Sade brachte die Negation Gottes als Rechtfertigung für eine weitere Negation, nämlich die Tötung all jener Menschen, die sich freiwillig einem Gott unterworfen, sich also einem allmächtigen Wesen gegenüber zu einem Nichts degradiert und so bereits selbst negiert haben. Er geht so weit, den Gottesgedanken durch die Konzeption eines "Höchsten Wesens des Bösen" auf den Kopf zu stellen: Der Innenminister Saint-Fond in 'Juliette' führt das Böse in der Welt auf die bösen Absichten Gottes zurück. Es ergibt sich daraus nicht etwa eine Diskussion der Theodizee, sondern das vollständig ausgearbeitete System einer bösen Gottheit. In einer seltsamen Mischung aus materialistischem Gedankengut und der Umkehr christlichen Denkens entfaltet Saint-Fond eine Ethik das Bösen: Es gilt, hiernieden möglichst viel Böses zu wirken, um die Moleküle des eigenen Körpers nach dem Tod schmerzfrei wieder mit den "Molekülen des Bösen" vereinigen zu können. Die nichtigen Menschen im Namen eines bösen Gottes auszulöschen, ist die Voraussetzung, um selbst gottähnlich zu werden.
Aber der Tod bleibt ein Naturgesetz, über das sich auch die Sadisten nicht hinwegsetzen können. Selbst die Vernichtung der Welt bedeutet im Universum der Natur nichts. Durch reale Zerstörung kann sich der Mensch also nie vom Gängelband der Natur befreien. Über diesen Punkt ist Sade lange Zeit nicht hinausgekommen. Band für Band wiederholen sich die gleichen Schreckenstaten. Erst gegen Schluss seiner Arbeit an 'La Nouvelle Justine/ Juliette' wird er sich dieses Leerlaufs bewusst, und so entsteht allmählich ein Hass auf die Natur, der sich im antirousseauistischen Programm des Chemikers Almani artikuliert.
(Michael Pfister und Stefan Zweifel im: 'Grundriss der Geschichte der Philosophie')
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