Usama bin Laden wurde zum Helden, der den Fehdehandschuh aufhob und das überhebliche, selbstgerechte Amerika, das zum Feindbild einer in ihren persönlichen und politischen Ambitionen frustrierten muslimischen Jugend geworden war, seinerseits demütigte. ... Für sie ging es darum, eine Ehre wiederzuerlangen, die ihrem Empfinden nach vom Westen so gut wie von den eigenen Regimen seit langem mit Füssen getreten wurden. ...
Der von Saudiarabien propagierte salafitische Islam hemmte einerseits die Entwicklung eines modernen, demokratischen Islamverständnisses und bereitete anderseits den Weg für noch extremistischere Lesarten.
Bin Laden verkörperte für seine Anhänger nicht nur Heldentum, sondern auch Askese: Er entsagte dem Reichtum, in den er geboren war, um sein Leben dem Kampf für einen vom Westen und von dessen orientalischen "Lakaien" entehrten Islam zu weihen. Er verzichtete auf Wohlleben und Bequemlichkeit, um sich für die Muslime, die unglücklichen Weisen einer grossen Vergangenheit, in die Bresche zu werfen. Bin Laden faszinierte - die jungen Araber, die nach dem Schulabschluss arbeitslos auf der Strasse standen und sich mit zweifelhaften Mitteln über Wasser halten mussten, ebenso wie eine neue Generation von Ingenieuren und Wissenschaftern in der islamischen Welt, die mit wachsendem Zorn feststellte, dass ein despotisches, klientelistisches Staatswesen ihnen ihre Bürgerrechte, die Möglichkeiten beruflichen Aufstieges, demokratische Partizipation und soziale Gerechtigkeit vorenthielt.
Für die in Europa lebenden jungen Muslime der zweiten und dritten Generation - die häufig aus bescheidenen Verhältnisssen stammten und die sich wurzellos und von der Gesellschaft abgehlent fühlten - war bin Laden zudem ein Antidot gegen Rassismus und Symbol einer neu entdeckten Würde. ... Indem sie Furcht und Hass erweckten, konnten sie sich bei den Europäern zumindest Respekt verschaffen. Eine Logik der Angst, bei der Achtung um den Preis von Ablehnung erworben wurde.
Die Angst wirkte zudem als ausgleichende Kraft: Der Europäer, der sich dem jungen Muslim überlegen fühlte, war nun gezwungen, ihm auf Augenhöhe gegenüberzutreten - nicht gutwillig allerdings, sondern mit Furcht und Zittern. ... So fühlten sie sich gefeit gegen die kaum verholene Missachtung, der sie allenthalben begegneten. Aber ... je mehr man sich Respekt durch Furcht verschafft, desto kleiner wird die Chance, sich an dem Ort zu integrieren, wo man - trotz allem - lebt und leben muss.
Diese von Frustration und Demütigung genährte Weltsicht, welche die beschmutzte Ehre durch Gewalt reinwaschen will, hat in den arabischen Ländern dank dem demokratischen Aufbruch der letzten Monate einstweilen ausgedient. ... Diese neue Einstellung brach die Logik von Groll und Ressentiment, auf der das von bin Laden und seinen Gefolgsmännern portierte Modell beruhte: das Heimzahlen von Gewalt durch noch mehr Gewalt, von Demütigung durch zehnfache Demütigung. Wo sich das Tor zur Demokratie öffnet, zeichnet sich auch ein neues, entspanntes Verhältnis zum Okzident ab - und damit ein Ende des Teufelskreises aus Demütigung und Rache, dessen unbestrittener Held Usama bin Laden war. ...
Sollten die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt jedoch scheitern, dann würde Usama bin Laden in den Genuss einer postumen Renaissance kommen; seine Botschaft könnte wieder auf empfängliche Ohren stossen, wenn sich das Gefühl ausbreitet, der Okzident habe die Araber im Kampf um ihre demokratischen Rechte im Stich gelassen. Hier ist Vorsicht geboten; denn wenn die Hoffnung auf Bürgerrechte und politische Teilhabe einmal mehr enttäuscht werden, dann öffnet sich ein Leerraum, der jenen Extremismus erneut zu legitimieren scheint, dessen Inbild und oberster Charismatiker Usama bin Laden war."
Farhad Khosrokhavar, Forschungsdirektor EHESS Paris
Der ganze Artikel kann unter Usama bin Laden und die Logik der Angst nachgelesen werden, NZZ Online, 7.5.11
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"Thymos ist das emotionale Bedürfnis eines jeden Menschen nach Anerkennung durch andere. Megalothymia ist der Wunsch von anderen als überlegen anerkannt zu werden, während Isothymia das Bedürfnis anderen gegenüber als gleich anerkannt zu werden darstellt."
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