Dienstag, 21. April 2009

Die drei Gesichter integraler Spiritualität

Auch wenn wohl keine einzige Perspektive dem Mysterium unserer Existenz gerecht werden kann, ist die drei Ansätze in sich vereinigende integrale Spiritualität ein bedenkenswerter Versuch. Für mich ist z.Z. die Frage, ob eine monotheistische oder eine pantheistische Religionsphilosophie die angemesserne ist, von grosser Bedeutung? - Es ist wohl, zusammen mit der Frage nach der Bedeutung des "Nichts", das grosse Problem Ost-Westlichen interreligiösen Dialogs: Gott, Alleinheit oder Nichts? - Ken Wilber et al. haben nun versucht in ihrer "Integral Life Practice" (2008), drei zentrale spirituelle Sichtweisen in der Metapher "der drei Gesichter" zu vereinen. Die verschiedenen Ansätze sollen sich wechselseitig ergänzen und nicht ausschliessen. Wie in einem Fächer, werden so drei spirituelle Hauptströmungen zusammengefasst. Auch wenn dabei die strenge Logik auf der Strecke bleibt, scheint es mir allemal eine Bereicherung für die religiöse Gefühlswelt zu sein.

Immerhin sind wir Menschen doch fähig sowohl eine erste, zweite und dritte Person-Sichtweise einzunehmen. Anhand der verschiedenen Jesus-Interpretationen sollen einmal die verschiedenen Stufen spirituellen Bewusstseins (nach Wilber et al.) durchdekliniert werden:

- Die unterste Stufe ist, die des magischen Gottes. Jesus ist der Magier, der Wasser in Wein verwandelt. Es ist die präkonventionelle, egozentrische Stufe. Jesus ist für mich von Bedeutung, weil er meine Gebete erhört, meine Bedürfnisse befriedigt und mich segnet.

- Die nächste Stufe ist, die des mythischen Gottes. Jesus ist der Messias, der Verkünder der ewigen Wahrheit. Diese Stufe ist absolutistisch in ihrem Glauben. Ich muss entweder wortwörtlich an die "Heilige Schrift" glauben oder ich bin verloren. Diese Stufe ist ethnozentrisch, vereint im Kampf gegen die Heiden. Nur diejenigen, die Jesus Christus als ihren persönlichen Retter und Heiland akzeptieren, werden gerettet werden.

- Die dritte Stufe ist erreicht mit einem rationalen Weltbild. Jesus ist der Lehrer universeller Liebe eines deistischen Gottes. Da hier auch Toleranz für andere Glaubensüberzeugungen besteht, ist hier die weltzentrische Glaubensstufe erreicht.

- Die vierte Stufe, der pluralistische Gott. Hier wird das Göttliche in mir und in allen anderen Menschen erkannt. Bibelzitate werden dekonstruiert und neuinterpretiert, damit sie auf universellere Art und Weise zu uns sprechen können. Die Weltsicht wird multizentrisch. Die ganze Vielfalt der verschiedenen spirituellen Pfade wird anerkannt. Das Christentum ist nicht besser oder schlechter als anderen Wege.

- Schliesslich erläutern Wilber et al. die letzte und höchste Stufe: der "Integrale Gott". Das universelle "Christusbewusstsein" kann in allem und jedem gefunden werden. Inwiefern es sich nun in Wahrheit aber eher um eine pan(en)theistische Sichtweise handelt, ist für mich offen? Es müsste doch vielmehr der Gott als Schöpfer dieser Welt, als creatio ex nihilo, dass Kriterium für eine kosmozentrische Sichtweise des monotheistischen Glaubens sein.

Patten (2009) erläutert auch noch einen neurologischen Grund, warum wir uns der 2. Person-Spiritualität hingeben sollten. Das menschliche Gehirn hat sich in Gruppen von Jägern und Sammlern entwickelt. Entsprechend ist es mental und emotional auf Beziehungen zu anderen hin geprägt. Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan. Dieser relationale Aspekt kann bei einer 1. Person "IAMness"-Spiritualität oder 3. Person Naturkontemplation oder Philosophie nicht zum Ausdruck kommen

Wie die Unterteilung in magisch, mythisch, rational, pluralistisch und integral für einen pantheistischen Glauben aussehen müsste, bleiben uns Wilber et al. schludig. Wenn wir bei Pantheismus an Hinduismus denken und dort insbesondere an die Advaita Vedanta-Lehre, dann müsste diese Stufenfolge wohl ungefähr so aussehen:

- Auf der magischen Stufe sind all die vedischen Opferrituale.

- Auf der mythischen Stufe ist die polytheistische Götterwelt der Inder (z.B. Brahman: der Weltenschöpfer, Vishnu: der Weltenerhalter, Shiva: der Weltenzerstörer).

