Der relevante Zeitraum des Auseinanderdriftens der Entwicklung der Kulturen und der Beginn des europäischen Sonderwegs dürfte zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert gelegen haben. Damals beschloss China, das "Reich der Mitte", auf eine Ausdehnung nach Übersee zu verzichten. Und die östlichen Zentren des Reichs der Muslime wurden durch mongolische Eroberer zerstört. Im Nahen Osten und in China wurde die Entwicklung zudem durch einen starken Zentralstaat beeinträchtigt.
Es waren die Renaissance und der Humanismus, die (Wieder-)Erfindung des Buchdrucks (die Chinesen kannten ihn bereits seit dem 7. Jahrhundert; im Islam hingegen wurde die Druckerpresse erst 300 Jahre nach Gutenberg eingeführt), die Reformation und die Entdeckung Amerikas, zusammen mit der später einsetzenden Aufklärung, welche die Bedingungen schafften für eine schier grenzenlose Dynamik und Entwicklung. Dieser gewaltige Fortschritt war für andere Kulturen für eine lange Zeit nicht mehr einzuholen. Letztendlich mündeten er ein in die Lebens- und Produktionsfromen der Industriekultur, dem materiellen Ausdruck der Dominanz des Westens als Moderne.
Die schottische Aufklärung baute auf den moral und common sense auf, also auf einer Ethik der moralischen Gefühle und dem gesunden Menschenverstand. Eigeninteresse und Gemeinschaftsinteresse galt es im Gleichgewicht zu halten. Kennzeichnend für das Zeitalter der Aufklärung war auch eine umfassende Religionskritik mit der entsprechenden Religionsfreiheit als Errungenschaft! Die Kritik an der traditionell dahergebrachten Religion war von einer Tiefe, wie sie in kaum einer anderen Kultur mehr stattfand. Wegweisend waren auch die politischen Rechte, welche die Menschen sich im Zuge der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 erkämpft hatten.
Die Aufklärung hatte mit ihrem Glauben an die Vernunft und ihrer Kraft der Kritik die alten Begründungen für Herrschaft unterminiert. Sowohl die kirchliche wie die weltliche Macht durfte nun öffentlich in Frage gestellt werden. Und ein enormer Erkenntnisfortschritt in den Naturwissenschaften legte die Grundlagen für die moderne Technik und die moderne Industriegesellschaft. Es begann eine einzigartige Zeit. Ein kleiner Landzipfel am Rande des asiatischen Kontinents hat seit 1600 bis heute die Welt geistig, militärisch und ökonomisch dominert.
Aber diese gebündelte Macht wurde nicht nur für gute Zwecke gebraucht. Europa ist auch der Kontinent der schrecklichsten Kriege aller Zeiten. Millionen Menschen mussten sterben, bevor unsere Zivilisation sich selbst gebändigt hat. Erst in den letzten Jahrzehnten konnte ein dauerhafter Friede zwischen den europäischen Nationalstaaten gefunden werden und zwar in Form der Europäischen Union. Und der Sonderweg scheint nun auch an sein Ende gekommen zu sein. Einerseits hat Nordamerika (das "ausgewanderte Super-Europa"), nach dem Ende der beiden europäischen Bürgerkriege, die globale Führungsrolle übernommen. In Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur ist kein anderer Kulturraum auf Erden so innovativ wie der US-amerikanische. Aber in den letzten Jahrzehnten haben auch einige Entwicklungsländer enorme Fortschritte gemacht. So ist China zum zweitgrössten Wirtschaftsraum der Erde aufgestiegen (bzw. auf Platz drei, wenn wir die EU als staatliche Einheit mitberücksichtigen). Die moderne Welt scheint sich über den ganzen Planeten zu verbreiten. Die globale Übernahme von abendländischer Aufklärung, Sekularisierung, Wissenschaft und Technik sind durchaus positiv zu bewerten. Konstruktive Kritik ist weiterhin sehr wichtig. Auch das Bemühen der Postmoderne um kulturelle Vielfalt ist als sehr positiv zu werten. Übernahme der westlichen Kultur: ja, aber keine Übernahme des Christentums! Der Reichtum der Vielfalt der Weltreligionen sollte erhalten bleiben! Es reicht eine moderne Weltsicht zu entwicklen, d.h. auf den Glauben an Geister und Dämonen zu verzichten. Ein so reformierter Islam oder Hinduismus beispielsweise ist modernitätskompatibel. Und das göttliche Licht könnte weiterhin durch die bunte Vielfalt der verschiedenen Religionen hindurchscheinen.
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