstellen, dass künftige Streitigkeiten durch Schiedsrichter beigelegt werden. Die Struktur der Argumentation von Saint-Pierre lässt sich als Anwendung des kontraktualistischen Gedankens der Naturrechtstheorie auf die Sphäre der Verhältnisse zwischen den Staaten beschreiben. Wie zunächst - vor der Entstehung von Gesellschaft und Staatlichkeit - zwischen den Menschen Anarchie herrschte, so besteht Anarchie - und damit die ständige Gefahr eines Krieges - zwischen den Staaten. Um diesen Kriegszustand zu beenden, ist es notwendig, dass die Souveräne in Analogie den einzelstaatlichen Eintritt in den gesellschaftlichen Zustand einer "europäischen Gesellschaft" begründen. Ihr Verhältnis untereinander soll duch Regeln geklärt sein und ein Schiedsgericht soll alle Streitfälle unter ihnen entscheiden. Dafür muss es mit Zwangsgewalt ausgestattet werden. Im Grossen träumte Saint Pierre auch schon einmal den Traum einer Weltunion.
Rousseaus Einwand, dass erst Demokratien zu einem solchen Friedensschluss fähig sind, ist aber wohl zu zustimmen. Despoten sind zu machtversessen, als dass sie freiwillig auf einen Teil ihrer Macht verzichten würden. Einer Oberherrschaft einer europäischen Union über ihrem Herrschaftswillen werden sie nie freiwillig zustimmen. Die Geschichte hat dies auch bewiesen. Zunächst kam das Zeitalter der Imperien. Erst nach dem 2. Weltkrieg fanden die nun zu Demokratien gewordenen europäischen Staaten zu einer Europäischen Union zusammen. Es ist faszinierend, wie alt der Gedanke einer europäischen Friedensordnung ist. Aber erst Demokratien sind nach innen und aussen genügend friedlich um das Entstehen einer umfassenden Friedensordnung - basierend auf dem Rechtsgedanken - zu ermöglichen, und dafür teilweise auf Souveränität zu verzichten! Übrigens hat sich auch Kant in seinem Friedensprojekt von Saint-Pierre beeinflussen lassen. Aber - wie Rousseau - sah er den "ewigen Frieden" erst in einer Union von Demokratien gesichert!
Zu Saint-Pierre und dem historischen Projekt einer europäischen Friedensordnung kann der entsprechende Artikel im 'Grundriss der Geschichte der Philosophie' (Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Band 2, Frankreich, 2008, S. 168-178; Hrsg. H. Holzhey) empfohlen werden.
Auch der Wikipedia Artikel Charles Irémée Castel de Saint-Pierre ist aufschlussreich.
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