Mittwoch, 28. Oktober 2009

Der utopische Anspruch des Christentums

Unsere Gesellschaft beruht auf Gewaltverhältnissen und Herrschaft von Menschen über Menschen. Und die Alpha-Tiere meinen, dass ihnen auch noch ein besserer Platz im Himmel zusteht. So berichtet eine Geschichte in den Evangelien, dass die Brüder Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, hervorgetreten sind und Jesus fragten: "Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den anderen links neben dir sitzen." Jesus aber führt zum Thema Herrschen und Dienen aus: "Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch gross sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele." (Markus 10,37 & 10,42-10,45).

Das Gesagte baut natürlich auf Jesus Liebesphilosophie auf, welche er in der Bergpredigt - in der Rede von der wahren Gerechtigkeit - ausführlich erläutert. Er beginnt mit der Seligpreisung:
"Er sagte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig, die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weisen verleumdet werdet. Freut auch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird gross sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt." (Matthäus, 5,3-5,12).

Dann erklärt er den Menschen, dass sie das Licht der Welt sind.
"Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäss darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." (Matthäus, 5,14-5,16).

Der Höhepunkt seiner Liebesmystik ist dann aber seine Rede von der Liebe zu den Feinden: "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eueres Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüsst, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?" (Matthäus, 5,43-5,47).
Im Hinblick auf Vergeltung lehrt Jesus: "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. [...] Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab." (Matthäus, 5,38-5,40 & 5,42). Hier erkennt Jesus sehr wohl, was er fordert, nämlich nicht weniger als: "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist." (Matthäus, 5,48). Das Prinzip der Nicht-Vergeltung ist sicher sehr weise. Gewaltspiralen können so zum Stillstand kommen. Aber ob die totale, freiwillige Auslieferung an seine Feinde immer der richtige Weg ist, will ich doch anzweifeln! Hierzu ist ein kleiner Exkurs mit zwei Beispielen angebracht.

Einerseits Gandhi mit seinem gewaltfreien Widerstand gegen die Engländer. Gandhi hat konsequent auf Nicht-Gewalt (sanskrit ahimsa) gebaut. Und da er es im Falle der Engländer doch noch mit einigermassen zivilisierten Menschen zu tun hatte, hat dies schliesslich grossen Eindruck gemacht. (Kolonialismus ist nicht nur als eine Form der Ausbeutung zu verstehen, sondern auch als die Last des weissen Mannes die Kolonialvölker zu zivilisieren und zu entwickeln.) Im Falle aber z.B. der Nazis, glaube ich dass völlige Gewaltlosigkeit ein Fehler gewesen wäre. Dafür waren die Nazis zu machtbesessen und zu gewaltbereit! Hätte die "freie Welt" keinen Widerstand gegen die Nazis geleistet, wäre Europa heute wahrscheinlich unter der Herrschaft der Nazis, anstatt dass sich eine friedliche Union Europäischer Staten (EU) herausbilden würde.

Aber zurück zu Jesus vor 2000 Jahren und seiner totalen Opferbereitschaft. Sein qualvoller Opfertod am Kreuz macht doch Eindruck und hat das Christentum geprägt. Nur kann ich als moderner Mensch nicht daran glauben, dass sein Opfertod von irgendwelcher religiöser Heilsbedeutung sein sollte! Das Kreuz steht also "nur" als Symbol für übermenschliche, altruistische Opferbereitschaft. Und seine Forderung "Folge mir nach" (Matthäus, 9,9) ist als eine Aufforderung zu verstehen, bereit zu sein zum äussersten Einsatz für eine gute Sache!
Wer dennoch weiterhin an das "Kreuz" glauben will, wird es wohl so verstehen, dass Gott wirklich bereit ist, sich um uns zu kümmern, selbst wenn es auch für Ihn einmal anstrengend und sogar qualvoll werden sollte. So aber die Allmacht Gottes anzuzweifeln, öffnet der Frage Tür und Tor, wer Gott so gewaltig herausfordern können sollte? Das müssten wohl schon sehr finstere, böse, eben satanische Kräfte sein. Satan ist der göttliche Widersacher.

Ich möchte aber versuchen, nicht in einen solchen Dualismus zu verfallen. Es kann zwar sehr wohl gezweifelt werden, ob Jesus überhaupt wirklich gelebt hat? Denn die Evangelien könnten auch bloss literarische Fiktion sein! Und wenn es einmal einen charismatischen Jesus aus Fleisch und Blut gegeben hat, wurde er wohl wegen seiner revolutionären Liebesbotschaft und seiner Aufsässigkeit gegen die Obrigkeit hingerichtet. Aber das von seinem Kreuzestod, dass Heil der Menschheit abhängen sollte, ist wohl eher eine morbide Phantasie, die später dazu gedichtet wurde. Jesus steht für mich nicht als Widerstand gegen Satan, sondern will uns vielmehr daran erinnern, immer unser "Bestes" zu geben!
Dennoch scheint mir seine Warnung vor den zwei Wegen und vor den falschen Propheten als sehr weise. "Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn." Und: "Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit, aber sind sie reissende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie [aber] erkennen." (Matthäus, 7,13-7,16).
Schliesslich können wir uns die ganze Botschaft auch ganz einfach merken, in Form der Goldenen Regel.
"Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten." (Matthäus, 7,12).

Später, nach Jesus Tod am Kreuz, beginnt die Geschichte der kirchlichen Christenheit. Eine christliche Kirche sollte sich nun bilden, als (figurativer, auferstandener ?) Leib Christi. Und in dieser christlichen Gemeinschaft sollte Gottes Gegenwart sichtbarwerden. Neben den Evangelien bilden die Briefe des Apostel Paulus den grössten Teil des Neuen Testaments. In ihnen geht er auf Glaubensfragen ein, ermahnt aber auch Gemeinden, die sich nicht so recht entwickeln wollten. Er fordert die Gläubigen auf zu einem Leben aus dem Geist.
"Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn! Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet. [...] Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht! Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden! [...] Bleibt demütig! Haltet euch nicht selbst für weise! Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! [...] Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute! (Brief an die Römer, 12,9-12,21).
Schliesslich belehrt uns Paulus über die höheren Gnadengaben und er singt das Hohelied der Liebe. "Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, der alles übersteigt:
Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wen ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besässe und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. [...]
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf! (1. Brief an die Korinther, 13,1-13,8).

Wie utopisch dieses Weltbild ist, darüber lässt sich streiten. Aber auf alle Fälle geht von solchem Liebesreden eine grosse Faszination aus. Eine Flamme der Liebe ist entzündet worden. Das Ideal ist eine Gesellschaft ohne Gewalt. In der wir weder herrschen müssen, noch beherrscht werden. Wo wir "mit anderen für andere da sind". Eine Gesellschaft von einander helfenden und einander dienenden Menschen, die einander brauchen. Eine Gesellschaft, in der jeder gebraucht wird, in der es kein Oben und kein Unten gibt, sondern in der alle gleich nebeneinander stehen, gleichberechtigt und gleich wichtig, mit verschiedenen Gaben in ein und derselben Familie, wie Geschwister.

Und was heute noch nicht ist, kann ja noch werden....

***
... und die Text Lyrics dazu.

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