- Die rationale, aufgeklärte Stufe scheint im Hinduismus noch relativ wenig entwickelt zu sein. Eine Ausnahme kann hier vielleicht Radhakrishnan darstellen. Der Oxford Professor und President Indiens.

- Was den Pluralismus anbelangt, so ist dieser im Hinduismus im allgemeinen hoch einzuschätzen. Denn es besteht unter den Indern eine grosse Toleranz, was die grosse Vielfalt an Götter anbelangt. Zum Teil wird sie auf eine Alleinheit hinter allen Dingen zurückgeführt. So die klassische Advaita Vedanta-Lehre und im Neohinduismus der Idealismus bei Sri Ramakrishna und Sri Vivekananda. Mit Idealismus ist auch das Stichwort für die letzte, die integrale Stufe genannt.

- Während ich Mühe habe von einem "integralen Gott" zu reden, scheint mir mit dem Hindu-Idealismus, beginnend mit den Upanishaden um ca. 500 v.u.Z., die integrale Stufe geboren zu sein. Über Shankara im Mittelalter hin zu Beginn vom 20. Jahrhundert bei Sri Aurobindo. Sri Aurobindo hat nach Studium des deutschen Idealismus und klassischen indischen Schriften eine elaborierte spirituelle Philosophie entwickelt, welche westliches, evolutionäres Denken mit altem, indischem "integralem Denken" zu verbinden versuchte. Und es ist jenes "integrale Denken", dass auch Ken Wilber sehr beeinflusst hat.

Was für mich jedoch sehr problematisch ist, dass mit ganzheitlichem Denken meistens auch Meditation einhergeht. Die Einheit von allem soll direkt mystisch fühlbar und einsichtig werden. Neben dem Hinduismus ist der direkte Erfahrungsaspekt der Meditation auch für den Buddhismus sehr zentral. Ein aufgeklärtes, philosophisches Denken sperrt sich nun aber gegen "esoterische" Einsichten, die nur dem Einzelnen einsichtig werden (wenn überhaupt !) und nicht intersubjektiv vermittelt werden können. Integrales Denken ist für mich v.a. als eine spekulative, philosophische Weltsicht von Bedeutung. Mit der integralen Sichtweise wird auch einem überschiessenden post-modernen Pluralismus entgegengehalten. Aus der Sicht einer Alleinheit bin ich zwar Gott, aber sind wir alle zusammen auch Gott, und v.a. muss ich Gott - die Einheit - auch noch im Geringsten von uns allen erkennen (vgl. Posting "The Heart of Integral Thinking", vom 1. März '09)! Dies das liebevolle Paradox integralen Denkens.

Als spirituelle Praxis möchte ich aber doch nicht ganz auf die Meditation verzichten. Die Augen schliessen und versuchen Ruhe im "Monkey Mind" zu finden, ist nicht ganz einfach. Und wenn ich wieder die Augen öffne, was für eine Ruhe um mich herum. Wenn auch dieses Gefühl nicht lange anhält. - Ob beten da die bessere Alternative ist?

Zurück zur Metapher: "Die drei Gesichter integraler Spiritualität". Entweder versuche ich den Geist reinen, formlosen Bewusstseins in Meditation in der Form der 1. Person zu finden ("integrales Erwachen"). Oder im Gebet der 2. Person in "integrale Kommunion" mit dem ganz Anderen, dem geliebten göttlichen "Du", dem Schöpfer dieser Welt, zu treten. Oder in der 3. Person über die Welt, den Kosmos zu kontemplieren. Die Spiritualität der 3. Person eröffnet sowohl Naturmystik, wie auch Wissenschaft, Philosophie und Theologie. Wahre integrale Spiritualität versucht alle drei Sichtweisen einzubeziehen und zu transzendieren ("to transcend and include"). Und der Schlüssel "zum Ganzen", der dies möglich macht, ist nach Wilber et al.: "The paradoxical understanding at the heart of true nondualism makes room for the full range of all dualist possiblities." So die neuste Generation integraler Denker, in der Linie von Sri Ramakrishnan, Sri Vivekananda und Sri Aurobindo. Liberale Religion würde wohl aber das Gleiche an religiösem Pluralismus ermöglichen...


Literatur:

Ken Wilber, Terry Patten, Adam Leonard & Marco Morelli. 2008. Integral Life Practice - A 21st-Century Blueprint for Physical Health, Emotional Balance, Mental Clarity and Spiritual Awakening. Integral Books, Boston. Insbesondere: Chapter 7, The Spirit Module, S. 197-230.

Terry Patten. 2009. The Three Faces of Spirit. http://integralheart.com/node/129.

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