"Die sinnliche Lust gewährt die Erfahrung bruchlosen Einsseins mit dem eigenen Leib und zugleich bruchlosen Aufgehens in einem Ganzen, mit dem jegliche Begrenzung - für den Moment - aufgehoben scheint. [...]
Die Faktizität unseres Daseins offenbart sich [aber] leiblich am aufdringlichsten im physischen Schmerz. Denn dieser impliziert die Erfahrung eines Risses. Die unterschiedslose Einheit zwischen mir und meinem Leib wird aufgebrochen, indem sich mir im Schmerz der Leib als das Andere meiner selbst aufdrängt, das zutifest unvertraut und unheimlich ist. Im schmerzfreien Zustand bleibt der Leib meist unbeachtet; ich bin, [...] mit "Leib und Seele" bei der Sache oder einem Menschen, die bzw. der mich "ganz" beansprucht. Der Schmerz zwingt mich auf meinen Leib zurück. [...] Im Schmerz demonstriert der Leib gerade seine "unüberwindbare Souveränität". Im Schmerz erfahre ich mich ausgeliefert einem (naturhaften) Leibgeschehen mit eigenen Gesetzmässigkeiten, die mich im ganzen bedingen und auch bedrohen. Wenn Merlau-Ponty vom "Wohnen im Leib" spricht, so ist im Schmerz gerade diese Vertrautheit des "Wohnens" negiert. Damit aber tritt der Leib in seiner Leibhaftigkeit hervor, fremd und unverfügbar. [...]
Die Geworfenheitsmomente des Leiblichen bringen uns also in spezifischer - eben leibhaftiger - Weise vor unser In-der-Welt-sein. Im Leib und insbesondere als der eigene Leib begegnet uns ein Stück unvertraut-unheimlicher Welt, der wir nicht entkommen, die wir uns aber auch nur in begrenztem Masse und vorläufig vertraut machen können. Damit erschliesst sich uns vom Leib her auch die Beschränktheit unserer Freiheit und Selbstbestimmung. Das individuelle Verhältnis zum eigenen Leib gibt nicht zuletzt Antwort auf die Erfahrung eigener Endlichkeit, die eben mit dem Leib zu machen ist: [...] die Erfahrung der grundsätzlichen leiblichen Brüchigkeit."
aus: Alice Holzhey-Kunz. 2001. Leiden am Dasein - Die Daseinsanalyse und die Aufgabe einer Hermeneutik psychopathologischer Phänomene. Passagen Verlag, Wien. S. 72-74.
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