Donnerstag, 11. November 2010

Leiden am Dasein 2 - Sadismus und Masochismus

Pathologische Formen des Seins zum Tode: Wunsch nach dem Unmöglichen, nämlich der Aufhebung menschlicher Begrenztheit und Nichtigkeit!
Es sind Versuche, "Differenz und Andersheit aus dem Leben radikal zu eliminieren. Die Weigerung, die Nichtigkeit des Existierens wenigstens partiell anzuerkennen, vollzieht sich entweder als Zerstörung des Anderen in Sadismus und Hass oder als Selbstzerstörung in Masochismus und Melancholie. [...]
Der Sadist versucht, den anderen Menschen zum blossen Objekt zu erniedrigen, das heisst ihn zu zwingen, seine Andersheit, seine Freiheit, seinen eigenen Willen preiszugeben. Es ist aber die Andersheit des anderen Menschen, an der ich meine eigene Begrenzung erfahre. [...] In der Absicht des Sadisten, einen anderen Menschen zum willenlosen Instrument zu machen, liegt der Versuch, das Faktum der Unverfügbarkeit des Anderen zu widerlegen und die eigene absolute Macht mittels Erniedrigung und Entselbstung des Anderen zu demonstrieren.
Der Masochist tendiert dazu, seine eigene Freiheit aufzuheben, sich buchstäblich von ihr zu befreien, blosses Objekt zu werden für ein Subjekt. Die Verwandtschaft von Sadismus und Masochismus ist immer wieder hervorgehoben worden. Um das Gegenüber zum Anderen, das mich meine Begrenzung und Vereinzelung erfahren lässt, aufzuheben, kann ich mich entweder der Andersheit des Anderen bemächtigen wie der Sadist oder meine Selbstheit preisgeben und mich vom Anderen assimilieren lassen wie der Masochist. Das Ziel ist dasselbe, nämlich eine Form des Miteinanderseins zu erreichen, in der die Differenz zum Anderen, die mich auf mich zurückverweist, aufgehoben ist. Die Wege sind gegensätzlich: Der Sadismus beinhaltet einen Machtanspruch, den Willen, sich zu entgrenzen durch Zerstörung der Andersheit des Anderen, letzlich Hass gegenüber dem Anderen als dem Unverfügbaren. Der Masochismus verweist auf Ohnmacht und letztlich auf Melancholie dort, wo die Aufhebung des eigenen Selbst im Anderen nicht (mehr) gelingt oder gar nicht (mehr) versucht wird. Der Sadist hat sich als "Subjekt" gesetzt und will ein Leben realisieren, das die Grenzen zum Anderen sprengt, der Masochist weicht vor der Erfahrung, er selbst zu sein, zurück in die Rolle des willenlosen und damit schuldlosen "Objektes".
Hass und Melancholie sind damit bereits angesprochen. Sie repräsentieren die radikalsten Formen der Antwort auf die 'Frage' des Todes, nämlich die Weigerung, das Leben als ein Sein zum Tode zu übernehmen, beziehungsweise das Leiden daran. Der Hassende wil nicht nur Verfügung über den Anderen, sondern er will eine Welt realisieren, in der es den Anderen nicht gibt, was nur als Zerstörung der Welt und letztlich auch seiner selbst möglich ist. Der Melancholiker will in einem anderen Menschen aufgehoben sein; mehr noch, sein Wunsch, von der eigenen Ungeborgenheit und Schuldhaftigkeit befreit zu sein, lässt sich in keiner Form des Miteinanderseins erfüllen. Die Begrenzung, die zum menschlichen Existieren als je eigenem gehört, ist nur aufhebbar in der Zerstörung seiner selbst. [...]
Wo der Hass die Andersheit des Anderen zerstört, versucht der Eros, das Fremde und Andere zu assimilieren und zu integrieren. Diese Bewegung führt aber nicht in die Ruhe, sondern zu einer "Komplizierung", die imer neue Spannungen bringt. Der Eros wird darum von Freud als 'Störenfried' charakterisiert. Er stört das mächtige Streben nach Erlösung von aller Spannung, weil er nicht die Zerstörung des Anderen, sondern die Vereinigung mit ihm sucht. Auch die Liebe eignet - gemäss ihrem Wunschcharakter - zumeist ein possessiver Zug, und je stärker sich dieser Zug ausprägt, umso näher kommt sie dem Hass, umso grösser wird die Gefahr, im Falle der Widerständigkeit des Anderen in Hass umzuschlagen. [...]
Die Liebe vermag umso mehr Disparates zu integrieren und damit Spannung auszuhalten, je mehr sie nicht einfach der Abwehr von Angst dient. Heidegger selber warnt davor, die Angst aushaltende Anerkennung des eigenen Daseins als Sein zum Tode im Sinne eines Existenzideals zu verstehen. [...] Als solche aber ist sie [die Angst aushaltende Anerkennung des eigenen Daseins als Sein zum Tode] der Boden und Ermöglichungsgrund des Eros als lebensbejahender Kraft."
aus: Alice Holzhey-Kunz. 2001. Leiden am Dasein. Die Daseinsanalyse und die Aufgabe einer Hermeneutik psychopathologischer Phänomene. Passagen Verlag, Wien, S. 104, 105, 108, 109.

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